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Vielvölkermix gegen Nationalismen

Das Sandy Lopicic Orkestar

Klingende Völkerfreundschaft vom Balkan

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Discographie

Border Confusion (Network Medien/
    Zweitausendeins, 2001)
Balkea (Network Medien/
    Zweitausendeins, 2004)

Es gibt den Rausch und die Völkerfreundschaften. Schließlich verbindet die Musik. Dagegen gibt es die global bestimmten Kriege und die regional geschürten Konflikte. Das Sandy Lopicic Orkestra macht die Musik dazu. Nach seinem gefeierten furiosen Debüt Border Confusion (2001) meldet sich das Vielvölkerensemble mit Wahlheimat im steiermärkischen Graz nun mit seinem zweiten Werk Balkea wieder zurück.

Von Adrian Wolfen

Die Band? Da ist erst einmal der Bandleader: Sandy Lopicic. Bis zu seinem 14. Lebensjahr wächst er in Esslingen bei Stuttgart auf. Seine Eltern kommen aus Sarajevo an den Neckar, die Mutter Krankenschwester, der Vater Kunstturntrainer. Um den jungen Sandy optimal zu fördern, wird der 14-Jährige nach Sarajevo zu Verwandten geschickt, wo er eine in die Schulausbildung integrierte, deshalb kostenlose, aber fundierte Klavierausbildung erhält. Später verlässt er Sarajevo, geht zum Klavierstudium nach Graz. Mit dem Diplom in der Tasche wird er musikalischer Leiter des Grazer Theaters. Als 1998 dort Black Rider von Tom Waits gespielt werden soll, verlegt Lopicic die Freischütz-Adaption musikalisch auf den Balkan. Der grandiose Erfolg bringt ihn auf die Idee, seine Black Rider Band mit den Grazer „Soundpiraten“ (Jean Trouillet) von Deishovida zusammenzubringen, die sich mit ihrem Avantgarde-Folk einen Namen gemacht haben. Das ist die Geburtsstunde des Sandy Lopicic Orkestars, einem Vielvölkerkollektiv, bestehend aus einem international zusammengesetzten fünfstimmigen Bläsersatz, Schlagzeug, Geige, Drehleier, Akkordeon und den Magic Voices, Sandy Lopcic Orchestra 2004 drei Sängerinnen aus Serbien, dem Kosovo und Bosnien.

Beim ersten Album bestimmt Lopicic noch das Geschehen. Bei der Produktion von Balkea wird dann jedoch schon demokratisch über die Auswahl der Songs abgestimmt. Die Bandmitglieder sind stolz darauf, dass ihre Kompositionen und Arrangements diese CD stärker prägen, als es beim Vorgängeralbum der Fall war, auf dem Sandy Lopicic hinter neun von vierzehn Liedern seinen Namen setzen konnte. Ob er mit dieser Demokratisierung Schwierigkeiten hatte? „Oh nein“, strahlt der Orkestar-Leiter, „das war absolut nötig und hat der ganzen Sache unheimlich viel Schwung gegeben.“

So wird Geschichte gemacht: die Balkanisierung als Demokratieeinübung. Aus der Verwischung der Grenzen, der Border Confusion, aus dem Miteinanderreden, entsteht das neue Balkangefühl, „Balkea“ eben.

Sandy Lopcic Orchestra 2004

Feiern, bis der Arzt kommt

Balkea muss sich an den Lobeshymnen des Debüts messen lassen. Damals hieß es u. a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Auch originäre Zigeunerkapellen bündeln kaum mehr Energie. [...] Das Sandy Lopicic Orkestar ist auf dem richtigen Weg - der Versöhnung des Balkans und der Kooperation mit dem übrigen Europa gehört die Zukunft.“ Für die Frankfurter Rundschau klang’s „traumhaft elegisch oder unerhört wild“ und „irrwitzig, spektakulär und virtuos“. Télérama hörte „fröhliche Ekstase, Witz und Swing“.

Das also ist das Sandy Lopicic Orkestar: Ein wilder Vielvölkermix, eine Bigband als Projekt gegen die Nationalismen, mit Bläsern und Saiteninstrumenten und einer Musik, die in einer neuen Formensprache Humor und Ekstase, Wildheit und Witz miteinander kombiniert. Oder: Das Sandy Lopicic Orkestar gehört schlicht zum Besten, was der Musik seit langer Zeit passiert ist.


SANDY LOPICIC ORKESTAR
Balkea

(Network Medien 26259/Zweitausendeins)
14 Tracks, 52:51, mit Infos in dt., frz., engl.

Die künstlerische Qualität gibt der langen Wartezeit und der intensiven Vorbereitungszeit Recht: Balkea ist schwungvoll und dynamisch, und obwohl in der gemeinhin als steril bezeichneten Studioatmosphäre entstanden, kann es in puncto Lebendigkeit mit dem live vor Publikum im ostwestfälischen Bielefeld eingespielten Vorgängeralbum mithalten. Die Interaktion der Orkestar-Mitglieder ist bewundernswert dicht, und die Homogenität des Zusammenspiels ist keine mehr, die sich herstellt, weil sich ein Haufen Musiker mehr oder weniger zufällig in einem Orchester organisiert, sondern eine, die sich durch den Spaß am gemeinsamen Spiel ergibt. Die diversen ethnischen Einflüsse, die durch die einzelnen Musiker repräsentiert werden, tauchen nicht als auseinander zu dividierende Zugaben auf, sind vielmehr diesmal so ineinander verschachtelt, dass der Sandy-Lopicic-Orkestar-Sound als ein ganz einzigartiger erklingt. Zu hören ist die Lebenslust, ist ein Miteinander von Menschen, aber eben auch von Klängen und Musiken. Jazz, Funk, Gypsysounds und Balkan-Brass-Klänge werden nicht auseinander gehalten; alles kommt zusammen, wenn zu einer Funkbass-Figur von Sasa Prolic die Drehleier Martin Loibners aufschreit, und Bojan Petrovic ein Trompetensolo mit bestem Roma-Temperament aus seinem Horn herausholt. Oder wenn die Magic Voices - Natasa Mirkovic, Irina Karamarkovic und Vesna Petkovic - ihre Stimmen a cappella erklingen lassen und ihre Vokalpolyphonie dem Lied einer albanischen Minderheit aus dem nordwestgriechischen Epiros angedeihen lassen. Dem Sandy Lopicic Orkestar wächst mit Balkea eine Identität zu, die nicht von Abgrenzung sondern von Offenheit geprägt ist. Die Grenzen sind fließend geworden. Wie beim Sandy Lopicic Orkestar, so auf der Welt.

Adrian Wolfen

 


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im Folker! 2/2005