FOLKER – Rezensionen

Rezensionen NORDAMERIKA / KANADA


RY COODER
Pull Up Some Dust And Sit Down

(Nonesuch Records 7559-79768-3/Warner Music, go! www.nonesuch.com )
14 Tracks, 61:26, mit engl. Texten

Nach Chávez Ravine von 2005 und My Name Is Buddy von 2007 hat Ry Cooder erneut ein durch und durch politisches Album vorgelegt. Cooders Vorbilder sind Musiker wie Woody Guthrie, Charlie Poole oder Uncle Dave Macon, die in ihren Songs nicht nur von eigenen Erfahrungen berichteten, sondern denen es auch gelang, komplexe Dinge für einfache Menschen verständlich machten. Cooders neuestes Werk ist eine einzige, mit viel Ironie präsentierte Anklage gegen die US-amerikanische Finanz- und Sozialpolitik. Mit „No Banker Left Behind“ über die Raubritter der Finanzbranche stimmt der Gitarrist und Sänger die Zuhörer auf seinen folgenden gesellschaftspolitischen Rundumschlag ein. In „John Lee Hooker For President“ kommt Cooders Enttäuschung über Obamas Amtsführung zum Ausdruck, indem er den Bluesmann als Präsidentschaftskandidat sagen lässt: „Lass dich nicht von den Republikanern verarschen und hab’ kein Mitleid mit den Demokraten.“ Inhaltlich und musikalisch – mit Unterstützung langjähriger Weggefährten wie Flaco Jiménez, Terry Evans und Jim Keltner – greift Cooder einmal mehr auf die Traditionen seines Landes zurück und beschwört mit ihnen seine Seele: Folk und Tex-Mex, Blues und Gospel.

Michael Kleff

 

RY COODER – Pull Up Some Dust And Sit Down


JIM FORD
Demolition Expert

(Bear Family Records BCD 17257 AH, go! www.bear-family.de )
30 Tracks, 78:35

Noch mehr Ausgrabungen aus dem Nachlass des großen, aber zu Lebzeiten notorisch erfolglosen Folk-Soul-Rockers. Die musikalischen Skizzen aus dem Wohnzimmer vermitteln wie ein Werkstattbesuch einen Eindruck von der verspielten, assoziativen Arbeitsweise des Songwriters, erweisen sich auf CD-Länge aber als ähnlich unbefriedigend wie etwa eine Packung Zwieback zum Mittagessen. Unverzichtbar ist der Kauf des Albums für Jim-Ford-Interessierte dennoch, allein schon wegen der berührenden Linernotes des Country-Got-Soul-Kompilatoren und Musikerkollegen Jeb Loy Nichols, der Fords Qualitäten auf unwiderstehliche Weise in den Himmel lobt und sich schließlich fragt, ob es den Mann überhaupt wirklich gegeben habe: „Vielleicht habe ich ihn erträumt. Ich habe mir den ultimativen Country-Soul-Outsider-Rebellen gewünscht und eines Nachts, bedürftig und fiebrig, bin ich eingeschlafen und habe geträumt.“ Wer mit Nichols’ eigenen Aufnahmen vertraut ist, in dem wächst angesichts der vorliegenden Songfragmente und seines obigen Bekenntnissea ein anderer Wunsch: Ach, nähme Nichols sich doch dieses Rohmaterials an, ginge ins Studio und baute daraus das ultimative Country-Soul-Album. Lasst uns träumen.

Gunnar Geller

 

JIM FORD – Demolition Expert


LE VENT DU NORD
Symphonique

(La Tribu TRCD 3029, go! www.leventdunord.com )
13 Tracks, 56:19

LES CHABONNIERS DE L’ENFER
Nouvelles Fréquentations

(La Tribu TRCD 7399, go! www.lescharbonniersdelenfer.com )
14 Tracks, 42:26

Zwei profilierte Bands aus Québec machen mal was anderes! Die vier Top-Instrumentalisten und -Sänger von Le Vent du Nord haben sich mit dem Orchestre Symphonique de Québec zusammengetan und es wurde nicht der befürchtete Overkill. Die Repertoirestücke sind durchaus sensibel arrangiert und orchestral begleitet. Trotzdem dominiert allerdings das Gefühl, dieses Material sei nicht für einen solchen Kontext gedacht. Die Live-Einspielung scheint eher ein Erlebnis für die Musiker und das Publikum vor Ort gewesen zu sein als für den Genuss der Zuhörer zu Hause.

Die „Kohlenmänner der Hölle“ sind als die führenden A-cappella-Interpreten der traditionellen Musik Québecs bekannt – und widmen sich dem Titel ihres neuen Albums entsprechend ausschließlich zeitgenössischem Material von Größen wie Neil Young, Daniel Lanois, Kate McGarrigle – oder Brecht/Weill! Das jedoch erledigen die fünf Herren mit ihren Markenzeichenharmonien, Fußperkussion und rhythmischem „Damdididdledidam“-Gesang. Damit haben sie sogar auf der Womex 2011 gepunktet. Zu Recht, denn die Verbindung zwischen neuem Material und traditionellen Elementen ist überzeugend.

Mike Kamp

 

LE VENT DU NORD – Symphonique

LES CHABONNIERS DE L’ENFER – Nouvelles Fréquentations


SHELBY LYNNE
Revelation Road

(Everso Records/Rough Trade Distribution, go! www.shelbylynne.com )
Promo-CD, 11 Tracks, 38:40

Shelby Lynnes Kindheit und die ihrer kleineren Schwester Alison Moorer endete spätestens mit 17 und 14 – als ihr Vater erst ihre Mutter erschoss und dann sich selbst. Drei Jahre später veröffentlichte Lynne ihr Debütalbum Sunrise – ein neuer Tag? Spuren der Tragödie finden sich überall in ihrem Werk und wären auch schon ohne den biografischen Hintergrund mitunter außerordentlich bewegend – etwa, wenn die Ältere der Jüngeren in „I’ll Hold Your Head“ auf Revelation Road nun noch einmal Schutz vor all dem Bier, dem Bourbon dem Lärm vor der Tür gewährt. Das Leid bleibt einem bisweilen selbst beim Hören noch im Hals stecken, wozu auch die Instrumentierung ihren Teil beiträgt – vom Country der frühen Alben ist die Grammy-Preisträgerin von 2000 über die opulent produzierte Americana des seinerzeit prämierten Albums I Am Shelby Lynne mittlerweile bei einer sparsamer instrumentierten, vom Charakter her vorwiegend akustischen Musik gelandet, auch wenn zurückhaltend elektrisch unterstützt wird. Sehr nah und vollkommen direkt kommen Lynns intensive Singer/Songwriter-Balladen mit ihrem mutigen Blick in die dunkleren Ecken des Lebens den Hörer auf diese Weise an. Es verstärkt noch ihre Kraft.

Christian Beck

 

SHELBY LYNNE – Revelation Road


MADISON VIOLET
The Good In Goodbye

(Big Lake Music 471100-2/India Media/Rough Trade Distribution, go! www.madviolet.com )
11 Tracks, 36:45

Madison Violet versuchen erwachsen zu werden. Im Jahr 2004 hat das kanadische Duo mit zuckersüßem Pop seinen Erstling veröffentlicht, der unter dem Titel Tumbleweed Pop sogar eine eigene Schublade eröffnete. Einige Alben später sind Brenley MacEachern und Lisa MacIsaac – um diverse Folkpreise reicher – nun endlich beim klassischen Country gelandet. Bluegrass und Folk in homöopathischen Dosen, Songmaterial, das die Poozies vor Neid platzen lassen dürfte und Stimmen, die an Kate & Anna McGarrigle erinnern, sind die Zutaten zum neuen Album. Zuckersüß ist das Duo immer noch, das von der Presse am häufigsten benutzte Attribut ist „Schönheit“. Aber die eigenen Ansprüche sind nach 12 erfolgreichen Jahren offenbar hoch gesteckt: Nach etlichen Preisen muss jetzt der Durchbruch kommen, und so ziehen Madison Violet alle Register, bleiben aber innerhalb des Stroms. Wer sich noch an den Auftritt der zwei Musikerinnen auf dem TFF Rudolstadt erinnert, wird The Good In Goodbye vielleicht als ein wenig zu glatt empfinden. Das Zugeständnis an eine breitere Käuferschicht tut aber nicht weh, ein Versuch mit dem neuen Album des Duos dürfte sich auch für Folkpuristen lohnen.

Chris Elstrodt

 

MADISON VIOLET – The Good In Goodbye


MATUTO
Matuto

(Galileo MC GMC048, go! www.matutomusic.com )
12 Tracks, 50:01, mit dt. und engl. Infos und engl. und portug. Texten

Was auf den Tanzflächen der Großstadtclubs funktioniert, kann sich auch via Tonträger vermitteln – wie Matuto beweist. Das Quintett aus New York präsentiert eine organische Mischung der Forró-Musik aus dem armen Nordosten Brasiliens und nordamerikanischer Stile wie Bluegrass, Country, Jazz und Funk. Da erklingt beispielsweise die Cavaquinho, die brasilianische Verwandte der Ukulele, gemeinsam mit Twang-Gitarren, Akkordeon und diversen Perkussionsinstrumenten im groovigen Opener „Dois Nordestes“. Norman Blakes Klassiker „Church Street Blues“ beginnt wie ein brasilianischer Pop-Song und steht auf einem südamerikanischen Rhythmus-Fundament, während darüber eine Bluegrassfiddle ganz andere Töne anschlägt. Blind Willie Johnsons „John The Revelator“ wandert von den Südstaaten in die Canyons von Sergipe, und selbst die im Grunde abgetakelte Schmonzette „Banks Of The Ohio“ bekommt neuen Charme durch ein Volksfest-Akkordeon, gebrochen von schrägen harmonischen Einschüben, ehe sie zu einem Rumpler à la Tom Waits wird. Ähnlich ambitioniert klingen die Eigenkompositionen der Matuto-Köpfe Clay Ross und Rob Curto: Tanzmusik zwischen Santana, Forró, Surf-Musik und Chick Corea.

Volker Dick

 

MATUTO – Matuto


BASYA SCHECHTER
Songs Of Wonder

(Tzadik TZ 8165, go! www.tzadik.com )
10 Tracks, 38:07, mit jidd. Texten und engl. Übersetzungen

Der Vorname Basya bedeutet übersetzt „Tochter Gottes“, und so ist es sicher kein Zufall, dass Basya Schechter unter dem Namen Pharao’s Daughter bereits fünf Alben veröffentlichte, darunter auch Haran, go! „Die Besondere“ in Folker 5/2007 . Nun hat sie sich mit neuen Musikern zusammengetan, darunter Uri Sharlin (acc), Megan Gould (vio), Yoed Nir (cello), Rich Stein (perc), Kyle Sanna (g) und Frank London (tr), um ihre allesamt selbst komponierten Lieder zur jiddischen Poesie Abraham Joshua Heschels (Warschau 1907 – New York 1972) einzuspielen. Heschel promovierte in Berlin und entkam eher durch Zufall den Nazischergen, indem er wenige Monate vor dem deutschen Überfall auf Polen nach London emigrierte. Die Texte sind alle in Jiddisch und im Beiheft je einmal in den originalen hebräischen Schriftzeichen und in englischer Übersetzung wiedergegeben. Die Musik ist mitnichten nur osteuropäisch, wie etwa bei „In Farnachten“ oder „Schne’i oif Felder“ – ungewöhnlich und doch fantastisch erklingt Orientalisches mit jiddischen Worten wie in „Zu a Froi in Khalom“. Das auf jüdische Künstler spezialisierte Label Tzadik hat wieder einmal ein Superalbum herausgebracht.

Matti Goldschmidt

 

BASYA SCHECHTER – Songs Of Wonder

Update vom
09.02.2023
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