(mit den jeweils aktuellen Alben der erwähnten Künstler)
Aïwa, Elnar (Wikkid Records) |
Wenn es um Weltmusik geht, genügt zu unserem linksrheinischen Nachbarn ein kurzer, neidvoller Blick, um feststellen: Deutschland ist noch immer Entwicklungsland. Wo bei uns erst seit kurzem eine afrodeutsche Szene keimt und das Schlagwort von „Germaica“, also jener jamaikabegeisterten Szene deutscher Musiker die Runde macht, sind in Frankreich seit Jahrzehnten arabische, afrikanische und karibische Klänge fest im nationalen Musikmarkt verwurzelt. Die ehemalige Einbahnstraße Afrika-Paris ist längst in beide Richtungen zweispurig ausgebaut und Paris schon lange nicht mehr ausschließliches kreatives Zentrum des Hexagone [aufgrund seiner Form wird Frankreich auch als l’Hexagone („Sechseck“) bezeichnet; Anm. d. Red.]
Von Stefan Franzen
Die Hochzeit der Raï-Chebs scheint vorüber zu sein. Neue Bands gehen weitaus zwangloser und auch ideenreicher mit arabischem Flair um: Les Boukakes pflegen mit ihrem algerischen Sänger Bachir Mokhtar und weiteren Mitgliedern aus Tunesien, Korsika und der Provence eine packende métissage aus E-Gitarren, Gnawa- und Reggaerhythmen, einen spannenden und zugleich sehr melodischen Maghreb-Rock. Hochpolitisch gehen Gnawa Diffusion, die Band des nach Grenoble emigrierten Exilalgeriers Amazigh Kateb ans Werk: Reggae, Dub und marokkanische Rituale gehen Hand in Hand mit Schmähhymnen auf George W. Die vielleicht großartigste Arab-Fusion-Formation zurzeit sind Orange Blossom aus Nantes, die zu den betörenden Vokalmäandern von Leila Bounous großorchestrale Arrangements mit globalem Dancefloor zusammenbringen. Ähnlich spannendes Arab-Crossover mit einem Akzent auf HipHop gestaltet die multinationale Band Aïwa aus Rennes um zwei irakische Brüder und die Sängerin Séverine. Noch experimenteller ist der Ansatz des Tunesiers Smadj (Jean-Pierre Smadja), der im DuOuD Virtuosität auf der arabischen Laute mit Elektronik verzahnt und neuerdings auch mit türkischen Musikern im Projekt SOS arbeitet.
Natürlich muss man beim Thema arabische Musik made in France Souad Massi (s. Folker! Heft 03/2004) besonders hervorheben: Die Algerierin hat seit 2001 eine beispiellose Karriere hingelegt, ihr drittes Album wurde im März mit einem Victoires de la Musique, dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik und dem Planet Award der BBC ausgezeichnet. Ihr Rezept: Ein neues arabisches Chanson mit Tupfern aus Schwarzafrika und Indien, und eine Stimme zum Dahinschmelzen.
Während sich die großen Exponenten afrikanischer Musik der 1980er und 1990er wie Youssou N’Dour und Salif Keita mittlerweile in ihren eigenen Studios zuhause in Dakar und Bamako von La Douce France freigeschwommen haben, bekennt sich der neue afrikanische Superstar auf seinem letzten Album eindeutig zu Frankreich. Lokua Kanza rühmt sich, auf dem Weg zum perfekten Afrochanson zu sein, holt sich für die Texte prämierte Literatinnen ins Team. Ebenfalls ein Liebesbekenntnis, in dem Fall zu Paris, versteckt sich in Fanias Album Naturel - die senegalesische Prinzessin kam in den 1980ern als Gaultier-Model an die Seine, tourte dann mit der Lambadatruppe Kaoma um die Welt. Mit 40 hat sie einen eigenen Afropop mit Sahel- und Musetteanteilen entwickelt. Überhaupt zeigt sich die frankosenegalesische Brücke derzeit hochfrequentiert: Ex-Touré-Kunda-Frontmann Ousmane Touré spielte 2005 mit Avenue Du Monde in Paris ein wunderbares Akustikpop-Œuvre ein, der Newcomer Meïssa macht uns mit der poetischen Ader des Expräsidenten Senghor bekannt.
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