back Noten ohne Quoten:
Eine Stimme für das deutschsprachige Lied

von Nikolaus Gatter

STROM & WASSER - spielt keine rolle
STOPPOK - Bla-Bla Nonstop
DEGENHARDT - Stimmen hinter'm Spiegel
FÖN - Wir haben Zeit
SEBASTIAN KRÄMER - Ein Freund großer Worte singt
THIELMANN - Zwischen den Meeren
SCRIBA - Hier und himmlisch
MARCEL ADAM - Lothringer. Lorrain de Coeur

Aus dem kreativen Dunstkreis bundesweiten „Extrem-Liedermachings“ stellten wir bereits Götz Widmann vor (Folker! 01/2005). Newcomer, die End- und Kehrreime nicht scheuen, tragen unplugged, ambitionslos und spielfreudig ihre Sachen auf obskuren Festivals wie Kevelaer, Koblenz und Hoyerswerda vor. Man konkurriert nicht länger mit Multimedia-Rockbands, sondern bringt unprätentiöse Texte zu kleiner Besetzung; Internetradio www.watsolls.de bringt allsonntäglich 17.00-18.00 Kostproben. Der Neuesten Deutschen Welle entspringt auch das Duo Heinz Ratz/Peer Jensen: STROM & WASSER, spielt keine rolle (Ahuga!/Pängg PBV 1123, 15 Tracks, 52:04, mit Texten). Ihre dritte, bewährt professionelle CD bringt neben harmlos-pubertären Dreistigkeiten („Arsch meiner Freundin“, „Müllficken“) und echten, durchaus politischen Provokationen („Komm zu Opa“) Poetisches von schöner Eindringlichkeit („Herzexplosion“). - Die neue Lässigkeit des Liedermachings hat ein Vorbild, es heißt STOPPOK, Bla-Bla Nonstop (Grundsound/Indigo 2180-2, 14 Tracks, 50:59, mit Texten). Unter den Barden deutscher Zunge ist er derjenige, der den Blues hat. Der einzige, der sich’s leisten kann, ohne Bob Dylan zu imitieren, dessen Eskapaden hinterherzumäandern (wem dieses Urteil nicht passt, der höre zur Strafe Niedecken solo): Texmex, Cajun, Folk, Soul - in welcher Strom-, Laut- oder Mannschaftsstärke auch immer, bewegt sich Stoppok elegant und souverän. Freunde wie Bernie Conrads und B. Schumacher halfen beim Texten. - Zu den Herangewachsenen, deren Ruhm sich mit Aufstapeln einer beträchtlichen CD-Backlist konsolidiert hat, gehört JAN DEGENHARDT, Stimmen hinter'm Spiegel (pläne 88905, 13 Takes, 51:13, mit Texten). Nicht waghalsiges Experiment ist seine Sache, sondern respektvolles Fortschreiben von Tradition: „Schnee über Nürnberg“ ist eine Hommage an den frühen Mey; der „Marathon-Berlin“ ein aktualisierter Brechtscher „Anachronistischer Zug“; musikalisch wird auf Irish Folk, französische Chansons und Südamerikanisches zurückgegriffen. In diesem Formenkreis, den virtuose Begleiterinnen wie Omar Rodriguez Calvo und Mauricio Calquin ausschreiten helfen, findet Jan Degenhardt aber doch seinen eigenen, unverwechselbaren Ton. - Ein eher kurioser als furioser Auftakt ist FÖN, Wir haben Zeit (Traumton Records 4479, 16 Tracks, 55:26). Vom drögen Sprechgesang über den Funkwecker („Fort Collins“) darf man sich nicht abschrecken lassen, sie steigern sich. Einem der vier Minimalisten (Bruno Franceschini) ist, laut Beiheft, „Gesang“ gegeben, die andern haben „Stimmen“, mit denen sie ausgiebig quasseln. Die Band hat einiges an Möglichkeiten zu verschenken, bietet derzeit aber nur studentische Milieukritik à la Pigor-Eichhorn, Tipps zum Beziehungsknatsch („Servus“) und gegen die Tücke der Objektwelt (Uhren, Koffer, Föns - oder heißt es Föne?). Ihre musikparodistische Geißel trifft u. a. Grönemeyer, die Cant’autore-Bewegung („La mattina dopo“) und, die leider unumgängliche Neger-Bayern-Lachnummer, Rastas aus Rosenheim („Bavarian Rastafarian“). - SEBASTIAN KRÄMER, Ein Freund großer Worte singt (INDIGO/Eichborn RD 2433229, 26 Takes, 63:05, mit Texten), tritt als Klavierkomiker in Friedrich Hollaenders überdimensionale Fußspur. Mit variabler, gut trainierter Stimme und zurückgenommener Begleitung gelingt es ihm erstaunlich gut, den Charakter der Wendehauptstadt mit der geborgten Ironie der Neuen Sachlichkeit zu schildern („Die U-Bahnhöfe von Berlin“). Die vielen Takes erklären sich aus den Ansagen, die der Conférencier mitliefert, mitunter werden auch die Lieder mit amüsanten Erläuterungen unterbrochen („Maumau“). - Abwechselnd gesprochen und, wenn man es so nennen will, gesungen wird auch auf THIELMANN, Zwischen den Meeren (GHM/BMG ariola 1010, 19 Tracks, 53:11, mit Texten). Die lyrische, mit viel Hall, Echolette und Synthiepop unterlegte Australienreise beginnt im „Möbelhaus am Altstadtring“ und endet mit Danksagung u. a. an das Kempinski Airport Hotel München. Allerdings heißt es auf Track Nr. 4 „Ich bin längst noch nicht da ...“, und was musikalisch (und sprachlich: „Die Dächer sind Palmen - unsere Wohnung ein Zelt“) dabei herauskommt, könnte jede beliebige andere Diashow zu Exoten-Reisezielen unterlegen. - NANETTE SCRIBA, Hier und himmlisch (Diarton DT CD 04-102, 12 Takes, 49:11, mit Texten), hat die Verkehrsansage in „Stop and Go“ anderweitig delegiert und schont damit ihre Kleinmädelchenstimme, die bei Liebesliedern besonders penetrant zwitschert. Atemlos kontrollierte Gemütlichkeit bestimmt die Atmosphäre ihrer Lieder; wo Wortspiele und Metaphernschwulst versagen, greifen sie ins Beliebig-Aphoristische aus („To Do“). Eine Paolo Conte-Adaption („Via con me“) wirkt wie unfreiwillige Parodie. - Wie die Pech- zur Goldmarie und Knecht Ruprecht zu Santa Claus gehört zum Elsass die Lorraine und zu dieser MARCEL ADAM: Lothringer. Lorrain de Coeur (LEICO 8553, 17 Tracks, 57:36, mit Texten). Der Alt-Hippie, der 32 Mitarbeiter zu seiner neuen CD motiviert hat, trägt sein gezimmertes Lothringer Doppelkreuz wie nach Golgatha, bezeichnet sich aber als „Judd un Arawer, ... gebore im Palawer“. Sein Grenzgängertum bildet sich im französisch-mundartlich-hochdeutschen Mischdialekt seiner Chansons ab, die heimelig-sentimental und nicht ohne pathetisches Tremolo das bockige Außenseitertum der Regionalisten preisen. Ein Heimatidyll, das Themen wie Obdachlosigkeit, Prostitution, Gaunermilieu und Naziverfolgung nicht ausspart und trotzdem künstlich bleibt.

... außerdem eingetroffen:

KLAUS-ANDRÉ EICKHOFF
Courage
(COU 0010, 16 Takes, 62:45, mit Videoclip-Teil und Texten und Informationen)

STEPHAN SULKE
60
(Monopol MON 940103 M 5285), 18 Takes, 61:48, mit Texten)

JASMINE BONNIN
best of ...
(Quint-essence Musik 20034), 57:07, 14 Takes

MALEDIVA
Heimatmelodie
(Roof Music/Eichborn RD 2433223, 20 Takes, 66:27, mit Texten)

DIVERSE
Ein Stück vom Himmel. Lieder jüdischer Komponisten
(Werner Richard Heymann, Friedrich Hollaender, Walter Jurmann, Rudolf Nelson und Mischa Spoliansky) interpretiert von Max Hopp, Burghart Klaußner, Imogen Kogge, Dietmar Loeffler, Anika Mauer, Katja Riemann, Natalia Wörner (tacheles!/Eichborn RD 2433217, 26 Takes, 72:44, mit Informationen)

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