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Dieses Mal exclusiv auf der Folker!-Homepage:

Julien Jacob 2006

Die Reise ins Ich

Julien Jacob

Ein musikalischer Philosoph zelebriert den Klang der Stille

go! www.julienjacob.com
Discographie

Shanti (Warner, 2001)
Cotonou (Wrasse Records, 2005)

Magisch geht es in der Welt des Julien Jacob zu. Der charismatische Franzose afrikanischer Herkunft singt in einer imaginären Sprache und doch versteht man jedes Wort, denn der Sänger kommuniziert mit den Herzen seiner Zuhörer und nicht mit dem Verstand. Er ist ein Mann der leisen Töne, der mit minimalistischen Mitteln große Wirkung erzielt und mit Cotonou ein mehr als ungewöhnliches Album vorgelegt hat.

Von Suzanne Cords

„Idérarac nak’oum wokseltoup.“ Es sind seltsam verführerische Worte, die Julien Jacob fast zärtlich ins Mikrophon haucht. Worte, die es nur in seiner Welt gibt, denn der Sänger hat sich seine eigene Sprache erschaffen. So wie es Kinder tun, wenn sie einen neuen Kosmos ergründen oder Geheimnisse vor Erwachsenen haben. Doch im Gegensatz zu ihnen will Julien Jacob unbedingt verstanden werden, in seiner Heimat und überall auf der Welt. „Worte sagen viel und nichts aus“, erklärt er lächelnd, „bei Gefühlen ist das anders. Man muss sie nicht in andere Sprachen übersetzen oder interpretieren, jeder kann sie spüren. Daher gibt es bei mir auch keine Grammatik, mein Idiom soll nicht durch irgendwelche Regeln eingeengt werden.“

So setzt Julien Jacob nur auf die Vibrationen der Wortsilben, die manchmal - wie in einer afrikanischen Pygmäensprache - lautmalerisch knacken und zischen und dann wieder das Ohr umschmeicheln. Der Sänger verlässt sich auf das sinnliche Timbre seiner Stimme und auf seine charismatische Ausstrahlung, und es ist schier unmöglich, sich dem Bann seiner melodiösen Worte zu entziehen. „Afrikaner fragen mich oft, in welchem Dialekt ich denn eigentlich singe“, grinst Jacob und der Schalk blitzt in seinen Augen. „Das mag vielleicht wie ein Dialekt klingen, aber es ist wirklich meine ganz persönliche Sprache. Eines Tages klimperte ich auf meiner Gitarre so vor mich hin und plötzlich sprudelten die Worte einfach aus mir heraus. Es war nicht geplant, es kam einfach über mich, das war wohl meine Bestimmung. Aber es war ein langer Weg dorthin.“

Der lange Weg zurück zu den Wurzeln

Ein Weg, der Julien Jacob zu seinen afrikanischen Wurzeln zurückführte. „Der Klang dieser seltsamen erfundenen Silben hat mich auf gewisse Weise in die Heimat meiner Vorfahren zurückgeführt“, sagt er. „Meine Eltern stammen von den Antillen, von Guadeloupe und Martinique. Ich selbst bin in der Küstenstadt Cotonou im westafrikanischen Benin geboren, aber als ich vier Jahre alt war, sind wir nach Frankreich übergesiedelt. An meine früheste Kindheit in Afrika erinnere ich mich überhaupt nicht, und doch war der Julien Jacob Schwarze Kontinent immer irgendwie präsent in meinem Leben.“

Julien Jacob wuchs in Nizza auf, und wie alle seine weißhäutigen Freunde und Klassenkameraden schwärmte er für die Beatles und die Rolling Stones. Afrikanische Musik hörte er allenfalls im Elternhaus, wenn Freunde der Familie vorbeikamen. Vater Jacob war begeisterter Liebhaber der unterschiedlichsten musikalischen Klänge von Klassik bis Jazz und legte am Wochenende von morgens bis abends Schallplatten auf. „Diese Leidenschaft habe ich geerbt“, lächelt Julien Jacob. „Schon als sechsjähriger Knirps war mir klar, dass ich Sänger werden wollte. Eine Ausbildung habe ich nie gemacht, es war immer eine Sache des Herzens.“

Und so übte der Teenager unermüdlich hinter verschlossenen Türen, er sang, brachte sich als Autodidakt das Klavier- und Gitarrespiel bei und trommelte wie besessen, alles, um einmal ein großer Rockstar zu werden. Mit 17 schien sich sein Traum zu erfüllen, denn eine Schulband suchte Ersatz für den ausgefallenen Frontmann und engagierte Julien vom Fleck weg. „Damals, 1977, stand ich das erste Mal als Sänger einer Rockband auf der Bühne“, erinnert er sich. „Das war ein unbeschreibliches Gefühl. Wir sind sieben Jahre gemeinsam aufgetreten, aber dann spürte ich zunehmend ein Verlangen, mein eigenes Ding zu machen.“ 1983 verlässt Jacob die Formation. Fortan schlägt er sich so durch, arbeitet backstage bei Konzerten als Junge für alles und findet schließlich, inspiriert vom schwarzen Jazz eines Miles Davis oder John Coltrane, seine wahre Berufung zum sanften Poeten, der Afrika im Herzen trägt. „Es war eine mühselige Reise durch verschiedenste Gefilde, bis ich zurück zu meinen Wurzeln fand“, konstatiert Jacob, „denn mein Afrika existiert nur in meinem tiefsten Inneren. Aber mein Unterbewusstsein erinnert sich, es hat die Schwingungen des Kontinents aufgesogen, und jetzt lebe ich mein Afrika aus.“

Friedliche Krieger

Es ist ein besinnliches Afrika fernab traditioneller Kompositionen, das Julien Jacob zelebriert, auf seinem ersten Album Shanti ebenso wie auf seinem aktuellen Werk Cotonou - der Titel ist eine Hommage an Julien Jacob seine Geburtsstadt. Minimalistisch gibt sich die Percussion, dezent die Gitarre, der Barde Jacob liebt die leisen Töne. Er lässt die orientalischen Juwelen aus Tausendundeiner Nacht schimmern und blitzen, kreiert mit dem algerischen Gastsänger Rachid Taha eine Hymne auf Afrikas Klangwelten, besucht die Sufis bei ihren Ritualen und streift mit den Nomaden durch die einsame Savanne. Mal mit Reibeisenstimme, dann wieder mit zärtlichem Falsett umgarnt Julien Jacob sein Publikum und nimmt es mit auf eine wunderbare Reise in eine friedliche Welt.

Frieden, Stille und Besinnung sind überhaupt wichtige Worte im Leben des Julien Jacob. Deswegen hat er 1995 das hektische Paris verlassen und sich in die Bretagne zurückgezogen. Sein Haus steht einsam am Waldesrand, die Vögel zwitschern, und ein Bach plätschert im Garten. Hier macht er sich Gedanken über die Welt, das Leben und sich selbst. „Als ich vor elf Jahren meine imaginäre musikalische Sprache erfand, begann ich gleichzeitig, Bücher über innere Werte und die Magie des Lebens zu schreiben, über den Respekt, den wir dem Leben angedeihen lassen sollten“, erzählt er. „Es sind sehr intime Dinge, die sich auch in meiner Musik widerspiegeln. Oft kommen nach einem Konzert Leute zu mir und berichten mir mit Tränen in den Augen, dass meine Lieder ihnen Seelenfrieden und Lebensfreude gebracht haben. Das ist für mich sehr ermutigend, denn es zeigt doch, dass meine Arbeit einen Sinn hat.“

Nachdenklich schüttelt Julien Jacob den Kopf und fährt fort: „Ich habe mal eine ganze Nacht lang mit dem verstorbenen Fela Kuti über das Leben diskutiert. Er war politisch sehr engagiert und kämpfte mit seiner Musik gegen die Missstände in seiner nigerianischen Heimat, prangerte Folter und Mord an und wurde im Exil zur Stimme der Gequälten und Unterdrückten. Er war ein lauter Rebell, ich hingegen bin ein sehr ruhiger Mensch. Eigentlich sind wir sehr unterschiedliche Charaktere, und trotzdem glaube ich, dass wir beide auf unsere Weise friedliche Krieger sind. So wie jeder, der mit seinen Worten und Taten versucht, seinem Gegenüber die Botschaft von Gleichheit, Freiheit und Frieden zu vermitteln.“

Afrika in der Bretagne

Julien Jacob zumindest hat seinen inneren Frieden gefunden. Er ist überzeugt, dass er nicht nur in seinem Herzen seinen Heimatkontinent wieder gefunden hat, sondern in der Bretagne sogar ein zweites reales Afrika entdeckt hat. „Man sollte es nicht glauben“, lächelt er, „aber die keltisch-bretonische Musik hat ganz ähnliche Rhythmen wie die afrikanische und viele Melodiestränge entsprechen sich. Und wenn man sich die Landschaft anschaut, dann ist sie einerseits rau, wild und abweisend und dann wieder voller Sanftheit - genau wie Afrika.“

Julien Jacobs Heim in einem südbretonischen Dorf ist seine Zuflucht, es ist der Ort, wo er sich spirituell dahingleiten lässt und in einem improvisierten Studio mit ganz einfachen Mitteln seine Musik aufnimmt. Er braucht nur seine Stimme, die Gitarre und ein Mikro. „Mehr ist nicht nötig“, schmunzelt er. „Für die restliche Mischung gehe ich mit meinem alten Freund und Produzenten Ghislain Baran ins Studio. Er ist wirklich ein musikalischer Visionär.“ Für das Album Cotonou hat Julien Jacob außerdem den Mandolinen- und Lautenspieler Akim Hamadouche und den begnadeten Percussionisten Steve Shehan gewinnen können. Gemeinsam schaffen sie jene verführerische Traumwelt, die Jacobs Markenzeichen ist.

Für die Zukunft hat sich der 45-jährige musikalische Philosoph noch einiges vorgenommen. „Ich träume davon, nur noch die elementarsten musikalischen Stilmittel zu benutzen“, sinniert er. „Ich will mit Musik nicht die Stille vertreiben, sondern die Musik der Stille zum Klingen bringen. Meine Religion ist das Leben mit all seinen Facetten, ich versuche es zu verstehen. Ich bin immer auf der Suche nach dem inneren Einklang, ohne dabei irgendwelchen religiösen Doktrinen zu folgen. Und meine imaginäre Sprache hilft mir dabei, denn sie weist mir den Weg zu den Herzen.“

Plötzlich reißt jemand die Tür zur Künstlergarderobe auf, Julien Jacob muss zur Stimmprobe auf die Bühne. Im Hinausgehen lächelt er noch einmal jenes unwiderstehliche Lächeln und stimmt das Lied „Ankelson“ an: „Idérarac nak’oum wokseltoup inérac essaroum ...“ Es sind seltsam verführerische Worte.


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