Von Gerd Heger*
„Je voudrais du soleil vert / Des dentelles et
des théières / Des photos de bord de mer / Dans mon jardin
d’hiver. - Ich möchte eine grüne Sonne, / Spitzendeckchen und Teekannen,
/ Photos vom Meerestrand / In meinem Wintergarten.“ Ein melancholischer
Bossa steht am Anfang dessen, was heute unter der erhellenden Bezeichnung
Nouvelle Chanson von Medien und Plattenfirmen gehandelt wird.
Ausgerechnet Opi Henri Salvador, zu dem Zeitpunkt die Bagatelle von 83
Jahren alt, verhalf im Jahre 2000 einer neuen Generation von
Chansonmacherinnen und -machern zum Erfolg.
Mit den Tantiemen und dem Renommée von „Jardin d’Hiver“ starteten Keren
Ann Zeidel und Benjamin Biolay ihre internationalen Karrieren. Der eine,
Popwonderboy, unermüdlicher Studioarbeiter, Gainsbourg von allen Heutigen am
ähnlichsten, er ist inzwischen mit der Tochter von Mastroianni und Deneuve
verheiratet. Die andere, gebürtige Israelin, Adeptin einer unendlichen
Psychoanalyse und Klarinettenamateurin wie Woody Allen, sie hat sich ein
Zwei-Zimmer-Appartement in Montmartre kaufen können: viel Glamour im
Chambre Avec Vue (so hieß das Salvador-Comebackalbum, das sich über
eine Million Mal verkaufte). Den Weg machten sie frei für Vincent Delerm,
Bénabar, Jeanne Cherhal, Cali, Sanseverino, Raphaël, Matthieu Chedid (für
Freunde M), Albin de la Simone, Aldebert, Tété, Bastien Lallemant, Olivia
Ruiz, Loïc Lantoine, Franck Monnet, Anaïs, Florent Marchet, Emilie Simon,
Emilie Loizeau (reicht’s?). Nicht zu reden von den jungen Damen und Herren,
die sich im Gefolge der legendären Têtes Raides (inzwischen ja auch schon
locker über zehn Jahre tätig) als Amélie-les-crayons (Lyon), Les Hurlements
d’Léo (Bordeaux), Les Blaireaux (Lille), Le P’tit Jézu (Metz), Les
Souricieuses oder Les Papillons (Nancy), Les Ogres de Barback (Paris), La
Tordue (Paris), Drôle de Sire (Paris), Tryo (vom Land), Weepers Circus
(Straßburg), Marie et ses Beaux Courtois (Beaucourt/Paris), Martine City
Queen (Paris) oder Les Fouteurs de Joie (Paris) unter dem Regenschirm des
Nouvelle Chanson Réaliste austoben.
Nicht dass diese namentropfende Liste erschöpfend wäre - wie der
französische Rap bis zu zehn „Tribus“ in jeder Stadt entstehen ließ (auch in
Kleinstädten), so hat das Nouvelle Chanson zu ebenso vielen Gruppen,
phantasievollen Bandnamen und ebensolchen, teilweise sehr unterschiedlichen
Chansons geführt. Und wenn die Saint-Étienner Band Mickey 3D oder Louise
Attaque dann als Cousins der abgedankten Noir Désir ihr zugegebenermaßen
wenig spaßiges Rockwörtchen mitreden, dann schweift der Blick auch an den
Atlantik, wo - mittlerweile ebenfalls seit ordentlich mehr als zehn Jahren -
Dominik A über die andere atlantische Gemeinde des innovativen Labels
Lithium (Nantes) herrscht, zu der im weitesten Sinne Francoiz Breut (s.
Artikel in diesem Heft), Katerine, Bertrand Betsch, Mathieu Boogaerts
(Belgien), Jean Bart (Schweiz), Silvain Vanot, Miossec, Jérôme Minière oder
Julien Baer gehör(t)en. Yann Tiersen, von dem man hierzulande vor allem die
Filmmusik zur Wunderbaren Welt der Amelie und zu Good bye,
Lenin! kennt, kommt auch von da. Das Nouvelle Chanson - eine fast
unüberblickbare Vielfalt, die mit netten Onkels und Tanten lebt wie Dick
Annegarn, Clarika oder Thomas Fersen, von ferne aus den 70ern winkt Higelin,
später dann Étienne Daho oder Charlélie Couture oder Kent ... Und die Mädels
haben durchaus das eine oder andere Francoise-Hardy-Album in den iPod
eingegeben.
Diese wahre Masse von Leuten wird jetzt, auch weil’s kommerziell erfolgreich ist, unter dem Schlagwort Nouvelle Chanson vermarktet. Ein Erfolg, der aber durchaus nicht den großen Plattenfirmen zu verdanken ist. Independent Labels wie tôt Ou tard haben daran Anteil, das schon erwähnte Lithium, Autre Distribution oder Productions Spéciales und natürlich Boucherie Productions seligen Angedenkens. Das Publikum auch, denn Jeanne Cherhal oder Bénabar, Louise Attaque oder Sanseverino verdanken ihren heutigen Erfolg ursprünglich nicht den Radios (ein paar öffentlich-rechtliche und ein paar alternative Vereinsradios mal ausgenommen) und auch nicht dem Fernsehen (dort singt man laut und sportlich, sitzt in Schlössern und wird von Star-Ac’-Superstar-Juroren benotet). Es waren ein paar immer neugierige Chansonjournalisten, ein bisschen das Internet, aber vor allem die Festivals und Chansonkneipen und -keller, die sie unter die Leute brachten. Und was erzählen diese „Thirty Somethings“ so?
* Gerd Heger ist Chansonspezialist beim
Saarländischen Rundfunk und gestaltet die einzige wöchentliche Sendung zum
frankophonen Chanson im deutschen Radio, das RendezVous Chanson,
sonntags, 21.00 Uhr, SR 2 KulturRadio, www.sr2.de/webradio,
www.sr2.de/rendezvous-chanson.
Sämtliche erwähnte Interpreten sind im Internet zu finden.
Die wichtigsten heutigen Chansonvermittler in Deutschland sind übrigens Rolf
Witteler und Oliver Fröschke ( www.lepop.de), Thomas Bohnet (
www.le-tour.net), Ulrich Patzwahl (NDR, RB) und
Stephan Göritz (Berlin), der ja auch immer wieder einmal für den
Folker! schreibt.
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