In der Ausgabe März/April 2005 findet Ihr:
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Liebe Musikfreundinnen und -freunde, im vergangenen Herbst gab es in den USA die aktivste Beteiligung von Musikern an einer Präsidentschaftswahl seit den Tagen, in denen Pete Seeger, Woody Guthrie und andere Mitglieder der linken Künstlerorganisation People’s Songs für Henry Wallace, einen linken unabhängigen Präsidentschaftskandidaten, auftraten - das war vor über 50 Jahren. Im Rahmen der The Vote For Change Tour traten Stars wie Bruce Springsteen, die Dixie Chicks und Jurassic 5 vor mehreren hunderttausend Menschen auf. Russell Simmons Hip Hop Summit Action Network und Sean Cobs Vote Or Die Tour warben unter jungen Afroamerikanern und Latinos für politische Beteiligung. Das Ergebnis all dieser Bemühungen ist bekannt. Zwar stieg der Anteil der Wähler im Alter zwischen 18 und 29 Jahren gegenüber der letzten Präsidentschaftswahl von 47,9 Prozent auf 51,6 Prozent. Dennoch wurde Bush gewählt, auch wenn die Jungwähler in noch größerem Ausmaß als im Jahr 2000 dem demokratischen Kandidaten den Vorzug gaben. Als Henry Wallace 1948 gerade einmal zwei Prozent der Stimmen bekam, fragte ein enttäuschter Woody Guthrie: „Warum haben unsere Songs die Menschen nicht erreicht oder nicht genügend angesprochen ...?“ Eine Frage, die sich die intellektuelle Szene in den USA derzeit auch stellen sollte. Viele haben den Schock der Niederlage noch nicht überwunden. Andere, wie Moby, haben Durchhalteparolen auf ihre Homepages gesetzt und fordern ihre Fans auf, sich nicht entmutigen zu lassen. Von einer Strategie, wie es denn nun weitergehen soll, ist allerdings noch nichts zu sehen. In Deutschland sieht es allerdings nicht viel anders aus. Künstleraktionen wie die „Grüne Raupe“, die in den 80er Jahren durch die Lande zog, oder von Intellektuellen getragene Wählerinitiativen für die Sozialdemokraten gehören der Vergangenheit an. Das Berliner Festival Musik und Politik hat im vergangenen Jahr gefragt, wie es um das politische Lied im Land bestellt ist. Angesichts zunehmenden Demokratie- und Sozialabbaus auch in Deutschland stellt sich die Frage, wo die Stimmen der engagierten Musikerinnen und Musiker sind. Überall in der Welt sind in diesen Tagen Künstlerinnen und Künstler im Einsatz für die Opfer der Flutkatastrophe in Südostasien. Sting ist da nur einer von vielen. Sein Konzert in Bangkok Anfang des Jahres funktionierte er kurzerhand in ein Benefizkonzert um. Gemeinsam mit seinem Tour-Promoter Clear Channel Entertainment und seiner Booking-Agentur Creative Artists Agency brachte er 50.000 US-Dollar für den Katastropheneinsatz auf. Zudem spendete Sting alle Einnahmen aus seiner Show im Februar in Perth, Australien, für die Tsunami-Opfer-Hilfe. Das ist zu begrüßen. Allerdings frage ich mich, warum ein engagierter Künstler wie Sting sich auf die Zusammenarbeit mit Clear Channel einlassen muss, einem Medienmogul, der in den USA längst eine Monopolstellung einnimmt und sich anschickt, dies auch in Europa zu erreichen. Aus ihrer konservativen Grundeinstellung, die bisherigen Aktivitäten von Sting diametral entgegengesetzt sind, macht die Führung von Clear Channel keinen Hehl. Hat Sting es nötig, sich von diesem Unternehmen vertreten zu lassen? Diese Frage wird zwar auf den folgenden Seiten nicht beantwortet. Thematisiert wird jedoch die Vielfältigkeit gesellschaftlichen und sozialen Engagements am Beispiel anderer Künstler, u. a. in den Beiträgen über Enzo Avitabile, Jackson Kaujeua, Graham Nash und Rachid Taha. Bleibt noch zu vermelden, dass der Intendant des Hauses der Kulturen der Welt Hans-Georg Knopp Ende Januar zum neuen Generalsekretär des Goethe-Instituts ernannt worden ist. Angesichts des musikalischen Programmangebots, für das sich das HKW in der Vergangenheit einen Namen gemacht hat, verspricht diese Berufung, dass in Zukunft die vom Goethe-Institut bislang eher stiefmütterlich behandelten Bereiche Folk, Lied und Weltmusik einen größeren Stellenwert bekommen haben. In diesen Zusammenhang passt das Interview mit Peter James, dem Vorstand und Geschäftsführer von GermanSounds, bei dem es u. a. um die Frage geht, welche Rolle das neu geschaffene deutsche Musikexportbüro bei der Förderung dieser Genres spielen wird. Und zum Abschluss der Hinweis: Gleich zwei Mal heißt es in diesem Heft „Folker! präsentiert: ...“ - einmal im Zusammenhang mit der zweiten Ausgabe des Festivals Irish Spring und zum anderen hinsichtlich der Premiere von folkBALTICA. Überhaupt wird sich der Folker! in diesem Jahr verstärkt bei Veranstaltungen und Festivals zeigen. Und damit wünsche ich wieder einmal viel Vergnügen bei der Lektüre der neuen Folker!-Ausgabe.
Ihr Folker!-CvD PS: Um Buchzensur soll es dieses Mal in meiner Serie „Neues aus den USA - The land of the free and the home of the brave“ gehen. Der Bush-kritische Satiriker und Komiker Jon Stewart (The Daily Show, www.comedycentral.com/tv_shows/thedailyshowwithjonstewart) hat vor kurzem ein umfangreiches Buch veröffentlicht: America (The Book), eine satirische Geschichte Amerikas, die sich wochenlang auf Nummer Eins der New York Times <www.nytimes.com/>-Bestsellerliste behauptete. Die Warenhauskette Wal-Mart <www.walmartstores.com/> entfernte das Buch allerdings relativ rasch aus ihren Stellagen: Eine darin enthaltene Fotomontage zeigt die neun Obersten US-Richter vollkommen nackt. Auf der gegenüberliegenden Seite sind ihre Roben abgebildet - verbunden mit der Aufforderung, sie auszuschneiden und den hohen Richtern „ihre Würde“ zurückzugeben. Mit der Begründung „Wir sind kein Buchladen für Sexliteratur!“ haben jetzt auch mehrere öffentliche Büchereien in Mississippi America aus ihrem Angebot genommen. Soviel zum Thema „Freiheit“, die besagter Herr Bush laut seiner neuerlichen Einführungsrede ja nun auch in die „dunkelsten Ecken dieser Erde“ bringen will. Vielleicht sollte er da zunächst vor der eigenen Tür kehren. |