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Pete Seeger 90

Artikelauszug
 

All die guten Lieder

PETE SEEGER IN BERLIN*

Von Thomas Rothschild

Pete Seeger in der Schaubühne 1967

* Der Text ist mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Edition Mnemosyne dem Booklet der Doppel-CD Pete Seeger in der Schaubühne entnommen (Edition Mnemosyne, 2007). Sämtliche Schreibweisen entsprechen dem Original.

Man kann es so sehen wie der Mathematiker und Singer Songwriter Tom Lehrer. Der sang einst in seinem Rollenlied The Folksong Army zum Klavier, das er eine „achtundachtzigsaitige Gitarre“ nannte: „Erinnert euch an den Krieg gegen Franco. Da gehört jeder von uns hin. Er hat zwar alle Schlachten gewonnen, aber wir haben all die guten Lieder.“

Aber der Spötter verstummte, als der seinerzeitige Außenminister der USA, Henry Kissinger, den Friedens-Nobelpreis bekam. „Jetzt schreibt das Leben die Satiren“, meinte Tom Lehrer und beschloss, fortan keine Songs mehr zu schreiben.

Pete Seeger, Februar 1967

Mag sein, daß Pete Seeger und seine Freunde, auf die der kollegiale Spott Tom Lehrers zielte, ein wenig naiv waren, daß sie die Macht des Gesangs überschätzt, die Möglichkeiten engagierter Kunst idealisiert, daß sie das gute Gefühl, das die richtige Gesinnung auslöst, gelegentlich mit politischer Wirkung verwechselt haben – sympathischer als die Zyniker unserer Tage, die sich mit den Herrschenden ausgesöhnt haben, die für jede Parteinahme zugunsten der Erniedrigten und Beleidigten bloß ein feistes Grinsen übrig haben, die nur in Kategorien der Karriere und des Einkommens denken, sind sie allemal, die Protestsänger und ihre eher besorgten als hämischen Kritiker à la Tom Lehrer.

Cover Pete Seeger in der Schaubühne

Wie die deutschen Romantiker des frühen neunzehnten Jahrhunderts glaubten sie an die Wahrheiten, die im „einfachen Volk“ aufbewahrt sind, sammelten sie die Lieder der Völker, überzeugt davon, daß es zur Verständigung und zum Weltfrieden beitrage, wenn man die Sprachen der anderen lernt und gemeinsam singt. Aber sie hatten auch ganz unverblümt Freude an eingängigen Melodien, an unterschiedlichen Rhythmen, an der Poesie, den Bildern, den Reimen, die Kinder- und Liebeslieder, Balladen und Arbeitslieder enthalten. Der Gestus der Freundlichkeit, der die Folkbewegung auszeichnet, blieb auch erhalten, als mit seiner aggressiveren Pose der Rock, dessen Publikum sich mit dem des Folk überschnitt, ja oft mit ihm identisch war, zum dominierenden musikalischen Idiom der Jugend wurde.

Zum Fotografen

Jürgen Henschel wurde 1967 mit seinem Foto von dem erschossenen Studenten Benno Ohnesorg bekannt, dem eine entsetzte junge Frau zu helfen versucht. 1923 geboren, begann der Autodidakt Anfang der Fünfziger zu fotografieren. Von 1967 bis 1988 arbeitete er als Pressefotograf für Die Wahrheit , das seit 1955 erschienene Organ der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins. In dieser historisch bedeutenden Zeit des Umbruchs wurde Henschel ein wichtiger Dokumentarist der Entwicklung von Gegenkultur und außerparlamentarischen politischen Ereignissen.

Pete Seeger, neben Woody Guthrie einer der beiden Väter des amerikanischen Songs of Protest , von denen Bob Dylan und Joan Baez und viele andere gelernt haben, hat sich niemals nur als Sänger verstanden. Er hörte nie auf, für Menschenrechte zu kämpfen, gegen Rassismus und Kriegshetze. Er zählt mit Sicherheit zu den moralisch integersten und nobelsten Künstlern seiner Generation.

Pete Seeger mußte, wie viele Künstler und Intellektuelle seiner Generation, vor dem Komitee für unamerikanische Tätigkeit, dem berüchtigten McCarthy-Ausschuss antreten. Lange Zeit blieben ihm die Rundfunkanstalten versperrt, und auch die Gewerkschaften der Vereinigten Staaten, die den Kalten Krieg eifrig mitmachten, distanzierten sich von ihm. Er und Woody Guthrie galten sonderbarerweise als Linksradikale, die sie in Wirklichkeit niemals waren. Kennzeichnend ist für beide vielmehr ein fast religiöser, menschenfreundlicher, versöhnender Gestus, der ihre Lieder ebenso prägt wie ihre Auftritte und ihre Kommunikation mit dem Publikum. Arlo Guthrie, der Sohn Woody Guthries, hat sich einmal in freundschaftlicher Weise lustig gemacht über Pete Seegers missionarischen Eifer, mit dem er das Publikum zu animieren bemüht war.


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