back

Noten ohne Quoten

Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter

Steht ein neues „Hahnebuch“ ins Haus, oder wieso legt das DUO SONNENSCHIRM, Billiges Vergnügen (R.U.M.Records/Buschfunk LZ 20052, 8 Tracks, 73:31) keine Texte mehr bei? Um das Aufspüren von Wendevarianten zu verhindern, die z. B. ein Meisterstück wie „Zugroulette“ leider erdulden musste? (Sammler aufgepasst: die CD-Einspielung der Originalversion findet sich auf dem Sampler Zwischen Bett und Barrikade, AMIGA 74321244762 von 1994 ...) Hier also Neues, und Glücksformulierungen wie „Feinstaublunge“, „aufdackeln“ oder „abgeleint“ (Wäsche nämlich) müssten, ging’s in Deutschland mit rechten Dingen zu, dem Schirmdoppel längst Sitz und Stimmen im Sprach- und Rechtschreiberat eingetragen haben. Musikalisch geht es livebedingt etwas unübersichtlich zu; von der Gesamtspielzeit sind über vier Minuten für (wohlverdienten) Applaus abzuziehen. - Kein Glanzstück der Dentalprophylaxe ist bekanntlich die seraphische Fresse von JENS-PAUL WOLLENBERG/EX.CES, Zahn um Zahn (Raumer Records RR 16605, 11 Tracks, 53:56, mit Texten). Schaurig-schöne Villonadaptionen, -travestien und -neudichtungen, die eine rockig-flotte Ex.ces-Begleitung (Lexa Thomas u. a.) gut vertragen. Besonders erfreulich: kongeniale Vertonungen probater Kollegen wie Oliver Bolten und Peter Rohland wurden nicht verschmäht. - Ganz anders, nämlich wohllautend, zartlyrisch und gutmenschenkompatibel schmeichelt GERHARD SCHÖNE unseren Ohren: Die Lieder der Fotografen (22 Tracks, 52:40, mit Texten). Vierzehn Lichtbildmeister (Doisneau, Dorothea Lange, Cartier-Bresson, Goldblatt u. a.) inspirierten den ewig staunenden Adoleszenzverlängerer zu frommen, nie weltfremden, wehmütig-tröstlichen Alltagsliedern. - Der Meermetaphorik entsagt die MARTIN RÜHMANN BAND, keine haie (womsie Records, 12 Tracks, 47:49, mit Texten), wenn sie im unverächtlichen Titelsong einen Tisch nah am Kai sowie „keine Haie im Becken“ und „kein Schiff mit fünfzig Kanonen“ verlangt. Im brav akzentuierten Hochdeutsch, mit gediegen monotoner, aber z. B. zur Haschrebellenhymne „Steppenfeuer“ durchaus passender R ’n’ B-gleitung im 70er-Jahre-Stil. Man täte Rühmann Unrecht, bei seinem Debüt an KLAUS HOFFMANN zu denken, der Von dieser Welt (Indigo CD 5824-2 / stille-music 016-2, 13 Tracks, 48:12, mit Texten) ist, isst (sichtlich) und singt, und zwar schlecht Gereimtes und Ungereimtes (Frage: „Mitleid ist ein uralter Absinth / der nur für Kinder die tollsten Filme spinnt“, was heißt das? Einsender/-innen richtiger Lösungen erhalten die falsche). Nur „Dass ich dich lieb’“ wird dem selbst gestellten Chanson-Anspruch, den hochtrabenden Brel- und Ferré-Vergleichen des Waschzettels (Werbetext: Antje Vollmer!) gerecht. - Noch einmal westwärts, zu den Stadtindianern des Revier-Reservats, FRED APE & RUDI MIKA, Cowboys dürfen das ... (pläne PF 104151, 16 Tracks, 66:10, mit Texten), die uns Lieder für gefrustete Männergruppen („Vor Spinnen gibt es kein Entrinnen“; „Ihre Augen waren blau“) und das Altwerden als körperliche Grenzerfahrung nahebringen („Wie geht es“, „Rentenbescheid“). - LEO LUKAS, WieWasWohin (Know Me Records L 002, 16 Tracks, 62:29, mit Texten) besetzt seine Liedbegleitung eher fachfremd: u. a. mit Geodreieck, Pizzaschachteln und „Taschengewitter“. Neben makaber-weisen Sticheleien („Wann I amoe a Gipshaxn hab“, „Anfangs“) sind wortreiche Laut-Reim-Studien („Bittdigorschn“) und ein Simon-Garfunkel-Cover von „The Boxer“ („Der Postler“, das als Nr. 13 in der abergläubischen Titelliste fehlt) zu loben. - Serviert Lukas sein „Bezirksweanerisch“ in fremdenfreundlicher Light-Version, verlegen sich die Steiermärker FOLKSMILCH, 3x rot (GamsbArt/Hoanzl Records FM 0816, 15 Tracks, 62:41, mit Texten) gleich aufs Hochdeutsche. Ihre Spezialität sind bekannte Schlagermelodien mit unbekannt gewordenen Texten (der Titel steht für gerappte „rote Rosen, rote Lippen, roter Wein“); perfekt instrumentiert und nach Art des Palastorchester-Raabe tonfilmhaft phrrrasierrrend („Hafen von Piräus“, „Nach jedem Abschied“). - Ähnlich nostalgierig (aber streng a cappella und völlig ironiefrei vorgetragen) ist das Repertoire des mit Mr. Sandman und den Caprifischern flirtenden Frauenquartetts VELVET VOICES, Lieder der 50er (Extraplatte EX 635-2, 5 Tracks, 17:29).


Außerdem erschienen:

BACH DREI BARDEN EINE BAND, Alles wird gut (MK-3B 5017, 14 Tracks, 59:12, mit Texten)
MITTWOCHSFAZIT, Geile Teile. Bäckereifachverkäuferinnen packen aus (Silberblick-Musik 007, 16 Tracks, 74:45)
JASMINE BONNIN, Sehn-süchtig (Quint-essence Musik 20055, 9 Tracks, 36:06)
LÜÜL, Ahoi! Last-Minute-Songs (Indigo 5909-2, 11 Tracks, 39:06)
HANNES WADER, Jahr für Jahr. Auswahl 1995-2005 (pläne 88920, 15 Tracks, 71:23, mit Texten)
HARTKAMP, glücklich (JARO 4254-2, 15 Tracks + Video, 52:12, mit Texten

DUO SONNENSCHIRM - Billiges Vergnügen

JENS-PAUL WOLLENBERG/EX.CES - Zahn um Zahn

GERHARD SCHÖNE - Die Lieder der Fotografen

RÜHMANN BAND - keine haie

KLAUS HOFFMANN - Von dieser Welt

FRED APE & RUDI MIKA - Cowboys dürfen das ...

LEO LUKAS - WieWasWohin

FOLKSMILCH - 3x rot

VELVET VOICES - Lieder der 50er


zurück


Home


vor


Valid HTML 4.01!

Interesse? Dann brauchst Du die Zeitschrift!
Also den Folker! preiswert testen mit dem Schnupper-Abo!

Noten ohne Quoten
im Folker! 5/2005