HEIMSPIEL
Wäre sie Musikerin, könnte man sagen „Sie hat einen Strich wie Paganini!“. Sie
streicht jedoch mit Stift, Radiernadel oder Pinsel statt mit Bogen. So entstehen
Bilder statt Musik. Bilder wie Musik. Sie ist die große Schwester aller „Folk
Friends“ und Irlands grafische Seele. Ihre inspirierenden Menschenbilder klingen
nach. Nach Freiheit, Individualität, Mut zum Anderssein. Sie laden dazu ein, uns
selbst im Spiegel zuzuzwinkern und wiederzuerkennen. Der Humor der Künstlerin
ist ebenso subtil wie ihre Zeichenkunst und nur im Notfall so schwarz und gallig
TEXT: KAY REINHARDT Echte Typen, Folkmusik und Tanz sind Gertrude Degenhardts Welt, die Westküste Irlands ist ihre Heimat, das Gonsbachtal bei Mainz ihr Zuhause. 1940 im „Big Apple“ New York City geboren und nach dem Krieg als „Insulanerin“ in Westberlin aufgewachsen, zog sie 1956 mit ihren Eltern nach Mainz. Während ihres Studiums an der dortigen Werkkunstschule zeichnete sie ab 1957 für die Studentenzeitung Burg Waldeck und die FolgenPfingsten 1964 fuhr Gertrude mit ihrem Freund Martin zum ersten Festival Chanson und Folklore International auf Burg Waldeck im Hunsrück. „Das war neu für mich, fesselnd: die Diskussionen um die Lieder der geschichtlich fortschrittlichen Bewegungen ... Da habe ich dann wie besessen gezeichnet“, erinnerte sie sich 1977. Bis heute zeichnet sie zu Liedern und „überzeichnet“ deren Interpreten. ... mehr im Heft
So ein deftiges Kneipenfestival mit rauen Kerlen und lauten Damen, mit mächtig viel Bier, Whisky, Gläsergeklingel und Tabaksqualm – das mag ja schon mal ganz lustig sein. Und ein bisschen Hillbillymusik im Hintergrund kann schließlich auch nicht schaden. TEXT UND FOTO: KAI ENGELKE Aber genau diese etwas grelle Honky-Tonk-Atmosphäre, wie man sie aus rustikalen US-Schankkneipen zu kennen meint, die wollte der Bluegrassliebhaber Klaus Grotelüschen aus Oldenburg eigentlich immer vermeiden. Gelungen ist ihm das während unzähliger von ihm veranstalteter Festivals und Einzelkonzerte in Neusüdende bei Oldenburg leider oft nur ansatzweise. Die Gründe dafür sind keinesfalls in der Auswahl beziehungsweise künstlerischen Qualität der jeweils eingeladenen Musiker zu suchen – im Gegenteil. Nicht selten wurden hochkarätige Interpreten US-amerikanischer Bluegrassmusik exklusiv für ein Einzelkonzert eingeflogen, um schon am folgenden Tag wieder in die USA zurückzukehren. Aber der Veranstaltungsort war nun einmal ein Landgasthof mit einer ausladenden Theke im Vortragssaal, und das Publikum rekrutierte sich – im etwas peinlichen Gegensatz zu den meisten US-Musikern auf der Bühne – zu einem immer größer werdenden Teil aus bunt kostümierten Cowboys und Cowgirls, die letztlich mehr daran interessiert waren, sich mit ihresgleichen auszutauschen, als grandioser Musik zuzuhören. Der Musikjournalist Walter Fuchs stellt fest: „Das Niveau der deutschen Countrymusikszene ist rapide gesunken, da nützen auch die Countrysongs im deutschen Dudelfunk nichts.“ Wie sollten sie auch? Und es war ja gerade nicht die kommerzielle, massenkompatible Countrymusik made in Nashville, die Klaus Grotelüschen am Herzen lag, es war und ist ganz speziell die warmherzige Bluegrassmusik mit ihren ausgefeilten Gesangssätzen und virtuosen Instrumentalsoli. Diese durchaus liebenswerte Musikart erfordert in der Regel ein bewusstes Zuhören, was vielen Menschen ganz offensichtlich immer schwerer fällt. ... mehr im Heft
Volksliedsammlungen gibt es viele. Aber jetzt entsteht in Freiburg das „Historisch-kritische Liederlexikon“. Im Internet publiziert das Deutsche Volksliedarchiv die Hintergründe zu den bekanntesten Volksliedern, aber auch zu vielen anderen Stücken. Ein Projekt, das immer größer und wichtiger wird. Das Deutsche Volksliedarchiv wurde 1914 in Freiburg gegründet und ist heute ein unabhängiges Forschungsinstitut des Landes Baden-Württemberg. Die zehn Mitarbeiter publizieren in Fachzeitschriften und organisieren Tagungen. Ihnen geht es nicht um eine Fortsetzung der romantisierend-selektiven Volksliedpflege des neunzehnten Jahrhunderts, sie nutzen vielmehr die gesammelten 250.000 Liedbelege als Grundlage für kritische sozialwissenschaftliche Forschungen (siehe dazu auch „Heimspiel“ Folker 4/2008 ). TEXT UND FOTO: CHRISTIAN RATH Eines der im Liederlexikon am meisten nachgefragten Stücke ist „Kein schöner Land“. Wie die Freiburger Forscher darstellen, tauchte es um 1840 zum ersten Mal in einem Volksliederbuch mit dem Zusatz „vom Niederrhein“ auf. Tatsächlich hatte es aber der Herausgeber der Sammlung, Anton-Wilhelm von Zuccalmaglio, selbst geschrieben. In der Wandervogelbewegung zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde es regelmäßig zum Ausklang geselliger Abende gesungen; so erklärt sich seine weite Verbreitung. Zu jedem Lied bietet das Liederlexikon einen detaillierten, gut lesbaren Überblick über Herkunft, Verbreitung und Bedeutung. Dabei werden auch unterschiedliche Fassungen mit Noten vorgestellt. Im Falle von „Kein schöner Land“ sind es zum Beispiel sechs Versionen, bis hin zur Parodie der Gruppe Ougenweide aus dem Jahr 1980 („Man wird uns lenken und für uns denken ...“). Üblicherweise wird in Lexika nur das bekannte Wissen übersichtlich zusammengestellt. Doch die Macher des Liederlexikons gehen weiter und forschen auch selbst. „Wo nötig, widerlegen wir dabei weit verbreitete Fehler und Legenden“, so Herausgeber Eckhard John. ... mehr im Heft
Friedl Preisl ist ein Veranstalter, wie man ihn sich wünscht: agil, überall in Wien zu Hause, finanziell unabhängig und vom Publikum aufgrund seines Musikgeschmacks und seiner Festivals geliebt. Gäbe es ihn nicht, müsste er erfunden werden, um Wien das Profil einer weltoffenen Musikmetropole verleihen zu können. TEXT: HARALD JUSTIN Trotz mehrerer anderer Termine hat sich der Wiener Veranstalter Friedl Preisl noch Zeit für ein Gespräch genommen; zwischen zwei Autos fährt er mit Schwung in die Parklücke und entsteigt agil einem Kleinwagen, der ebenso hellblau ist wie seine Brille. Ein Mann wie er findet immer einen Platz, auch im Café Rüdigerhof, das wir betreten und das er umgehend imaginär in einen Spielort verwandelt: „Da drüben müsste die Bühne hin, hier“ – er deutet mit weitausholender Geste in den Raum – „könnte eine Empore sein, und natürlich müsste der Haupteingang geschlossen werden. Dafür könnte man den Nebeneingang öffnen.“ Der stilbewusste Spezialist für (Park-)Nischen und Nebeneingänge zur offiziellen Kultur sprudelt vor Energie. Im vergangenen Jahr veranstaltete er zur Weihnachtszeit einen musikalischen Adventskalender in Wirtshäusern und Cafés. „Wien hat ja 23 Bezirke. Also habe ich für jeden Dezembertag vor Weihnachten ein Konzert veranstaltet, jedes in einem anderen Bezirk. Das war ein Riesenerfolg.“ ... mehr im Heft |
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