Liebe Musikfreundinnen und -freunde,
Themen wie Folk, Lied und Weltmusik haben es in den Massenmedien
bekanntlich nicht leicht. Meist werden diese Musikgenres, weil kein Massenprodukt
und daher nicht ausreichend vermarktbar, schlicht ignoriert. Insofern ist
es schon erstaunlich, dass sich die Wochenzeitschrift stern sogar
zu einem persönlichen Schreiben herabließ, um einen Themenvorschlag
des Folker!-Lesers Günter Schullenberg abzulehnen. Die Begründung
der Redaktion Kultur und Unterhaltung hat, wie ich finde, einen hohen Grad
an Originalität: Leider ist es uns aus Platzgründen nicht
möglich, einen Beitrag zum 60. Geburtstag des Liedermachers Hannes Wader
zu veröffentlichen.
Stichwort Qualität und Absatz. Nach einer amerikanischen Studie
sind die Ursachen für die Abnahme der CD-Verkäufe mangelnde
Qualität der Musik und kritische Konsumenten. Am Umsatzrückgang
der Plattenindustrie sind demnach nicht die Online-Tauschbörsen schuld,
sondern die Musikindustrie selbst, die immer mehr schlechte Musik auf den
Markt bringt. Eine Entwicklung, die Musik und Literatur gleichermaßen
betrifft. Josef-Stefan Kindler und Andreas Otto Grimminger von der K&K
Verlagsanstalt sprechen in diesem Zusammenhang in einem Diskussionspapier
vom dirnenhaften Ausverkauf von Werten gesellschaftlichen
Werten. Sie fragen, wer eigentlich noch vom inhaltlichen Wert einer
CD oder eines Buches spricht. Ist es denn niemandem mehr bewusst, dass
es um den musikalischen oder literarischen Inhalt geht und man letztlich
diesen kauft und nicht das Polycarbonat oder das buntbedruckte Papier?
Und weiter führen Kindler und Grimminger aus, dass die wenigen
Produzenten und Verlage, die sich der Sache neue Musik und neue Gedanken
braucht die Welt' verschrieben haben, durch das Verramschen im Namen der
... Götter (gemeint sind die Götzen Betriebswirtschaft,
der Gott Marketing und die Göttin Below the line;
MK) geopfert werden. Die Industrie arbeitet nach dem Prinzip je
höher die Stückzahl, desto kleiner der Preis. Kleine Auflagen
mit interessantem Inhalt und bleibendem Wert sind deshalb immer schwerer
finanzierbar. Die im Anschluss gestellte Frage leite ich zur Selbstprüfung
der Folker!-Leserinnen und -Leser weiter: Kaufen Sie heute eine CD
oder ein Buch, wenn es morgen als Taschenbuch, als Sampler im Aldi oder für
fünf Euro nach einem Jahr im modernen Antiquariat zu haben
ist?
Gefahr für Musik und Literatur droht aber nicht nur von dieser
Seite. Die politische Entwicklung seit dem 11. September 2001 (s. auch Editorial
in Heft 5/2002) tut ihr Übriges. Zensur und Selbstzensur allerorten.
Vor allem die Entwicklung in den USA könnte man als zunehmend
lächerlich bezeichnen, wenn sie nicht so ernsthafte Folgen für
die Betroffenen zeigen würde. Die Visa-Hürden, die ausländische
Künstler zu überwinden haben, um in den USA auftreten zu können,
werden offensichtlich immer schwieriger zu bewältigen. Jüngste
Opfer waren im September alle 22 für einen Latin Grammy nominierten
kubanischen Musiker, darunter der Pianist Chaco Valdés, weil sie ihre
Visa nicht rechtzeitig bekamen. Kommentar von Stuart Patt, dem Sprecher der
Konsularabteilung des amerikanischen Außenministeriums: Tatsache
ist, dass es viele Leute auf der Welt gibt, die Musik und Auftritte für
ihre eigenen bösen Absichten missbrauchen. Und er fügte hinzu,
das sei nun einmal die neue Realität, an die sich die Künstler
gewöhnen müssten.
Wie Sie sich sicherlich denken können, bin ich da ganz anderer
Ansicht. Daher wird auch das Thema des Folker!-Gesprächs beim Festival
Musik und Politik 2003 im Februar in Berlin Zensur und die Reaktion
der Musikszene nach dem 11. September lauten. Ein Termin, den es sich
jetzt schon vorzumerken lohnt.
In diesem Sinne entlasse ich Sie in die Lektüre der neuen
Folker!-Ausgabe, die wieder einmal voll gepackt ist mit informativen und
unterhaltsamen Beiträgen aus den Bereichen, Folk, Lied und
Weltmusik.
Ihr Folker!-CvD
Michael Kleff
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