Exklusiv im Internet: Ergänzung zum Gastspiel
Musik und Politik in Haiti
Haiti – historische Geisterbahn
TEXT: ULLI LANGENBRINCK
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1492 nahm Kolumbus die gesamte Insel für die spanische Krone in Beschlag und
taufte sie Hispaniola. Ende des 17. Jahrhunderts besetzten französische Siedler
den Westteil der Insel, die von ihren indianischen Ureinwohnern Ayiti
(„bergiges Land“) genannt wurde, 1691 erklärte Frankreich das heutige
Staatsgebiet von Haiti zu seiner Kolonie Sainte-Domingue (im Ostteil herrschten
nach wie vor die Spanier, in der heutigen Dominikanischen Republik). Frankreich
deportierte Hunderttausende Westafrikaner, die als Sklaven auf den
Zuckerplantagen der überaus profitablen Kolonie schufteten. 1789 produzierte
Sainte-Domingue fast die Hälfte des weltweiten Zuckerbedarfs, ebenso Kaffee,
Baumwolle und Indigo. Doch da hatten die fast fünfhunderttausend Sklaven auch
schon begriffen, was „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ für sie bedeuten
könnten. 1791 begann die Rebellion mit einer Voodoozeremonie, ihre Anführer
hießen Toussaint Louverture (nach dem der Flughafen in Port-au-Prince benannt
ist), Makandal (ein ehemaliger Sklave aus den USA) und Dutty Boukman, ein
Voodoopriester. Nach zehn Jahren Befreiungskrieg verkündete Toussaint
Louverture Haitis erste Verfassung und seine Unabhängigkeit, Napoleon schickte
weitere Truppen, Louverture wurde gefangengenommen und starb in einem
französischen Gefängnis. 1803 siegten die ehemaligen Sklaven über die
europäischen Truppen und am 1. Januar 1804 erklärte der Unabhängigkeitskämpfer
Jean-Jacques Dessalines Haiti zur ersten schwarzen Republik Amerikas. Der Preis
der Freiheit: Ein Drittel der Bevölkerung war den Kämpfen zum Opfer gefallen,
die meisten Plantagen waren zerstört, das Land war in einen schwarzen Norden
und einen mulattischen Süden geteilt, keine Kolonialmacht erkannte die Republik
Haiti an, Frankreich verhängte ein Embargo und verlangte
„Reparationszahlungen“. Haiti bezahlte hundertfünfzig Millionen Francs an
Frankreich, die Zahlungen knebelten bis 1947 die haitianische Wirtschaft; der
damalige Präsident Aristide verlangte 2004 rund zweiundzwanzig Milliarden
US-Dollar Rückzahlung von der französischen Regierung, selbstverständlich bis
zum heutigen Tag vergeblich.
Dessalines wiederum ernannte sich selbst 1804 zum Kaiser Haitis und eröffnete
mit Willkür und Gewalt ein fatales Karussell despotischer Regierungen, die das
Land ausplünderten und drangsalierten. Im Telegrammstil: Diverse Militärregimes.
Die amerikanische Besatzung 1915 bis 1934. Die von den USA unterstützten
Diktatoren „Papa“ und „Baby Doc“. Papa Doc: Kleptokrat, ehemaliger Landarzt,
Amtszeit 1957-1971, gefälschte Wahlen, neun Umsturzversuche, benutzte Voodoo als
Unterdrückungsinstrument gegen die Bevölkerung, ließ schätzungsweise
dreißigtausend Menschen ermorden und ist friedlich im Bett gestorben. Sein Sohn
„Baby Doc“ Duvalier: 1986 durch einen Volksaufstand nach dem Papstbesuch
gestürzt und von den USA in letzter Minute fallengelassen, lebt im freundlichen
französischen Exil.
Der vorerst letzte korrupte Diktator Haitis: der ehemalige Armenpriester
Jean-Bertrand Aristide. 1990 gewählt, nach dem Militärputsch im September 1991
Exil in den USA, 1994 von den USA erneut als Präsident eingesetzt, gewinnt die
Wahlen, 2000 zweite Amtszeit, 2002 bürgerkriegsähnliche Verhältnisse, 2004
Intervention von Frankreich und den USA, Abdankung und Exil in Südafrika,
geschätztes Privatvermögen: rund achthundert Millionen Dollar.
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FOLKER auf Papier
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