back Ferner liefen...

Zuvor das Dementi: Die upcoming Chancelloress (oder heißt es Would-be-Chancelière?) hat noch gar keinen, geschweige denn Heino, zum überparteilichen Bundesliedbeauftragten ernannt. In der fraglichen Bayreuther Konzertpause vom 22. Juli hatte sie lediglich moniert: „Es fehlt den Deutschen die Kenntnis der vierten und fünften Liedstrophe.“ Um dem abzuhelfen, empfahl sie preußische Tugenden und Mut zur (Bildungs-)Lücke; der Mechanismus der Wiederholung käme an den Schulen zu kurz. Die FAZ-Reporter platzten vor Pionierstolz über dies erste kulturpolitische Interview (wisst ihr noch, der Kandidat Kohl damals: „In Hölderlin war ich gut“?) und stellten komplizierte Fragen zu Tristan und Wagner, Schlingensief und Heiner Müller („Sie sagten, dass Sie Deutschland ‚dienen’ wollen ... Konnotation der Selbstaufgabe und Unterwerfung ... Die wilde Kundry wird zahm und wäscht Parsifal am Schluss mit ‚demutsvollem Eifer’ die Füße!“, drauf die Merkel beflissen: „Ich bin mit meinem Bekenntnis zum ‚Dienen’ auf große Zustimmung gestoßen ...“). Schon, in ihrer Jugend hat sie musiziert, „aber eher auf dem Blockflötenniveau ... ich war beim Klavierspielen nicht begabt“. Ihre erste LP war von den Beatles: Yellow Submarine, die eher periphere Filmmusik zum Zeichentrick. Dann aber brach es in schöner Bußfertigkeit aus der vom CSU-Parteitag präventiv Gesalbten heraus: „Was bei mir ziemlich schwach ausgeprägt ist - und ich glaube, das gilt leider allgemein bei den Deutschen -, das ist die Textkenntnis. Dass einer von einem Lied mal vier oder fünf Strophen auswendig weiß, ist schon die große Ausnahme.“

Dienen. Mechanismus Wiederholung. Auswendiglernen. Mag sein, dass es Angela leichter fällt, wie ja ihr Name schon sagt. Kulturferne Wessis, damals nicht gesegnet durch einen J. R. Becher als Beauftragten für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, durften sich doch überhaupt nur die dritte Strophe merkeln, die, in der auf das Weltranking („über alles“) und auf die Eindeutschung von Maas und Memel verzichtet wird. Von No. 5, wenn man überhaupt je von ihr gehört hatte, war der (Goethes „Kleine Blumen, kleine Blätter ...“ assoziierende) Schlußvers „mehr als unser Bund dies Band“ hübsch, während die vierte Strophe (ebenfalls von Fallersleben zu Haydns Streichquartett vulgo „Deutschland, Deutschland“-Melodie gedichtet) ungefähr so leicht zu memorieren ist wie der Anhang zur EU-Richtlinie über Importbeschränkungen bei bioversiegelter Bückware: „Schwefelhölzer, Fenchel, Bricken, Kühe, Käse, Krapp, Papier, Schinken, Scheren, Stiefel, Wicken, Wolle, Seife, Garn und Bier; Pfefferkuchen, Lumpen, Trichter, Nüsse, Tabak, Gläser, Flachs, Leder, Salz, Schmalz, Puppen, Lichter, Rettig, Rips, Raps, Schnaps, Lachs, Wachs!“ - Und das sagen wir jetzt zehnmal auf, bis es richtig sitzt!

Nun erwarten wir nicht ernsthaft, dass eine künftige Regierungschefin sämtliche Fahr-Away-Strophen des Duos Sonnenschirm, Hannes Waders Tankerkönig-Fortsetzungssaga oder auch nur den Kehrreim „Ein Loch ist im Eimer“ fehlerfrei herunterbeten kann. Einen zumindest summarischen Überblick über das Grundgesetz möchten wir allerdings schon beim Wähler nicht missen, erst recht nicht bei der Spitzenkandidatin. Insofern stimmt bedenklich, wenn die Pfarrerstochter beim Stichwort „Staatsziel Kultur“ geradezu ins Schwitzen geriet und erwidert: „Ich bin bei Änderungen des Grundgesetzes ganz vorsichtig ... Ich glaube nicht, dass die kulturelle Betätigung in Deutschland schlagartig besser wird, wenn wir die Kultur zum Staatsziel erklären.“ Moment mal - jetzt schon überfordert? Das einst vielgerühmte, pädagogisch wertvolle, Phlegmatiker unter den Umschülern auf Zack bringende „lebenslange Lernen“, möchte sie es sich (und dem angeblich so vergesslichen deutschen Volksmund) nicht zumuten? Geht es ihr wie dem Schauspieler Fritz Kortner, der kurz nach Ankunft im britischen Exil eine größere Filmrolle annahm, ohne des Englischen mächtig zu sein, mit Hilfe eines Dolmetschers das Script auswendig lernte und am ersten Drehtag zu seiner Bestürzung erfuhr, man habe in seinem Dialogpart dieses gestrichen, jenes umgestellt und manches bedeutend verändert? Das dürfte, schlagen Sie ruhig mal nach, bei Dienstschluss des greisen Innenministers Schily auch für die meisten Artikel jenes erfreulich schmalen Heftchens gelten, das am Ende des vorigen Jahrhunderts die schützenswerte, gegen linke wie rechte Extremisten wehrhafte freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) ausmachte ...

Bei Amtsantritt hatte sich Schröder für unfähig erklärt, gegen die Bildzeitung zu regieren. Wird Merkel dieser Herausforderung standhalten? Der Volkssänger des Enzians und der Haselnuss („eigentlich bin ich Sozialdemokrat“) hat sich, nachdem ihm alle Sonnenbrillen stibitzt wurden, von seinem populistischen Hausblatt für das politische (Ehren-)Amt ausrufen lassen. Heino verlangt, wie man hört, die Schulaufsicht im Wächterrat, wenn in koedukativen, multiethnischen, PISA-gebeutelten Gesamtschulklassen das Absingen der Westerwaldhymne oder des Ännchens von Tharau zur morgendlichen Pflichtübung wird. Der Kandidatin Angie von Templin aber raten wir, im Hinblick auf Wagneropern, Kulturetats, der Kanzlerin neue Kleider und eventuelle, wahldemoskopisch folgenreiche Flutkatastrophen wenigstens „Igel und Agel“ (nur zwei Strophen) von Christian Morgenstern einzustudieren: „Ein Igel saß auf einem Stein / und blies auf einem Stachel sein. / Schalmeiala, schalmeialü! / Da kam sein Feinslieb Agel / und tat ihm schnigel schnagel / zu seinen Melodein. / Schnigula schnagula / schnaguleia lü! // Das Tier verblies sein Flötenhemd ... / „Wie siehst du aus so furchtbar fremd!?“ / Schalmeiala, schalmeialü -. / Feins-Agel ging zum Nachbar, ach! / Den Igel aber hat der Bach / zum Weiher fortgeschwemmt. / Wigula wagula / waguleia wü / tü tü.“ ...

Nikolaus Gatter
go! www.lesefrucht.de


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Die Kolumne
im Folker! 5/2005