FOLKER – Gastspiel

GASTSPIEL

„Kasé chenn“ – Zerreißt die Ketten

Musik und Politik in Haiti

VON ULLI LANGENBRINCK*

Ulli Langenbrinck

CD-TIPPS:
Boukan Ginen, Jou A Rive (Xenophile, 1995)
Boukman Eksperyans, Revolisyon! (Tropical Music, 1998)

Revolisyon!

Diverse, Bouyon Rasin – First International Haitian Roots Music Festival (u. a. mit RAM, Wyclef Jean, Boukman Eksperyans, Boukan Ginen; Tropical Music, 1997)

Bouyon Rasin

Eval Manigat & Tchaka, Créolité (Tropical Music, 1998)

Eval Manigat & Tchaka

Beethova Obas, Pa Prese (Déclic/BMG, 1996)
Beethova Obas, Ke Mpoze (Créon Music, 2003)
Rara Machine, Groove Racine (Tropical Music, 2000)

Rara Machine

Ti-Coca & Toto Bissainthe, Haiti (World Network, 1999)
Diverse, The Rough Guide To The Music Of Haiti (u. a. mit Ti-Coca & Wanga-Nègès, Boukman Eksperyans, RAM; World Music Network, 2002)

BUCHTIPP:
Gage Averill, A Day for the Hunter, a Day for the Prey - Popular Music and Power in Haiti. The University of Chicago Press, 1997 (Standardwerk über haitianische Musik)

Internationale Anerkennung haben die Künstler Haitis bislang lediglich in homöopathischen Dosen erhalten. Zwar wurde der Musiker, Maler und Dichter Frankeétienne (Jahrgang 1936) im letzten Jahr für den Nobelpreis nominiert, doch ausgezeichnet wurde bislang noch kein einziger haitianischer Autor. Nur wenig anders sieht es bei den Musikern aus: die Fugees mit Wyclef Jean bekamen für ihr Album The Score zwei Grammys, die Musiker von Boukman Eksperyans wurden mit Kalfou Danjere nomiert. Doch selbst nach dem Erdbeben war neben den internationalen Stars mit ihren Songs für Haiti kaum eine haitianische Band in den Medien zu hören oder zu sehen – man könnte fast meinen, das Land habe gar keine eigenen Musiker und sei auch auf diesem Gebiet auf internationale Hilfe angewiesen. Dabei wäre das winzige Haiti eine Supermacht und kein Synonym für Ausbeutung, Korruption, Repression und strukturell zementierte Armut, wenn die Welt von den Gesetzen der Kreativität, Fantasie und Spiritualität regiert würde. Und wenn das Land auf seine mutigen Künstler hören würde, wäre Haiti zwar vielleicht kein Paradies, aber immerhin ein Ort, an dem menschliches Leben unter würdigen Bedingungen möglich ist.

Hinweis: Ein kurzer Abriss der Geschichte Haitis findet sich
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*ULLI LANGENBRINCK ist Autorin mehrerer Reisebücher und Reportagen (Print, Rundfunk, TV) über die Karibik, die sie seit 1976 bereist. Ihre Schwerpunktthemen sind Musik, Literatur und Religion. Haiti lernte sie in den Neunzigerjahren unter der US-Besatzung kennen.

Haiti ist ein „Hotspot“ der Kreativität und des künstlerischen Schaffens. Das gilt vor allem für Musik und Malerei, doch auch die literarische Produktion des Landes ist äußerst vielseitig und hochkarätig, trotz der immens hohen Analphabetenrate. Nahezu alle bedeutenden Künstler, ob Schriftsteller, Maler oder Musiker, haben eine deutliche politische Position bezogen, für die sie häufig Gefängnis, Verfolgung und Tod riskierten. Der Singer/Songwriter Manno Charlemagne überlebte mehrere Attentate, ging ins Exil, war unter der Regierung Aristides eine Zeit lang Bürgermeister von Port-au-Prince und flüchtete nach dem Militärputsch unter haarsträubenden Bedingungen in die USA. Konzerte der Band Boukman Eksperyans wurden von bewaffneten Paramilitärs überfallen, ihre Lieder verboten, die Musiker für Jahre ins Exil getrieben. Der Schriftsteller Jacques Roumain (1907-1944) gründete 1934 die Kommunistische Partei Haitis, sein Kollege Jacques Stephen Alexis (1922-1961) wurde 1961 von den Tonton Macoutes ermordet. René Depestre, Doyen der haitianischen Literatur, initiierte 1945 mit einer revolutionären Zeitschrift einen Volksaufstand und lebt seit Jahrzehnten im Exil in Lateinamerika und Europa. Georges Anglade, Schriftsteller und Wissenschaftler, saß unter Baby Doc im Gefängnis, wurde später zweimal Minister und kam beim Erdbeben in Port-au-Prince ums Leben.

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Update vom
09.02.2023
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Dieser Text ist nur ein Auszug des Original-Artikels der Print-Ausgabe!

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