Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal in Folker! Heft 2/1999. Er wird hier ergänzt um eine von unserem Mitarbeiter Ulrich Joosten annotierte und aktualisierte Auswahlbibliografie und -diskografie zu Pete Seeger sowie einen Kommentar Jim Musselmans zu seinem damaligen CD-Projekt Where Have All The Flowers Gone – The Songs Of Pete Seeger , bei dem Künstlerinnen und Künstler von Bruce Springsteen über Ani DiFranco bis Reinhard Mey eigene Versionen von Seeger-Liedern aufnahmen. |
How Can I Keep From Singing?
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Eigentlich wollte er ja nur als „Special Guest“ für ein, zwei Songs bei Arlo Guthries traditionellem Thanksgiving-Konzert in der Carnegie Hall im vergangenen November auftreten. Doch schließlich war Pete Seeger von Anfang an dabei. Und er sprühte geradezu vor Energie. Mit seinem Banjo in der Hand tanzte der Mann, der am 3. Mai 80 Jahre alt wird, auf der Bühne herum. Und wenn die Stimme bei dem einen oder anderen Song nicht mehr so ganz wollte, dann war da Enkelsohn Tao Rodriguez, der fast unbemerkt Petes Part übernahm. Auch das Publikum ließ sich nicht lange bitten. Es ist ja bekannt, daß Pete Seeger wie kein anderer die Kunst beherrscht, seine Konzertbesucher in einen Chor zu verwandeln.
„How Can I Keep From Singing?“ Die Überschrift dieses Songs, dessen ursprünglicher Text aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts stammt und zur Zeit der McCarthy-Ära aktualisiert wurde, könnte programmatisch für das Leben von Pete Seeger stehen. „Wie soll ich je aufhören können zu singen?“ Das fragt man sich in der Tat, wenn man diesen Mann vor sich sieht. Er hat Zeit seines Lebens für Gerechtigkeit gekämpft, gegen den Vietnamkrieg, gegen die Zerstörung der Natur und gegen den Kapitalismus. Trotz aller Rückschläge – als einen „Troubadour of Lost Causes“, einen „Troubadour der verlorenen Kämpfe“ hat ihn vor einigen Jahren eine amerikanische Zeitung bezeichnet – ist Pete Seeger ungebrochen, und er blickt voller Hoffnung auf ein besseres Morgen in die Zukunft. Singend, versteht sich.
Geboren wurde Pete Seeger am 3. Mai 1919 in New York City. Sein Vater Charles war Dirigent und Musikethnologe. Seine Mutter, Constance de Clyver, war Violinlehrerin. Zwar verdankt er ihr seine erste Begegnung mit (klassischer) Musik, doch das für den Rest seines Lebens prägende Erlebnis hatte Pete mit 16. Da begleitete er seinen Vater zu einem Square Dance Festival in Asheville, im US-Bundesstaat North Carolina. Die Bluegrasstöne von Asheville wohl noch im Ohr, tauschte er nach zwei Jahren Soziologiestudium in Harvard das Leben im Hörsaal gegen ein Leben außerhalb der Mauern der Eliteuniversität. Den jungen Mann interessierten Arbeiterbewegung und Sozialismus ebenso wie die Musik, vor allem alte Volks- und Kinderlieder. „Im Vergleich zu der Trivialität der meisten Popsongs besitzen die Texte dieser Lieder das Fleisch, das unser Leben ausmacht“, meinte Pete Seeger einmal. Und er erinnert sich an das, was Woody Guthrie zu ihm gesagt hat: „Wenn ich meine Lieder nicht an der Bar nebenan singen kann, weil der Mann an der Theke sie nicht versteht, dann sind es keine guten Songs.“
1940 kam Pete Seeger nach Washington, um für Alan Lomax von der Library of Congress zu arbeiten, für den schon sein Vater Feldaufnahmen gesammelt hatte. In jener Zeit lernte er auch Woody Guthrie kennen. Gemeinsam zogen sie durchs Land und lernten zwischen Chicago im Norden und Florida im Süden bittere Armut, politischen Widerstand, Verzweiflung und Hoffnung kennen. Die Erlebnisse in den Kohlerevieren, den Bauarbeitercamps und den Textilfabriken legten den Grundstein nicht nur für ein unerschöpfliches Repertoire an Songs, sondern auch für Petes Selbstverständnis als Künstler. „Mit einem Song kann man seine Gedanken ausdrücken und gemeinsames Handeln fördern“, sagt Pete Seeger. „Ich glaube allerdings, daß nicht nur Lieder geschrieben werden müssen. Es muß auch gehandelt werden. Die Welt wird nicht durch Songs, sondern nur durch Aktionen gerettet werden.“
Gesagt, getan. Mit 20 trat er in die „Young Communist League“ und später in die kommunistische Partei ein. 1941 gründeten Pete Seeger und Woody Guthrie zusammen mit Lee Hays und Mill Lampell die Almanac Singers. Gordon Friesen und Cis Cunningham stießen nach kurzer Zeit dazu. Gemeinsam sangen sie nicht nur gegen den Faschismus und gegen den Krieg, sondern auch für Gewerkschaften und Landarbeiter. In jenen Tagen des Hitler-Stalin-Pakts reimte Pete Seeger noch gegen eine Einmischung der USA in den Zweiten Weltkrieg: „Franklin D., listen to me / You ain’t gonna send me ’cross the sea“. Heute entschuldigt sich Seeger dafür, Stalin lediglich als „Hardliner“ angesehen und seine Grausamkeiten ignoriert zu haben. Allerdings würde er gerne auch eine Entschuldigung für Roosevelts Unterstützung von Francos Spanien und die Internierung von Japanern in den USA sehen. Nach dem Überfall Deutschlands auf Russland änderte sich die Haltung der amerikanischen KP. Pete Seger erinnert sich an eine Bemerkung Woody Guthries, der meinte, man werde auf absehbare Zeit wohl keine Friedenslieder mehr singen. Die „Schlagt-Hitler-Songs“ brachten den Almanacs 1942 einige Auftritte. Aber als eine New Yorker Zeitung die sozialistische Einstellung der Gruppe kritisierte, verloren sie nicht nur ihre Aufträge, sondern auch gleich ihren Manager.
Nach dem Krieg, der ihn u. a. als Truppenunterhalter in den Südpazifik verschlug, kehrte Pete Seeger auf die Bühnen von Musik und Politik zurück. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die linke Bewegung war nicht mehr das, was sie in den 30er Jahren bedeutete. Und Protestlieder waren aus der Mode gekommen. Die Schatten des Kalten Krieges legten sich über das Land. So gelang es beispielsweise dem Ku-Klux-Klan, im September 1949 einen Auftritt des Sängers und Schauspielers Paul Robeson bei einer Demonstration in Peekskill, New York, gewaltsam zu verhindern. Viele der rund 10.000 Besucher, darunter auch Pete Seeger mit seiner Familie, fanden ihre Autos mit zerschlagenen Scheiben wieder und mußten sich ihren Weg durch ein Spalier von „Patrioten“ in weißen Kapuzen bahnen.
Einige Monate zuvor hatte Seeger gemeinsam mit Lee Hays, Ronnie Gilbert und Fred Hellerman die Weavers gegründet. Das erste Jahr war eine finanzielle Katastrophe für sie. „Wir waren pleite und schon nah dran, uns wieder aufzulösen“, erinnert sich Pete Seeger. Doch dann, mit einem Plattenvertrag bei Decca kam der Erfolg über Nacht. Mit „Goodnight Irene“, „Tzena, Tzena, Tzena“ und einigen anderen Titeln sangen sich die Weavers in das Herz von Millionen von Amerikanern, die sich um die politischen Ansichten der Gruppenmtglieder nur wenig scherten, wenn sie überhaupt etwas davon wußten. Aber die „Wächter der schwarzen Liste“ waren den Weavers auf der Spur. Als sie 1950 einen Vertrag für eine TV-Show angeboten bekamen, wurden sie „angeschwärzt“ von Red Channels , einer Publikation, die auf alle „Roten“ Jagd machte. Die Sache mit dem Fernsehvertrag hatte sich damit erledigt. Wenige Jahre später schickte der vom damaligen Kongreßabgeordneten Richard Nixon tatkräftig unterstützte Kommunistenjäger Joseph McCarthy auch Pete Seeger eine „Einladung“ ins Haus, um vor dem Ausschuß für „unamerikanische Aktivitäten“ auszusagen. Zwar hatte Seeger die kommunistische Partei längst verlassen, doch was McCarthy, der fanatische Senator aus dem US-Bundesstaat Wisconsin, wollte, waren „Namen“. Doch die wollte der Musiker und Aktivist ihm nicht geben. Stattdessen erklärte er: „Ich werde keine Fragen in bezug zu meinen Verbindungen, zu meinen philosophischen und religiösen oder politischen Ansichten beantworten. [...] Ich glaube, daß es völlig unangebracht ist, diese Fragen einem Amerikaner zu stellen, zumal unter der Androhung von Repressionen.“ Die Antwort der Politiker: Das Repräsentantenhaus sprach Pete Seeger wie auch den Schriftsteller Arthur Miller und sechs weitere Autoren der subversiven Tätigkeit für schuldig. Für die Mißachtung des Parlaments stand ihm außerdem ein Prozeß bevor, auf den er fünf Jahre warten mußte. Im April 1961wurde er zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Ein Berufungsgericht hob das Urteil ein Jahr später wieder auf. Die New York Post nannte Seegers Rehabilitierung eine „Rückkehr zur Vernunft“. Es dauerte jedoch noch Jahre, bis Pete Seeger wieder in den Medien auftreten durfte. Überlebt hat er, indem er bei Konzerten in Privatschulen, in Kirchengemeinden und in Sommercamps auftrat, organisiert von einem Netzwerk lokaler Organisationen und Aktivisten. Mit dieser „kulturellen Guerillataktik“, wie er es nannte, sorgte er auch ohne Funk und Fernsehen für die Bekanntheit seiner Lieder.
Auf das Engagement in der Kommunistischen Partei sowie in der Arbeiter- und in der Gewerkschaftsbewegung folgte für Pete Seeger die Bürgerrechtsbewegung, der er mit „We Shall Overcome“ auch gleich zu einer Hymne verhalf. Und als sich in den USA der Widerstand gegen den Vietnamkrieg regte, war Pete Seeger natürlich wieder in vorderster Linie anzutreffen. Dabei gehörten Zensur, Verbote und Absagen noch immer zu seinen ständigen Begleitern. Als die Smothers Brothers, zwei populäre TV-Komiker, ihn in ihre Fernsehshow einluden, sang Pete Seeger seinen Antikriegssong „Waist Deep In The Big Muddy“. Die CBS-Hierarchen schnitten ihn einfach raus. Seeger erzählt davon während eines auf Broadside Records unter dem Titel Questions And Answers veröffentlichten Auftritts im November 1967 in Boston.
Anfang der 70er Jahre begann Pete Seeger, sich immer mehr mit der Umweltzerstörung auseinanderzusetzen. Dabei warnt er unaufhörlich auch vor einer „wissenschaftlichen Umweltverschmutzung“. Mit Computern, Gentechnologie und den revolutionären Möglichkeiten der Chemie werde einem neuen Holocaust der Weg bereitet, wenn man dieser Entwicklung nicht rechtzeitig Einhalt gebiete. Pete Seeger leistet hierzu einen ganz praktischen Beitrag, getreu seinem Motto: „Denke global und handle vor Ort.“ Ende der 60er Jahre stöberte er ein Buch über den Hudson River auf, in dem von den alten Frachtschiffen erzählt wurde, die im 19. Jahrhundert Waren und Baumaterial für New York City den Fluß hinunterbrachten. Er kam auf die Idee, ein solches Segelschiff nachzubauen – die „Clearwater“. Daraus wurde binnen kürzester Zeit ein Unterrichtsschiff, das über die Verschmutzung des Hudson informierte und Symbol für seine Rettung wurde. Anwälte, Chemiker und Biologen boten ihre Hilfe an. Mit dem „Clearwater’s Great Hudson River Revival“ wurde sogar ein eigenes Festival ins Leben gerufen. Und mit der „Woody Guthrie“ gibt es mittlerweile auch ein zweites Boot.
Die Liste der Aktivitäten Pete Seegers scheint endlos zu sein. Seine Frau Toshi meinte einmal mit Blick auf Petes Rastlosigkeit, daß er „die Kerzen an beiden Enden abbrennt“. Der Senior der amerikanischen Folkbewegung hat Bücher geschrieben (siehe auch annotierte Auswahlbibliographie exklusiv auf www.folker.de) geschrieben. Er hat eine Banjoschule herausgegeben. Und er war beim Start von Folkmusikzeitschriften wie Broadside und Sing Out! dabei. 1959 rief er gemeinsam mit Theodore Bikel, George Wein und Albert Grossmann das Newport Folk Festival ins Leben, das für Künstler wie Joan Baez und Bob Dylan zum Sprungbrett ihrer Karriere wurde.
Immer wieder gern erzählt wird die Geschichte, wonach Pete Seeger nur mit Mühe davon abgehalten werden konnte, Bob Dylan gewaltsam von der Bühne zu holen, als dieser 1965 in Newport zum ersten Mal mit einer elektrisch verstärkten Gitarre auftrat. „Das wird verbreitet, weil ich zornig war, als Dylan mit der E-Gitarre auf der Bühne stand. Doch nicht das war der Grund“, will Pete Seeger mit Nachdruck richtigstellen. „Ich war sauer, daß ich bei der Lautstärke nichts vom Text mitbekam. Dabei hat er ein gutes Lied gesungen, ‚Maggie’s Farm‘. Du konntest kein einziges Wort verstehen. Ich bin zu den Soundleuten gelaufen und habe ihnen gesagt, sie sollten etwas unternehmen. Doch die meinten nur, das Publikum wolle das so haben. Und da habe ich gesagt, ‚Verdammt, wenn ich eine Axt zur Hand hätte, würde ich auf der Stelle das Kabel durchhacken.‘ Die Leute glaubten allerdings, ich würde die Musik nicht mögen. Ich habe damals einen Fehler gemacht. Als Bühnenmoderator hätte ich das Publikum fragen sollen, warum ein Teil Bob ausgebuht hat. Warum dann nicht ebenso Howlin’ Wolf, der ja auch mit einer elektrischen Gitarre aufgetreten war. Wenn er das darf, warum dann nicht auch Bob.“
In einem Porträt zu Pete Seegers 75. Geburtstag fragte die Wochenpost 1994 nach der Rolle der Linken, die nicht nur in den USA als schlechte Patrioten und Vaterlandsverräter abgestempelt werden. Wobei sich im Unterschied zu Deutschland, in den USA Linke und Liberale mit den Konservativen – häufig unter Rückgriff auf dieselben Wertvorstellungen – darüber streiten, wer denn das Attribut „guter Amerikaner“ für sich in Anspruch nehmen darf. Und da ist auch Pete Seeger keine Ausnahme. Er definiert die amerikanischen Werte nur anders. Für ihn sind die Stärken des Landes eben nicht Militär und Industrie, sondern die „uralte Tradition, sich zusammenzuschließen, sich zu organisieren, um etwas auf die Beine zu stellen“. Auch was die berühmten amerikanischen „family values“ angeht, ist Seeger ein Paradebeispiel. Seit nunmehr 56 Jahren ist er mit Toshi-Aline Ohta verheiratet, „ohne die“, wie er sagt, „sich die Welt nicht drehen und die Sonne nicht scheinen würde“. In einem selbstgebauten Holzhaus leben beide in Beacon, einem kleinen Ort am Hudson, mit Kindern und Enkelkindern in unmittelbarer Nachbarschaft.
Wenn man Pete Seeger sieht, wie er aufrecht stehend ins Tal über den Hudson blickt, nimmt man ihm ab, daß er trotz vieler negativer Erfahrungen in seinem langen Leben voller Zuversicht ist. „Wer hätte geglaubt, daß Nixon zurücktreten muß oder die Berliner Mauer friedlich in sich zusammenfällt?“ Auch wenn Seeger immer wieder davon spricht, daß die Chancen 50 zu 50 stehen, wenn es um die Frage geht, ob es in ein paar hundert Jahren noch eine Menschheit gibt, so läßt er auf diese apokalyptische Betrachtungsweise im nächsten Satz schon die Vision einer besseren Welt folgen. „Ich würde gerne noch weitere 50 Jahre leben, um mitzubekommen, wie es dann um die Menschheit bestellt ist.“
Wenn man Pete Seeger fragt, ob er etwas in seinem Leben bedauert, dann spricht er darüber, zuviel in der Welt herumgereist zu sein, da er so, auch wenn es immer um eine gute Sache gegangen sei, seine Frau und seine drei Kinder zu oft allein gelassen habe. Ansonsten bezeichnet Pete Seeger sich als einen „der glücklichsten Musiker, die ich überhaupt kenne. Ich kann mir gar keinen glücklicheren vorstellen. Meine Kinder mußten nie Hunger leiden und hatten immer etwas zum Anziehen. Ich habe die Lieder gesungen, die ich singen wollte. Und es hat immer zum Leben gereicht. Heute bin ich glücklich darüber, daß ich lange genug gelebt habe, um zu sehen, daß junge Leute meine Arbeit fortsetzen.“
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