back Die besondere CD

Wie in jedem Folker gibt es auch diesmal wieder CDs, die aus der Masse herausragen:

RUSSLAND IVA NOVA -->  Chemodan (Suitcase)
FRANKREICH KARIM ZIAD -->  Dawi
USA PHARAO’S DAUGHTER -->  Haran
GROSSBRITANNIEN LORRAINE JORDAN -->  A Light Over There

BESONDERE - RUSSLAND
IVA NOVA
Chemoda (Suitcase)

(Geo 011 CD 2006, www.iva-nova.ru)
Promo-CD, 13 Tracks, 54:13

Tiefe musikalische Tradition mit spannungsreichem Rock verschmelzen, das gibt es selbst weit im Osten: Die 2005 in St. Petersburg gegründete Band Iva Nova führt das faszinierend und energiereich vor. Obwohl zu Akkordeon, Percussion und spanischer Gitarre „nur“ eine E-Gitarre und ein Bass als elektrische Instrumente hinzukommen, klingen einige Songs ganz so als entstammten sie dem legendären Alan Parson’s Project. Als hätte der Bass eine Stimme, mit der er eine dunkle Geschichte erzählt, als sängen mittelalterliche Hexen beim Tanz zur Gitarre längst vergessener Hardrockbands der 70er Jahre. Nur, dass sich immer wieder folkloristische Elemente wie selbstverständlich einmischen - spanischer Tanz, osteuropäische Gesänge (es wird in mehreren Sprachen wie Russisch, Georgisch, Bulgarisch gesungen), ungewöhnliche Rhythmen, Zigeunerbrass. Fast schon erleichternd, dass die Band gelegentlich zu leichteren Folksongs findet, in einer spannenden Choreographie eingebettet in die ganz großen Klänge. Nur eine Ahnung vermittelt die CD, was sich da an Klangwelten und Effekten, was sich an Power und Atmosphäre auf der Bühne entfalten wird: russische Weltmusik vom Feinsten. Gespielt von Shafigullina, Jekaterina, Nastja, Inna und Katherina - richtig gelesen, Russlands dynamischste Folkband ist eine reine Frauengruppe; die alle Songs selber schreibt und arrangiert, basierend auf traditionellen Themen. Ungewöhnlich, druckvoll, da reicht zweimal hören noch lange nicht.

Jürgen Brehme

 

IVA NOVA - Chemodan (Suitcase)


DIE BESONDERE - FRANKREICH
KARIM ZIAD
Dawi

(Intuition 3455-2, www.intuition-music.com)
11 Tracks, 51:47, mit engl./frz. Textinfos

Knackig, knackig: Karim Ziad ist ein exzellenter Percussionist und Schlagzeuger, der auf Dawi, seinem dritten Album, auch als Sänger mehr denn je zu überzeugen vermag. Die Mannschaft ist vom Feinsten, ein kleiner Auszug nur: Michel Alibo und Linley Marthe gehören zu den besten Bassisten in Paris, Percussionist Rhani Krija war schon mit Sting auf Tournee, Arto Tuncboyaciyan hat selber etliche Alben herausgebracht, Pianist Frank Chastenier stand bei Al Jarreau, Randy Crawford und Till Brönner auf der Gehaltsliste, und Nguyen Lê gehört zu den innovativsten Jazzgitarristen überhaupt. Jazz in Verbindung mit nordafrikanischer Musik (Chaabi und Gnawa) ist das zentrale Thema des Algeriers, sodass sich neben dem üblichen Instrumentarium auch Guembri, Garagab oder Darbuka finden. Im Titelsong wird zu dieser Mischung auch noch passend und überzeugend gerappt - so was gelingt selten. Angereichert ist das Ganze mit arabischem Solo- und Chorgesang, alles ist sehr sauber auf den Punkt gespielt, hervorragend aufgenommen und abgemischt (Ziad hat selber produziert und fast alle Titel geschrieben). Karim Ziad, der mit Joe Zawinul, der WDR Bigband und Cheb Mami gearbeitet hat, beweist mit Diwan, dass es derzeit keine interessantere Musik gibt als die an der Schnittstelle zwischen Jazz und Weltmusik. Und spannend - oft fälschlich als Synonym für „interessant“ benutzt - spannend ist die Musik auch, wenn etwa Track 8, „Malaika“ (hat nichts mit der durch Miriam Makeba bekannt gewordenen Ballade zu tun), völlig unerwartet mit der Spießgeige Kemanche aufwartet und man sich plötzlich in China wähnt; oder wenn mit „Selmani, Part 2“, ein ganz urwüchsiges Gnawastück erklingt. Dawi ist weit entfernt von selbstverliebtem Migräne-Jazz und Solisten, die nach der Menge der gespielten Töne bezahlt zu werden scheinen. Bei Karim Ziad gibt es die Groove-Garantie, und wer diese CD gekauft hat, will ganz sicher sein Geld nicht zurück. Allerhöchste Empfehlungsstufe.

Luigi Lauer

 

KARIM ZIAD - Dawi


BESONDERE - USA
PHARAO’S DAUGHTER
Haran

(oy!hoo OY 1, www.pharaohsdaughter.com)
10 Tracks, 45:20

Natürlich ist in erster Linie Basya Schechter (Gesang, Oud) die „Tochter des Pharao“. Nicht nur ist sie die Gründerin der Band, sondern auch gleichzeitig deren musikalischer Kopf - stammen doch auf dem vorliegenden, bisher fünftem Album neun der insgesamt zehn Titeln von ihr selbst (einige allerdings mit Kokomponisten). Sämtliche Mitglieder der Band, die gesamte Formation der ersten Alben, namentlich Daddy’s Pockets (1999) bzw. Out Of The Reeds (2000), ist komplett ersetzt, sind israelischen oder amerikanisch-jüdischen Ursprungs - mit Ausnahme der Jazzviolinistin Merg Okura aus Japan sowie des Züricher Percussionisten Mathias Kunzli. Zur neuen Besetzung gehören - alphabetisch - Shanir Ezra Blumenkranz (Bass, Gitarre), Jason Lindner (Piano), Yuval Lion (Schlagzeug), Daphna Mor (Block- und andere Flöten) und Uri Sharlin (Akkordeon).

Wie auch schon zu älteren Aufnahmen fühlt sich der Zuhörer von Haran mitunter in die Zeit der späten 60er Jahre in ein Hippieumfeld versetzt. Dabei kann man Schechter nicht notwendigerweise einen Flower-Power-Hintergrund unterstellen, ganz im Gegenteil: Sie stammt aus einer orthodoxen jüdischen Familie und wuchs in Brooklyn auf, ganz konzentriert auf das Studium der Thorah und des Hebräischen; die Umgangssprache ist jiddisch. Als Teenager wird sie von einer orientalisch-jüdischen Familie aufgenommen, später bereist sie den Nahen Osten. So sind die Bibelbezüge keineswegs zufällig: Ist Schechters Vorname Basya wörtlich mit „Tochter Gottes“ (hebr.) zu übersetzen, stammt der Gruppenname (hebr. bath par’o) aus dem Alten Testament, in dem er gleich neun Mal auftaucht (z. B. in Exodus 2, 5). Und selbst Haran ist nichts anderes als eine türkische Stadt unweit der syrischen Grenze, durch die bereits Abraham gegangen sein soll und die in Genesis 24, 43 erwähnt wird. Ganz konsequent sind die Lieder meist eher traditionell jüdisch oder ladino, die Texte oft aus der Bibel (etwa in „Hagar“, Genesis 16, 6-11, oder „Lev Tehor“, Psalm 51, 12), und trotzdem ist mitunter - man schwebt in Ambivalenzen - mehr als ein Hauch eines chassidischen Brooklyns oder das Psychedelische aus den früher 70er Jahren zu spüren. „By Way of Haran“ oder auch „Enpesare“ mit einem Text aus dem 15. Jahrhundert von Abraham Toledo mögen dafür als Beispiele stehen. Hier wird jüdische Musik aus New York zum Besten gegeben - und für einmal ist es nicht Klezmer ...

Matti Goldschmidt

 

PHARAO’S DAUGHTER - Haran


DIE BESONDERE - GROSSBRITANNIEN
LORRAINE JORDAN
A Light Over There

(Hazelville Music HZ011, www.lorrainejordan.net)
11 Tracks, 48:23, mit engl. Texten

Das Konzert auf dem diesjährigen Venner Folk Frühling hat mir fast schmerzlich klar gemacht, wie sehr ich die Musik dieser Frau vermisst habe. Die Waliserin mit irischem Blut, die lange in Schottland lebte und nun London ihr Zuhause nennt, ist eine Singer/Songwriterin der ganz besonderen Güteklasse, denn sie ist mit seltenen Talenten gesegnet. Im Gegensatz zu den meisten ihrer männlichen und weiblichen Kollegen klingt sie nämlich konsequent und unverkennbar wie, na ja, wie Lorraine Jordan. Einzigartig und unverwechselbar eben! Das liegt zum einen an ihrer Stimme, die immer die richtige Mischung trifft aus mal fast gehauchten, mal kräftigeren Emotionen und sorgfältig verspielten, leisen Verzierungen. Das liegt aber auch an ihrem unverkennbaren Stil, der zwar Folk (vor allem), Blues, Rock oder Pop vermischt, aber in erster Linie die für sie typische elegische, ja, manchmal fast hymnische Art der Lieder unterstreicht, oft mit dem für ebenfalls charakteristischen und biographisch logischen, sanften keltischen Touch . So auch auf ihrer neuen, fünften CD, der ersten seit dem Jahr 2000, die liebevoll arrangiert und produziert mit Gitarre, Bouzouki, Fiddle, Mandoline, Bass, Drums und weiteren Instrumenten aufwartet. Und was nützt die besten Stimme und der individuellste Sound, wenn die Texte nicht mithalten können. Können sie aber. Sie kreisen um Gefühle, um Träume, um Gedanken, die durchaus auch konkrete allgemeine Themen ansprechen. Die Texte transportieren all das in ihrer poetischen Tiefe wunderbar. Daraus entstehen dann Lieder, in die man versinken kann, die man immer wieder hören kann, bis sie Teil des eigenen Empfindens werden. Wer je versucht hat, ein Lied zu schreiben, wird diese Leistung zu würdigen wissen.

Lorraine Jordan ist eine der ganz, ganz großen Singer/Songwriterinnen. Es wird langsam Zeit, dass ihr die gebührende Anerkennung zukommt.

Mike Kamp

 

LORRAINE JORDAN - A Light Over There


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