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Frankreich spezial

Tour de France musicale

Unserem Nachbarn Frankreich ist der diesjährige Länderschwerpunkt beim TFF.Rudolstadt gewidmet. Ein Grund mehr für die Folker!-Redaktion in einem eigenen Schwerpunkt Facetten der vielfältigen französischen Szene und einige der in Rudolstadt auftretenden Künstler vorzustellen. Gleich ein halbes Dutzend Autorinnen und Autoren hat sich an die Arbeit gemacht: Suzanne Cords beschäftigt sich mit Julien Jacob - dem exklusiven Homepageartikel in diesem Monat -, mit noJazz und mit Babylon Circus. Gerd Heger nimmt das TFF-Programm kritisch unter die Lupe und wirft einen Blick auf die aktuelle Chanson- und Festivalszene Frankreichs. Kai Schmidt porträtiert Françoiz Breut, die Stimme der Nouvelle Scène Française. Die Weltmusik im „Hexenkessel Hexagone“ stellt Stefan Franzen in seinem Beitrag dar. Und Christian Rath hat sich auf die Suche nach der traditionellen Folkmusik in Frankreich gemacht. Stephan Göritz schließlich hat im Gespräch mit Patrice Hourbette herausgefunden, was der Leiter der deutschen Zweigstelle des Bureau Export de la Musique Française in Berlin als „französisch“ ansieht.


CDs

Ein kleiner, zufälliger Querschnitt durch aktuelle französische Produktionen, wie sie die Folker!-Redaktion erreichten. Zu beginnen wäre mit RAOUL PETITE, La Grande Histoire De Raoul Petite (Raspigaous/Arsenic et Champagne, 19 Tracks, 76:21, mit DVD, go! www.raoulpetite.com). Die ganze Geschichte des alternativen Rock made in France auf CD und DVD. Schon 25 Jahre toben Raoul Petite in verschiedensten Besetzungen über die Bühnen des Hexagone, ein Wunder, dass sie nach wie vor existieren mit geschmacksdiskutablem, multimusikalischem Fetenrock à la Les Négresses Vertes. Multikulti und „realistisches Chanson“ kommen aus Marseille: ON S’FAIT UNE BOUFFE, Portraits Crachés (Rebrousse Poil Productions/Atoll Music, 14 Tracks, 45:57, mit frz. Texten, go! onsfaitunebouffe.free.fr.). Diese „hingeworfenen Portraits“ von Loosern und „Barhaltern“ in der Atmosphäre der Bistros von Marseille bis Lille stehen in bester Tradition - und haben nichts Aseptisches. Auch musikalisch typisch Chanson Réaliste (akustisch, zeitlos, französisch, heutig, rockig im Geiste). Nachbarn in Marseille sind DUPAIN: Les Vivants (Bleu electric/Rough Trade LBL 4012, 11 Tracks, 51:15, mit frz. und okzitanischen Texten). Elektrisch, Ragga-(un-)muffig, repetitiv bis zur Trance und mediterran klingen Musik und Akzent dieser 21st-Century-Nachfahren der Troubadoure. Zu empfehlen als Antwort auf die Frage, warum Traditionspflege hierzulande oft an der Jugend vorbei geht: Weil sie museal und altmodisch ist. Das ist nicht das Problem von Arnaud Méthivier, zu klein ist auch ihm die Chansonschublade. Weil sein Name zu lang ist, nennt er sich jetzt Nano. NANO, L’Autre Côte Du Vent (Bleu Electric/Rough Trade, 11 Tracks, 55:13, mit frz. Texten) - mit Wind kennt er sich aus, kommt er doch aus dem flachen Orléans, wo Winde über Weizenfelder pfeifen. Das windselige Akkordeon ist seine große Liebe, dem er mithilfe von Elektronik alles entlockt, auch Töne. Arnaud-Nano ist absolut kompromisslos, immer wieder überraschend, kommunikativ und versponnen, dabei weltweit unterwegs. Kein Wunder, dass er mit Leuten wie Marcel Kanche befreundet ist: MARCEL KANCHE, Vertiges Des Lenteurs (Bleu Electric/Rough Trade, 80732-1, 52:01, 12 Tracks, mit Booklet und frz. Texten, go! www.marcelkanche.com). Kanche, inzwischen über 50, tomwaitst sich durchs Leben, poetisch, eckig, kantig, sympathisch. Da wird mit Sprache und Klängen gespielt, erfolglos, belächelt von Flachen, fragend: „Gilt diese Idee immer noch?“ Tiefe, mit der sich junge Popchansonleute kaum belasten. Ob in Deutschland angesiedelt wie THIERRY CADET, der mit Postscriptum (11 Tracks, 42:15, www.thierrycadet.com) ein erstaunlich leichtes, ganz aktuelles, leicht hörbares Album vorlegt, das in die hiesige Le-Pop-Welle passt (go! www.lepop.de); oder in Paris wie EVA MARCHAL: Paradigme (Bulldog Music, go! www.evamarchal.net). Die junge Frau aus La Rochelle, die mit einem wichtigen Jazzmusiker zusammenlebt und -arbeitet (Claude Salmieri), setzt nach Angriffen gegen die Hitparade nun auf sinnliche Lolitastimme (ein Topos in Frankreich) und melancholische Jazzelektroklänge, teilweise mit Ohrwurmqualität („Unique Pensée“) - lounge- und sommerabendtauglich. Wie auch FRED POULET: Milan Athletic Club (Bleu Electric/Rough Trade, 12 Tracks, 37:57). Der ist poppig, zum Glück witzig, alternativ, minimalistisch und gewinnt beim Hören. Dagegen sind sie Chansonhandwerker: VIRGINIE & DOMINIQUE - Chanson Zanimées (4 rue des Fleurs, F-68700 Steinbach, 14 Tracks, 47:07, www.leventenpoupe.net). Die ganze Tradition eines Prévert, Boris Vian oder Brassens klingt an bei dem Duo aus dem Elsass, das beginnt, in Frankreich bekannt zu werden. Gekonnt. Und angenehm produziert. Die Produktion ist ein leichter Pferdefuß bei Nadia Zs erstem Opus mit Eigenem: NADIA Z, Rêve d’Amour (Zeltzer, 11 Tracks, 33:52, go! www.nadia-z.de). Gute Chansons, eine Stimme, die an Barbara erinnert, viel Gefühl - Nadia Z ist eine dieser Französinnen in Berlin (wie auch Bérangère Palix, Corinne Douarre oder Françoise Cactus), die zum Glück nicht nur Piaf, Brel und Konsorten nachsingen, das allein ist schon lobenswert. Zum Schluss ein ganzes Land: Auch in Belgien singt man/frau Französisch - was gerne vergessen wird, obwohl die Leute um die Ecke wohnen - und wird deswegen staatlich gefördert. Wallonie Bruxelles Musique unterstützt mit Subventionen bei CDs, Touren und Projekten, auch in Deutschland. Und bietet - für Multiplikatoren kostenlos - einen schönen Querschnitt über das, was in Wallonien und Brüssel französisch und musikalisch klingt, die derzeit wichtigsten Künstlerinnen und Künstler sind zu finden auf - inklusive Kinderliedermacher: ARTISTES DE WALLONIE ET DE BRUXELLES Chanson? Non, Peut-être (WBM 154, 18 Tracks, 64:41, go! www.wbm.be). Unbedingt reinhören und einladen! Mit Karin Clercq, Stéphanie Blanchoud, Jean-Louis Daulne, Vincent Delbushaye, Daniel Hélin u. v. a.

Gerd Heger

 

RAOUL PETITE - La Grande Histoire De Raoul Petite

ON S’FAIT UNE BOUFFE - Portraits Crachés

DUPAIN - Les Vivants

NANO - L’Autre Côte Du Vent

MARCEL KANCHE - Vertiges Des Lenteurs

THIERRY CADET - Popscriptum

EVA MARCHAL - Paradigme

FRED POULET - Milan Athletic Club

VIRGINIE & DOMINIQUE - Chanson Zanimées

Festivals

Francofolies
Francofolies (go! www.francofolies.fr)
Ursprung aller frankophonen Popfestivals - Meer, Sonne, Musik in La Rochelle am Atlantik. Ins Leben gerufen vom Chansonpapst des französischen Rundfunks, Jean-Louis Foulquier. Nach wilden Jahren zu Beginn heute ein getreulicher Überblick über große und kleine frankophone Acts aus allen Musikbereichen. Seit 2005 komplett kommerziell organisiert. Ableger in Montreal (go! www.francofolies.com) und - Francofolies de Spanäher bei uns (ein Stunde von Köln entfernt) - in Spa in Belgien (mit deutlichem belgischem Einschlag; go! www.francofolies.be). Besonders spannend die Idee der „Fête à ...“: Mehrmals dürfen Künstler spezielle Abende gestalten, Duopartnerinnen und -partner einladen, Themenshows gestalten etc. Das deutsche Festival Francophonic in Berlin, Köln und München ist ursprünglich auch ein Ableger der Francofolies (www.francophonic.com).

Festi’Val-de-Marne
Festi’Val-de-Marne (go! www.festivaldemarne.org)
Auf fast 30 Städte verteiltes Festival im Oktober, das 2006 20 Jahre alt wird und den Entdeckungen im Chanson großen Platz (als Vorgruppen) einräumt. Eher etwas für Paris-Besucher, wegen der räumlichen Aufsplitterung des Festivals in der „grande périphérie“.

Chorus des Hauts-de-Seine Chorus des Hauts-de-Seine (www.hauts-de-seine.net/chorus)
Das 19 Jahre alte Festival ist für 2006 vom Frühjahr in die Vorweihnachtszeit verlegt worden - und bekommt einen zentralen Veranstaltungsort in einem großen Zelt im Pariser Défense-Viertel. Ähnliche Zielrichtung wie das Festi’Val-de-Marne, mit zwei Wettbewerben für Chanson und Rock.

Paroles et Musiques (go! www.paroles-et-musiques.net)
Das kleine Festival Anfang Mai in Saint-Etienne versucht, die interessantesten neuen und jungen Trends im Chanson aufzuzeigen, eher „chanson de qualité“ als breitenwirksame Acts. Auch hier gibt es einen Wettbewerb.

Alors ... Chante ! Alors ... Chante ! (go! perso.wanadoo.fr/alors-chante)
In der Wichtigkeit hinter den Francofolies die Nummer zwei, vor allem, wenn man sowohl Topacts als auch Newcomer im Chanson geballt erleben möchte. Ende Mai ist es im Tal der Garonne schon angenehm warm, und dieses Jahr steigt in Montauban bereits die 21. Ausgabe (23.-28.Mai). Mehrere Auszeichnungen und Preisverleihungen sind mit Alors ... Chante! gekoppelt.

Mars en Chansons Mars en Chansons (go! www.marsenchansons.be)
Die Region um das belgische Charleroi (Billigflieger-Flughafen), aber auch die Hauptstadt Brüssel bieten Raum für dieses sehr anspruchsvolle Festival. Hier müssen die Gruppen und Künstler den Festivalleitern gefallen - Punkt, c’est tout. Einen Monat lang - mit deutlichem belgisch-frankophonem Einschlag - trifft sich ab Anfang März die Chansongemeinde, und die Klassiker werden nicht vergessen.

Chansons de Parole (go! www.chansonsdeparole.com)
Der Titel lügt nicht, in Barjac in der Ardèche treffen sich die Liebhaber des guten und wahren Textchansons - und zwar in der Hauptreisezeit (das könnte auch ein paar Deutsche interessieren). Die Macher sind selbst Chansonkünstlerinnen und -künstler - und wer glaubt, es gäbe in Frankreich keine Liedermacher mehr, der wird hier eines Besseren belehrt.

Weitere interessante Festivals:
Festival Interceltique
Festival Interceltique (go! www.festival-interceltique.com) - wie der Name schon sagt, sonst muss man dazu nix sagen; Festival des Vieilles Charrues (go! www.vieillescharrues.asso.fr) - vier Julitage in der Bretagne mit Happeningcharakter, Zelten und Woodstock-Feeling; Eurockéennes (go! www.eurockeennes.fr), das französische Rock-am-Ring (etwas härter) Anfang Juli, im Südelsass, nicht weit von der Grenze; Festival des Artefacts (go! www.festival.artefact.org/2006) in der Hall Rhénus in Straßburg Ende April - die großen Namen des französischen Alternativrock und -pop; Les Déferlantes Francophones (go! www.deferlantes-francophones.com) - eklektische Auswahl kanadischer frankophoner Gruppen bezeichnenderweise in Capbreton nahe Biarritz zu erleben, mitten im Sommer.

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im Folker! 3/2006