In der Ausgabe September/Oktober 2005 findet Ihr:
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Liebe Musikfreundinnen und -freunde, vor mir liegt das WDR-Programmheft Konzerte 2005/2006. Auf den Seiten 163 bis 178 werden dort Liveveranstaltungen zum Thema „Jazz und Weltmusik“ angekündigt. 16 Seiten ... da sollte doch auch etwas für die Leserschaft des Folker! dabei sein? Ich muss Sie enttäuschen. Biréli Lagrène, Joe Zawinul, Wimme (mit dem WDR Rundfunkorchester Köln unter der Überschrift „Brahms und Volksmusik“), Parissa mit dem Ensemble Dastan sowie ein iranisches Konzert - das ist auch schon fast alles, was auch nur annähernd mit dem Thema „Weltmusik“ zu tun hat. Vorbei sind die Zeiten, in denen der WDR mit seinem jährlichen Weltmusikfestival oder der „Matinee der Liedersänger“ die ganze Breite von Folk- und Weltmusik „live“ präsentierte. Das Ende dieser Ära ist endgültig gekommen. Da ist das Ausscheiden von Dr. Jan Reichow, dem längjährigen Leiter der für diese Konzerte verantwortlichen (mittlerweile längst aufgelösten) Abteilung „Volksmusik“, geradezu ein symbolischer Akt. Für sein Wirken hat Reichow in Rudolstadt die Ehren-RUTH bekommen (s. Bericht in diesem Heft). Erfreuliches gibt es dagegen aus Brandenburg zu berichten. Gleich mehrere Folk- und Weltmusikfestivals leiten dort den musikalischen Herbst ein. Mehr dazu in der Rubrik „Heimspiel“. Und auch der Folker! selbst ist wieder als Tourpräsentator aktiv: U. a. mit Annie Wenz aus den USA und Jörg „Ko“ Kokott zieht das Deutsch-Amerikanische Folksänger Treffen (DAFT) in diesem Herbst zum dritten Mal durch das Land, um deutsche und nordamerikanische Liedermachertraditionen zu präsentieren. Getreu dem Anspruch unserer Zeitschrift, sich nicht nur einer bestimmten musikalischen Farbe zu widmen, sondern stattdessen mit der Darstellung der immensen Vielfalt der Folk-, Lied- und Weltmusikszene die Entdeckungslust der Leserinnen und Leserinnen zu wecken, reicht auch in dieser Ausgabe ansonsten das Spektrum von revolutionären Tangosounds (Bajofondo Tango Club) über vergessene Liedtraditionen aus dem Widerstand gegen Hitler (Edelweißpiraten) und Amerikas Akustikvirtuosen (Bluegrassmusik) bis hin zu deutscher Lieder- (Fred Ape, Helmut Debus) und Schweizer Kleinkunst (dodo hug). Ergänzt wird das Angebot u. a. um Allan Taylor, den Gewinner der „Folker!-CD des Jahres 2004“, um Blechblasmusik aus Rumänien (Mahala Raï Banda) und um internationalisierte krainische Musik (global.kryner). Zum zweiten Mal gibt es mit dem Erscheinen dieser Ausgabe auch einen Beitrag, der exklusiv auf der Folker!-Homepage zu lesen ist. Der österreichische Musiker Sigi Finkel berichtet darin unter der Überschrift „Die Wurzeln des Balaphons“ über einen Besuch mit seinem musikalischen Partner Mamadou Diabate in dessen Heimatland Burkina Faso. Nicht berichtet haben wir über das von Bob Geldof und Bono inszenierte Live 8-Spektakel in diesem Sommer anlässlich des Treffens der G-8-Staaten in Edinburgh. Nachträglich soll an dieser Stelle jedoch angemerkt werden, dass es schon erstaunlich war, wie unkritisch dieses Ereignis über die Bühne ging - ganz abgesehen von dem selbst verschuldeten Debakel, Afrika erst in letzter Sekunde und nur unter erheblichem Druck von außen musikalisch mit einzubeziehen. Politische Erklärungen der Künstler von der Bühne herab waren von den Organisatoren nicht erwünscht - und es hielten sich auch alle brav daran. Stattdessen durfte das Publikum am Ende des Konzerts im Dreisekundentakt mit den Fingern schnippen, um damit zu symbolisieren, dass alle drei Sekunden ein Kind stirbt. Für den Berichterstatter der Frankfurter Rundschau hat ein humanitäres Anliegen nie „einen erbärmlicheren ästhetischen Ausdruck“ gefunden als in Edinburgh. Damit sei „das Erbe von Woodstock, das Rockspektakel als Ausdruck einer wie weit auch immer gefassten höheren Mission, endgültig begraben“. Der Kolumnist Jean-Claude Shanda Tonme aus Kamerun kritisierte in seinem Beitrag für die Tageszeitung Le Messager, dass Live 8 nicht mehr getan habe, als die Massen zu unterhalten und das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen. Das politische Problem - das Fehlen von Freiheit und Demokratie sowie die brutale Unterdrückung in vielen afrikanischen Staaten - ließe sich nicht durch Schuldenerlass und Lebensmittelhilfen lösen. Daher wäre es besser gewesen, wenn die Musiker für eine politische Revolution aufgetreten wären. Eine Kritik, die nur in wenigen Medien nachzulesen war. In der Hoffnung, dass Sie selbst einen interessanten musikalischen Sommer hatten, entlasse ich Sie damit wie immer in die Lektüre der neuen Ausgabe unserer Zeitschrift. Ihr Folker!-CvD PS: Frei und mutig? Es bedarf in den USA schon gar nicht mehr des Drucks von oben, damit sich die Bürger der im Land herrschenden konservativen Lebensideologie anpassen. Vorauseilender Gehorsam ist jetzt offensichtlich auch in der Musikindustrie angesagt. So wurde die neue CD Countrymen von Willie Nelson - ein Album mit Reggaemusik - mit zwei verschiedenen Covergestaltungen ausgeliefert. Die eine Version ziert - dem Thema der Produktion angemessen - das Blatt einer Marihuanapflanze. Das alternative Cover wird von einer Palme geschmückt. Ein Sprecher von Universal Music wies Vorwürfe zurück, dies sei unter dem Druck der Kaufhauskette Wal-Mart geschehen, die jüngst eine CD von Bruce Springsteen wegen eines angeblich unzüglichen Textes aus den Regalen genommen hatte (s. Editorial im Folker! 04/2005). Man habe den Käufern, die gegen Marihuana eingestellt seien, eine Alternative bieten wollen. Nach Angaben der Plattenfirma hat in den ersten Wochen eine Mehrheit die CD mit der Palme auf dem Cover gekauft. Orwell lässt grüßen! |