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Liebe Musikfreundinnen und -freunde, Heinz Rudolf Kunze macht sich Sorgen um den Begriff „Protest“. Der Liedermacher bemüht in der Presseinformation zu seiner aktuellen CD Thomas Mann – „Auf jeden Fall hat es seinen Reiz und Nutzen, in Protest und Ironie gegen seine Umgebung zu leben ...“ – und schreibt auf seiner Website: „Es gibt ... so viele gute Gründe, sich zu empören, dass man diesen Begriff wieder entstauben sollte.“ Entsprechend hat Kunze sein neues Album Protest genannt. Grund genug, den Musiker einzuladen, seine Gedanken zum Thema „Künstleridentität in politisch bewegten Zeiten“ im „Gastspiel“ auszuführen. Die entsprechende Anfrage – über die Plattenfirma, das Management und sogar über Bekannte übermittelt – blieb unbeantwortet. Keine Antwort ist bekanntlich auch eine. Politische Prinzipien sind heutzutage bei den meisten Künstlern offensichtlich zur Attitüde verkommen – als wohlkalkulierter Aspekt einer Promotionkampagne. Das geht Hand in Hand mit einer regelrechten Sprachlosigkeit weiter Teile der Kulturschaffenden. Zuletzt eindrucksvoll zu erleben bei der diesjährigen Echo-Verleihung, bei der ein Preisträger nach dem andern die Bühne mit seiner Trophäe verließ, ohne auch nur ein Wort zu brennenden gesellschaftspolitischen oder kulturellen Fragen zu verlieren. „Haltung“ zu zeigen, ist anscheinend eine im Aussterben begriffene Charaktereigenschaft. Wie schrieb Hans-Eckardt Wenzel im letzten Folker! : „... wie sich die geschäftstüchtigen Künstler doch hierzulande mühen, recht subversiv zu erscheinen. Sie denken das Subversive wäre eine formale Komponente und bezöge sich vor allem auf den Tabubruch. Das Subversive aber ist ein soziales Phänomen. Ein kulturelles. Es geht ... um ein freies Leben gegen die negierende, tötende Schimäre eines Marktes, der alles in Geld zu verwandeln bezweckt.“ Da mag es gerade zur rechten Zeit kommen, dass wir einem Menschen gratulieren können, dessen Einstellung nie Attitüde, sondern immer Haltung war. Pete Seeger hat das System, das ihn umbringen wollte, mit Mut und Standfestigkeit geschlagen. Wie sein Freund Woody Guthrie glaubt er daran, dass jeder Mensch Würde besitzt. In dieser Frage gab und gibt es für Seeger keine Kompromisse. Am 3. Mai* wird der Musiker und Aktivist, der mit Songs wie „Where Have All the Flowers Gone“, „Turn, Turn, Turn“ oder „If I Had A Hammer“ zum Vater des Folkrevivals wurde, neunzig Jahre alt. Der Folker! gratuliert einer Ausnahmepersönlichkeit mit einem Special, einem Gastspiel aus der Feder seines Freundes und musikalischen Partners Arlo Guthrie sowie mit der Wiederveröffentlichung der kompletten, zu seinem achtzigsten Geburtstag vor zehn Jahren in Heft 2/1999 erschienenen Folker! -Titelgeschichte auf der Website. Die Erwähnung von Markennamen in Songs begleitet uns seit vielen Jahren. Simon & Garfunkel sangen „Mama, don’t take my Kodachrome away“ und Janis Joplin wollte einen neuen Wagen, einen „Mercedes Benz“. Das „Product-Placement“ in der Musik hat mittlerweile jedoch ungeahnte Ausmaße angenommen. In den USA gibt es Agenturen, die Unternehmen anbieten, dass ihre Künstler – für einen entsprechenden Preis, versteht sich – den Namen eines Produkts in einen Song aufnehmen. Und auch in Deutschland geht offensichtlich ohne Anbindung an Unternehmen, die mit Musik eigentlich nichts zu tun haben, bald nichts mehr. Der Rolling Stone führt mit Bayer zum hundertsten Geburtstag von Aspirin einen Songwettbewerb durch. Und die Unterhaltungselektronikfirma Atari kürt mit Universal Music den ersten „Deutschland singt Online-Star“. Musik reduziert auf die Verkaufsquote, die man sich durch die Wahl seiner Partner verspricht. Als Alternative zum gängigen Musikgeschäft und zugleich als „Hort künstlerischer Freiheit und Selbstbestimmung“ werden von vielen Musikerinnen und Musikern die Möglichkeiten im Internet angesehen – von Facebook bis Myspace. Ich gebe zu, dass mich die Gleichgültigkeit schon überrascht hat, mit der die Szene die jüngste Diskussion um die Geschäftsbedingungen bei Facebook begleitet hat. Da wollte ein Internetportal alle Daten auch dann noch verwenden, wenn ein Nutzer sich längst abgemeldet hat. Schlimm genug, dass Facebook die Rechte an allem hat, was man während seiner „Mitgliedschaft“ auf der Plattform angibt. Ähnlich verhält es sich bei der Auseinandersetzung zwischen Google und seiner Konzerntochter Youtube mit der Gema. Der eine ist ein global agierender Konzern mit nur einem Ziel: der Gewinnmaximierung. Der andere ist ein – wenn auch durchaus kritikwürdiger – Verein, der Komponisten, Autoren und Verlage vertritt. Nach dem Gesetz ist bei dem Verkauf von Werbung auf Grundlage millionenfacher Nutzung von auf Youtube kostenfrei zur Verfügung gestellter Inhalte eine Beteiligung der entsprechenden Autoren gesetzlich vorgeschrieben. Wie der VUT, der Verband unabhängiger Musikunternehmen, Anfang April mitteilte, weigert sich Youtube aber grundsätzlich, sowohl über eine Vergütung pro Stream – die Gema wollte eine Minimalvergütung von einem Cent – zu verhandeln als auch die für eine Abrechnung der Autoren benötigten Nutzungsdaten zur Verfügung zu stellen. Dieses Verhalten „schädigt vor allem Nachwuchskünstler und Künstler mit kleinem Einkommen“, heißt es in der VUT-Erklärung zum Abbruch der Verhandlungen zwischen der Google-Tochter und der Gema. Warum: Auf Youtube finden sich vor allem Künstler, die ihre Hauptaktivität und Anerkennung durch die Fans auf diesen Seiten erfahren. Wird pauschal abgerechnet, so der VUT, muss die Gema den Anteil ihrer Urheber aus Youtube-Einnahmen an einer anderen Bemessungsgrundlage festmachen. Das könnte dann zum Beispiel die sogenannte Radioperformance sein. Dort sind die Stars von Youtube aber leider nicht so präsent, gehen also leer aus ... Seit einer am 31. März abgelaufenen befristeten Vereinbarung über die Vergütung musikalischer Inhalte auf Youtube sind jetzt zahlreiche Musikvideos auf dem Internetportal gesperrt. Wo ist der laute Aufschrei der Musikergemeinde zur Unterstützung der vom VUT ins Gespräch gebrachten Forderung, alle Inhalte zu sperren. Dann würde sich nämlich zeigen, wie attraktiv das Angebot von Youtube ohne Musik für die Nutzer wäre. Bevor ich schließe, will ich noch auf die gerade veröffentlichten Programme zweier Festivals verweisen, die unsere Zeitschrift seit Jahren journalistisch begleitet: das TFF Rudolstadt ( www.tff-rudolstadt.de ) und Stimmen in Lörrach ( www.stimmen.com ). Tracy Chapman, Sophie Hunger (s. Beitrag in diesem Heft), Marianne Faithfull, Lambchop und Calexico sind einige der Namen, die zwischen dem 1. und 26. Juli im Dreiländereck Frankreich-Schweiz-Deutschland auftreten werden. In Rudolstadt stehen vom 3. bis 5. Juli neben dem Länderschwerpunkt Russland und dem Instrumentenprojekt „Magic Lute“ unter anderem Lucinda Williams, Capercaillie, Mercedes Peón und Nitin Sawhney auf dem Programm. Zum Sonderkonzert am Vorabend des Festivals ist das „Zigeuner-Punk-Cabaret“ Gogol Bordello aus den USA mit Frontmann Eugene Hütz angekündigt, der vor zwei Jahren in Madonnas erstem Film die Hauptrolle spielte, wie das TFF in einer Pressemitteilung vermeldet. Na, wenn das mal kein Qualitätskriterium ist ... Und damit wünsche ich Ihnen einen schönen Festivalsommer und entlasse Sie wieder einmal in die Lektüre einer neuen Folker! -Ausgabe. Ihr Folker!-Chefredakteur * PS: An diesem Tage findet ein Geburtstagskonzert für Pete Seeger im New Yorker Madison Square Garden statt. Angesagt hat sich alles, was Rang und Namen in der Szene hat: Von Bruce Springsteen und John Mellencamp, Ani DiFranco und Arlo Guthrie, Bela Fleck und Billy Bragg, Bruce Cockburn und Emmylou Harris, Joan Baez und Kris Kristofferson, Ladysmith Black Mambazo und Michael Franti, Ramblin’ Jack Elliot und Richie Havens, Steve Earle und Taj Mahal, Kate & Anna McGarrigle und Tom Paxton bis zu Tommy Sands und Toshi Reagon. Alle Einnahmen fließen an die Einrichtung Hudson River Sloop Clearwater zur Rettung des Hudson. |