Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal in Folker! Heft 2/1999. |
Künsterinnen und Künstler sagen „Danke, Pete!“
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„And Still I Am Searching“. Dieser Song steht programmatisch für das schier rastlose Leben Pete Seegers. Mit diesem (neuen) Lied aus seiner Feder beschließt das „Geburtstagskind“ höchstpersönlich den Reigen von insgesamt 39 Songs, die ihm zu Ehren Freunde aus der Pop-, Rock- und Folkmusik auf der Doppel-CD Where Have All The Flowers Gone – The Songs Of Pete Seeger zusammengestellt haben. „Danke, Pete!“ So beschreibt Appleseed-Recordings-Chef Jim Musselman, ein ehemaliger Mitarbeiter des Verbraucheranwalts und Präsidentschaftskandidaten der Green Party, Ralph Nader, die Grundhaltung der Künstlerinnen und Künstler, die sich an dem in Deutschland bei Wundertüte veröffentlichten Projekt beteiligt haben. „Es ist die Botschaft in Petes Songs, die alle fasziniert. Die Kraft, die von ihnen ausgeht. Die Hoffnung, die Petes Songs überall in der Welt verbreiten.“
Und Pete Seegers Kommentar, dem es ansonsten sichtlich unangenehm ist, über die CD zu sprechen, lautet: „Mir gefallen die neuen Versionen meiner Songs. Den jungen Leuten kommt jetzt die Aufgabe zu, dieses Repertoire einer neuen Generation zu vermitteln.“ Von einem „Tribute“-Album zu reden, lehnt er völlig ab.
Bruce Springsteen, Jackson Browne und Bonnie Raitt (mit der für einen Grammy nominierten Reggaeversion von „Kisses Sweeter Than Wine“), Billy Bragg, Judy Collins, Peter, Paul and Mary sind ebenso vertreten wie der Schauspieler Tim Robbins und der Pulitzer-Preisträger Studs Terkel. Hinzu kommen weitere politische Liedermacher und Musiker aus Bosnien (Vedran Smailovic), Irland (Tommy Sands), Schottland (Dick Gaughan, Donovan) und Kanada (Bruce Cockburn).
In enger Zusammenarbeit mit Pete Seeger hat Jim Musselman die Songs für die Doppel-CD ausgesucht und sie den verschiedenen Sängerinnen und Sängern zugeordnet. „Ich wollte, dass jeder ein Lied beisteuert, dass auch zur jeweiligen Persönlichkeit passt“, sagt Musselman und nennt als ein typisches Beispiel den bislang unveröffentlichten Titel „Festival Of Flowers“, den Seeger zu einer mexikanischen Melodie schrieb. „Und da Tish Hinojosa eine Menge Tex-Mex-Musik spielt, dachte ich, das ist der richtige Song für sie.“ Natürlich sind auch Seeger-„Klassiker“ wie „If I Had A Hammer“, „Turn, Turn, Turn“ und „We Shall Overcome“ unter den 39 CD-Titeln mit einer Spielzeit von weit über zwei Stunden.
Nur auf der Wundertüte-Ausgabe der Doppel-CD, das mit einem ausführlichen und mit viel Liebe gestalteten Booklet versehen ist, ist auch ein deutscher Liedermacher vertreten: Reinhard Mey. Sein Beitrag ist der Titelsong „Where Have All The Flowers Gone“. In Französisch gesungen. Die Entscheidung für Reinhard Mey begründet Wundertüte-Chef Carsten Linde damit, dass dessen Vorliebe für Pete Seeger schon zur Zeit der Waldeck-Festivals in den Sechzigerjahren bestanden habe. Schon damals habe der noch junge Liedermacher gesagt, dass er gerne so wie Pete Seeger Songs schreiben würde: „Sehr einfach, trotzdem unglaublich bewegend und mit populären Melodien rübergebracht.“ Für das CD-Projekt habe er eigentlich eine neue deutsche Bearbeitung von „Where Have All The Flowers Gone“ schreiben wollen, da ihm der Text, den Marlene Dietrich einst sang, nicht gefällt. Leider habe Reinhard Mey es nicht rechtzeitig geschafft. Und da er im Grunde seiner Seele ja ein halber Franzose sei, habe er eben die französische Fassung aufgenommen. „Und die ist ihm ganz gut gelungen“, fügt Carsten Linde hinzu.
Dem eingefleischten Seeger-Fan fällt natürlich auf, dass ein Name unter den rund fünfzig Interpretinnen und Interpreten fehlt: Bob Dylan. Ein Kommentar hierzu fällt Produzent Jim Musselman sichtlich schwer. Schließlich hatte auch er fest damit gerechnet, den letztjährigen Grammy-Gewinner auf seinem Projekt präsentieren zu können. Offensichtlich zog Dylan eine bereits eingespielte Aufnahme in letzter Minute zurück, weil er nicht damit zufrieden gewesen sei und auch keine Zeit mehr gehabt habe, einen neuen Titel aufzunehmen. Vielleicht war Dylan ja gerade wieder wegen eines Privatkonzerts in Las Vegas für die Herren der Rüstungsindustrie unabkömmlich (s. Kommentar von Paul Williams zu Dylans Privatkonzerten in diesem Heft)? Jim Musselman gibt die Hoffnung dennoch nicht auf. „Bei der geplanten zweiten Ausgabe von The Songs Of Pete Seeger ist Bob Dylan dabei“, versichert er voller Zuversicht.
Für den Folker! hat Jim Musselman in einem sehr persönlichen Beitrag aufgeschrieben, was ihn bei der Produktion von Where Have All The Flowers Gone – The Songs Of Pete Seeger bewegt hat.
Pete Seeger hat mit seinen Songs und seiner Vision das Leben vieler Menschen überall in der Welt beeinflusst. Wo immer ein Kampf um soziale Gerechtigkeit stattfindet, hört man Petes Lieder. Von Selma, Alabama, bis zum Tianaman Square. Von Polen bis zu den Straßen von Washington, D. C. Überall haben Petes Songs die Menschen stark gemacht. Sein Traum von einer besseren Welt handelt von Frieden, einer geschützten Umwelt, sozialer Gerechtigkeit und gegenseitiger Toleranz aller Menschen. Er selbst und seine Lieder standen an der Spitze der Bürgerrechtsbewegung, der Gewerkschaften sowie der Frauen- und Umweltschutzbewegung.
Als ich mit dem Projekt „Where Have All The Flowers Gone – The Songs Of Pete Seeger“ begann, stand ich vor einem fast unlösbaren Problem. Wie kann man das Wesen eines Mannes auf einer CD einfangen. Eines Mannes, den Martin Luther King als Inspiration bezeichnete und Bob Dylan als Heiligen. Eines Mannes, der die lebende Verbindung von Leadbelly, Woody Guthrie und Paul Robeson zu Bruce Springsteen und Ani DiFranco darstellt. Bevor ich mich an die CD ranmachte, bin ich erst einmal total in das Leben dieses Mannes eingetaucht. Ich hörte mir jede einzelne Platte an, die er in seinem Leben gemacht hat, und schaute mir jeden Song an, den er je geschrieben hat. Ich betrachtete es als eine Art musikalische Biografie Petes, deren Autor ich war. Beim Studium seines Lebens und seines Werks wurde mir klar, dass sein Mitgefühl und seine Liebe für die Menschheit ohnegleichen sind.
Ein erstaunlicher Aspekt in Petes Leben ist, dass seine Lieder um die Welt gegangen sind und ihre Spuren im öffentlichen Bewusstsein hinterlassen haben, obwohl er in der McCarthy-Ära auf der schwarzen Liste stand und im Fernsehen auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere nicht auftreten durfte. Er stand in vorderster Front im Kampf gegen den in Form des McCarthyismus in den USA aufgetretenen Faschismus. Er war bereit, ins Gefängnis zu gehen, um die jedem Amerikaner durch die Verfassung garantierte freie Meinungsäußerung zu verteidigen. Leider erinnern sich heute nur noch wenige an diese Seite von Pete und die Kraft seiner Überzeugung.
Was mich wirklich bei der Produktion dieser CD bewegte, ist die Einstellung der Künstler zu Pete Seeger und ihre Reaktion auf meine Bitte, sich an dem Album zu beteiligen. Die meisten fühlten sich geehrt und wollten Pete auf diesem Weg danken für das, was er ihnen gegeben hat. Ani DiFranco ließ alles stehen und liegen und hatte innerhalb eines Monats ihren Song aufgenommen. Bruce Springsteen brauchte eine Woche und flog auf seine Kosten die Musiker zu den Aufnahmen seines Beitrags ein. Bruce arbeitete an sieben verschiedenen Songs von Pete, bevor er sich für „We Shall Overcome“ entschied. Fast jeder einzelne beteiligte Künstler sprach davon, dass man sich Pete gegenüber in der Schuld fühle angesichts seines Lebenwerks und dessen, was er für die Musik und die Menschheit getan habe. Das spricht Bände über das Ausmaß von Respekt, den die Künstler für Pete Seeger empfinden. Ich erinnere mich daran, wie ich Pete anrief, um ihm zu sagen, dass Bruce ein Stück für die CD aufgenommen hat. Zunächst war Schweigen am anderen Ende der Leitung und dann sagte Pete nur: „Ich bin platt.“ Für Pete sind seine Songs wie Kinder. Und sie erneut um die Welt gehen zu sehen, war eine der Absichten, die ich mit diesem Album hatte.
Über die Reaktionen darauf haben wir uns beide sehr gefreut. Die persönlichen Briefe über Pete und die CD, die ich erhalten habe, waren sehr bewegend. Viele haben geschrieben, daß dieses Projekt und Petes Songs das Feuer wieder entfacht hätten, dass sie aus den Sechzigerjahren noch in sich spürten. Ein führender Geschäftsmann schrieb mir, dass er sich nach dem Anhören des Albums als freiwilliger Helfer in einer Suppenküche gemeldet hätte. Andere spürten die Aufbruchstimmung, die in der CD steckt. Und Pete war besonders stolz darüber, dass der Song „Where Have All The Flowers Gone“ zu einer Hymne für die Friedensbewegung in Nordirland geworden war.
Pete Seeger hat das Leben vieler Menschen auf dieser Welt verändert. Wie die endlosen Wellen in einem See haben Petes Songs und seine Philosophie viele Menschen auf diesem Globus berührt. Ein großer Philosoph hat einmal gesagt: „Vergewissere dich, dass die Helden in deinem Leben tot sind, und sie so deine Helden bleiben können.“ Pete Seeger hat für mich diesem Sprichwort einen anderen Sinn verliehen. Wegen Pete Seger haben viele Menschen ihr Leben dem Einsatz für soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Gleichheit sowie der Hilfe anderer gewidmet. Daran lässt sich die wahre Größe eines Menschen messen.
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Jim Musselman |