Es gibt DVDs, CDs und spezielle Serien, die sich den herkömmlichen Kriterien einer Rezension entziehen. Gerade in einer Zeit, in der Tonträger preiswert produziert werden können und die Menge an Veröffentlichungen inflationär ist, sind anspruchsvolle Serien besonders wichtig. Engagierte Vorhaben, ganz gleich ob tatsächliche oder angebliche, müssen sich mit strengeren Maßstäben messen lassen als z. B. eine ordinäre Kompilation. In diesem Heft schreibt Frank Schuster über die CD-Serie
www.lieblingslied-records.de |
Lassen wir einmal das Label für sich sprechen: „Jeder hat seiner Freundin oder seinem Freund schon mal eine Kassette mit seinen Lieblingsliedern aufgenommen oder eine solche geschenkt bekommen: Dies ist das Konzept von Lieblingslied Records. Platten von Lieblingslied sind immer Herzensangelegenheiten“, lautet das auf die Homepage gestellte Credo dieser kleinen feinen CD-Reihe. So ganz stimmt das aber nicht. Zwar hat die Berliner Firma auf einer ihrer frühesten und einer ihrer jüngsten Themenkompilationen - Liebe & Herzschmerz und Mein Lieblingslied - Herzensangelegenheiten gesammelt und veröffentlicht, aber auf die Doppel-CDs Release und Protestsongs.de trifft das nicht zu. Krieg und Knast haben mit Liebe und Leidenschaft wenig zu tun. Vielleicht liegt genau hier das Besondere an der Serie: Die stets sorgfältig edierten Sampler machen - bei aller Liebe - keinen Bogen um die harte Wirklichkeit.
Protestsongs.de ist eine der umfangreichsten Kollektionen des Genres in deutscher Sprache, die je veröffentlicht wurde. Sie präsentiert nicht weniger als 43 Lieder aus den Jahren 1944 bis 2003. Die Sammlung nimmt den Hörer mit auf eine Zeitreise durch fast 60 Jahre deutscher Politgeschichte. Angefangen mit einer „Feindessender“-Fassung von „Lili Marleen“ (einer BBC-Produktion, in der der „Führer“ erhängt von einer Laterne baumelt) bis hin zu „Monkey In A TV-Show“ der Band Neoangin, einer Soundtüftelei nach Art von Paul Hardcastles Anti-Vietnamkriegstück „19“, in die Satzfetzen aus Politikerreden zum Irakeinsatz hineingesamplet sind (O-Ton George W. Bush: „... to disarm Iraq of weapons of mass destruction ...“). Der Rest verhandelt bundesrepublikanische und deutschdemokratische Verhältnisse: ob Wirtschaftswunder (Wolfgang Neuss: „Chanson vom Wirtschaftswunder“; Hazy Osterwald: „Konjunktur Cha-Cha“), 68er-Protest (Hanns-Dieter Hüsch: „Marsch der Minderheit“; Ton Steine Scherben: „Keine Macht für Niemand“), ob Nachrüstung (Joseph Beuys: „Sonne statt Reagan“; Geier Sturzflug: „Besuchen Sie Europa“), ob Ökobewegung (Gänsehaut: „Karl der Käfer“; Wolf Maahn: „Tschernobyl“), Teilung/Wiedervereinigung (Bettina Wegner: „Von Deutschland nach Deutschland“; Sandow: „Born in GDR“) oder Rassismus (Advanced Chemistry: „Fremd im eigenen Land“; Die Goldenen Zitronen: „Das bisschen Totschlag“). Inhaltlich gesehen haben Nicole mit „Ein bisschen Frieden“ und Nena mit „99 Luftballons“ auf dem Album durchaus ihre Daseinsberechtigung - wer sie dennoch nicht erträgt, es gibt ja auch eine Skiptaste.
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