Die Robin Hoods aus der WalacheiTaraf de HaïdouksSpielleute mit Resistenz
Was sie alles ausgelöst haben, lässt sich kaum abschätzen. Als Anfang der Neunzigerjahre eine Combo aus einem kleinen rumänischen Dorf aufbrach, um die Welt zu erobern, hatte sie Jahre später Namen wie Fanfare Ciocarlia oder Kocani Orkestar im Schlepptau, und über viele Zwischen- und Umwege haben sie auch die Begeisterung für Russendisko, Bucovina Club und Balkan Beats mit auf den Weg gebracht. Taraf de Haïdouks, die Urväter all dieser Balkanenthusiasmen, werden fünfundzwanzig.
Ein Abend im November 1998. Die ersten Zuschauer trudeln im Jazzhaus Freiburg ein. Im Halbdunkel hinter der Bühne sitzt der vierundsiebzigjährige Nicolae Neacsu. Ein einzelnes Bogenhaar zieht er über die Saiten seiner Geige, die kratzige Melodie stellt einem die Nackenhaare auf.
Eine Vielzahl solcher Anekdoten ranken sich um diese Musiker, die lautmalerische Namen wie Caliu, Cacurica und Tzagoi tragen. Sie sind Mitglieder der Lautari-Kaste der rumänischen Roma, Spielleute, die seit alters her für Untermalung von Festen jeglicher Art ihrer Gemeinschaften sorgen. International wird ihre Geschichte allerdings erst mit den beiden abenteuerlustigen Belgiern Stéphane Karo und Michel Winter vom Label Crammed Discs, die sich 1989 noch vor dem Sturz des Diktators Ceausescu auf den Weg nach Südostrumänien machen. Sie haben gehört, dass es in der Walachei der wirklichen, nicht der sprichwörtlichen ein Dorf mit unglaublich virtuosen Musikern geben soll. Dort angekommen, können sie ihren Ohren kaum trauen: Die fliegenden Geigenbögen, die flirrenden Flöten, die wirbelnden Tasten des Akkordeons, die Hetzjagd über die Saiten des Zymbal, dazu ein herzblutiger Gesang aus rauen Kehlen sie haben so etwas noch nicht gehört. Und beschließen, ein Dutzend der besten Musiker aus drei Generationen auf Auslandstournee zu schicken unter ihnen der Patriarch Nicolae Neacsu, der kaum jüngere Sänger Ion Manole, der Primás Caliu, Flötenvirtuose Fluieras, Akkordeonist Tzagoi und der Teenager am Hackbrett Marinel Sandu. Meine Begeisterung für die Musik der Roma rührt noch aus meiner Kindheit, sagt Stéphane Karo heute rückschauend im Interview. Damals engagierte mein Großvater ein ungarisches Roma-Orchester, das jeden Abend in seinem Restaurant gespielt hat. In Clejani tritt der Enkel gewissermaßen in die Fußstapfen des Opas. Noch mehr: Er und Winter schaffen etwas Neues. Zum einen gesellen sie der traditionellen Besetzung mit der Laute Cobza, Geigen, kleinem Hackbrett, Bass und Gesang auch Akkordeons hinzu. Das hat den rumänischen Ethnomusikologen, die dort gerade Aufnahmen machten, überhaupt nicht gefallen, lacht Karo. Zum anderen sind die Lautaris normalerweise eher in kleinen Besetzungen auf Hochzeiten, Beerdigungen und Dorffesten verpflichtet, nicht als ganzes Dutzend. Das Ensemble bekommt einen Namen, kombiniert aus dem rumänischen Wort für Orchester und aus der Widmung an die Heiducken, Robin-Hood-gleichen Freiheitskämpfern des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts.
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