FOLKER – Rezensionen

Rezensionen NORDAMERIKA/ KANADA


ANDREW COMBS
All These Dreams

(Loose Music VJCD220/ Rough Trade, go! www.andrewcombsmusic.com )
Promo CD, 11 Tracks, 39:16 min

All These Dreams ist nach seinem Debüt Worried Man von 2012 das zweite komplett Album des gebürtigen Texaners, der mittlerweile in Nashville lebt. Ein Traditionalist ist er, einer der die Fackel weiterträgt. Trotz seiner erst 27 Jahre steht er in direkter Verbindung zu solchen Songwriter-Haudegen wie Gordon Lightfoot, Harry Nilsson oder auch explizit Paul Simon und Roy Orbison. Die Ernsthaftigkeit und Konsequenz, mit der Andrew Combs zu Werke geht, ist bemerkenswert. Ohne mit der Wimper zu zucken, rührt er an den ganz großen Gefühlen, und dazu ist ihm jedes Mittel recht. Dass er dabei keinen ironischen Abstand zu kitschigen Arrangements und zuckersüßen Melodien hält, ist notwendig und aller Ehren wert. So kann man sich beim Hören ungestraft dem Wohlklang hingeben und sich die ein oder andere Träne bei sentimentalen Erinnerungen aus den Augenwinkeln wischen. Die Produktion ist dementsprechend warm und retro. Die Mitmusiker agieren kongenial und unaufdringlich, Geigen und Pedal Steel sorgen für ordentlich Schmelz an den entscheidenden Stellen, und engelsgleich singen kann Combs, immer auf der Suche nach Sinn und Erlösung, sowieso.

Dirk Trageser

 

ANDREW COMBS   –  All These Dreams


ANI DiFRANCO
Allergic To Water

(Righteous Babe Records, go! www.anidifranco.com )
Promo-CD, 12 Tracks, 49:46

Die Welt hat sich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren verändert, nur Ani DiFranco nicht. Sicher kommt ihrer Musik neuerdings introvertierter daher, ihres Songs sind verhaltener und handeln eher von familiären Themen, doch klingt sie unabhängig davon wie eh und je. Album Nummer zwanzig, Allergic To Water, steckt voller produktionstechnischer Raffinesse und doch Einfachheit, wenngleich ihr Gitarrenspiel an Dynamik gewonnen hat. Beinahe vollkommen akustisch sind ihre Songs nun durcharrangiert. Nur verhalten ist gelegentlich ein Schlagzeug im Hintergrund zu hören, wodurch dieses Album entspannt, spielerisch, vom Sound her eigensinnig, jedoch nicht gänzlich unkonventionell klingt. DiFranco war immer eine Person, die ihren Weg gegangen ist und dabei erstaunlich selbstsicher war, ohne arrogant zu werden. Allergic To Water reiht sich nahtlos in das Werk dieser eindrucksvollen Liederschreiberin ein. Vielleicht stehen politische Aussagen nun weniger im Vordergrund, doch macht das ihre Songs nicht unbedeutender. Oder weniger hörbar. Eher im Gegenteil.

Michael Freerix

 

ANI DiFRANCO –   Allergic To Water


DIVERSE
Songs Of The Spanish Civil War

( Smithsonian Folkways SFW 40188, go! www.folkways.si.edu )
24 Tracks, 64:47, 40-seitiges engl. Booklet

Wer gerade die Bear-Family-Box Spanien im Herzen – Lieder des Spanischen Bürgerkrieges mit sieben CDs, einer DVD und einem 316 Seiten umfassenden Begleitbuch in der Hand hatte (siehe „Plattenprojekte“ in Folker 6/2014), dem wird es schwer fallen, diese Zusammenstellung angemessen zu würdigen. Enthält sie doch nur einen Bruchteil der Lieder, die von den Mitgliedern der Volksarmee und der Brigadas Internacionales während des Spanischen Bürgerkrieges gesungen wurden. Andererseits ist es zu begrüßen, dass Smithsonian/Folkways mit der Wiederveröffentlichung der 1961 und 1962 als Songs Of The Spanish Civil War Volume 1 und Volume 2 herausgegebenen Alben einen neuen Versuch unternehmen, in den USA Informationen über die Ereignisse in Spanien und den Einsatz US-amerikanischer Freiwilliger zu verbreiten. Wird der Kampf gegen den Franco-Faschismus der Mitglieder der Lincoln Brigade doch bis heute offiziell nicht gewürdigt. Neben unter anderem Pete Seeger, Butch Haws und Woody Guthrie sind Lieder von Ernst Busch und Bart van Schelling vertreten. Peter Glazer liefert im Booklet einen informativen Überblick über den Spanischen Bürgerkrieg und die einzelnen Songs. Als Einführung in das Thema sehr zu empfehlen.

Michael Kleff

 

DIVERSE   –   Songs Of The Spanish Civil War


RHIANNON GIDDENS
Tomorrow Is My Turn

(Nonesuch Records/Warner Music, go! www.rhiannongiddens.com )
Promo-CD, 11 Tracks, 43:50

Als Sängerin der Carolina Chocolate Drops hat sich Rhiannon Giddens bisher einen großen Namen gemacht. Nun tritt sie, unterstützt vom renommierten Produzenten T Bone Burnett, mit ihrem ersten Soloalbum in den Vordergrund. Die Songauswahl wirkt mit Autoren wie Charles Aznavour, Dolly Parton, Sister Rosetta Sharpe und Elizabeth Cotton betont eklektizistisch. Und mit Nonesuch steht auch noch ein Label hinter dem ganzen Projekt, das sich gerade in den vergangenen Jahren im Grenzbereich zwischen Klassik und Pop einen großen Namen gemacht hat. Nun scheint gerade Giddens mit ihrer Ausbildung am Oberlin College und ihrer zwischen Oper und Blues changierenden Stimme besonders prädestiniert für ein anspruchsvolles Kulturprodukt. Seltsam, dass gerade dieses Album nun gar nicht eine eigene Klasse für sich postuliert. Stattdessen wirkt es wie ein Showcase für eine sich entwickelnde Diva, die zeigen will, was ihre Stimme alles kann, und in welchen Gefilden sie sich damit wohlfühlt. Hillbilly mit einer Prise Pop zu vermischen, macht den seltsamen Reiz der Carolina Chocolate Drops aus. Vom Ansatz her ähnlich bricht dieses Konzept auf Tomorrow Is My Turn in sich zusammen und hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

Michael Freerix

 

RHIANNON GIDDENS – Tomorrow Is My Turn


STEVE HILL
Solo Recordings Volume 2

( No Label Records NLR-114/Outside Music, go! www.stevehillmusic.com )
11 Tracks, 46:46

Nach den 2012 veröffentlichten Solo Recordings Volume 1 folgte 2013 Solo Recordings Volume 1,5, und auch jetzt wieder setzt Steve Hill auf die dort bestens bewährten Zutaten. Sein rechter Fuß bedient die Hi-Hat, sein linker Fuß die Basstrommel, dazu spielt er Gitarre und singt oder spielt Mundharmonika. Die Gitarre ist dabei mit einem zusätzlichen Tonabnehmer für die Bassseiten versehen. Aufgenommen ohne Overdubs, live im Studio gespielt und von Steve Hill selbst produziert – das also ist mit „Solo Recordings“ gemeint. Und das Ergebnis ist einfach atemberaubend. Zwischen Countryblues, Folkblues und Bluesrock wird hier eine Musikalität geboten, die einfach nur grandios ist. Das „Handgemachte“ in Hills Musik wird pur, authentisch, unmittelbar auf den Zuhörer übertragen. Und hierbei ist es egal, ob eine akustische Folkballade („Tough Luck“), ein akustisches Fingerpicking („Long Road“), ein treibend-herausgerotztes „Hate To See You Go“ oder das wunderbar mystische, erst im Takt verschleppte und sich dann fast selbst überholende „Never Is Such A Long Time“ das Gehör erreicht. Hier ist der Blues nicht nur hör-, sondern körperlich fühlbar. Besser, glaubwürdiger, geht es eigentlich nicht.

Achim Hennes

 

STEVE HILL – Solo Recordings Volume 2


DREW HOLCOMB AND THE NEIGHBORS
Medicine

(Magnolia Music , go! www.drewholcomb.com )
Promo CD, 12 Tracks, 44:18 min

Drew Holcomb hat sich seine Meriten über die Jahre durch endloses Touren und Dank seiner Umtriebigkeit verdient. Die meisten seiner Veröffentlichungen sind auf dem eigenen Label erschienen, und das aktuelle Album wurde in nur acht Tagen, live mit seiner Band The Neighbors (nomen est omen), zwei Meilen von seinem Haus in Nashville entfernt aufgenommen. Seine Frau Ellie gehört ebenfalls zur Band, und so entstand über den Zeitraum einer guten Dekade ein Selfmade-Familienunternehmen, das die meiste Zeit in Sachen Musik unterwegs ist. Es verwundert nicht, dass die Themen der Texte um solche Begriffe wie Loyalität, Freundschaft, Fremdsein, Glaube und Durchhaltevermögen kreisen. Musikalisch passt die Mischung aus Americana und Singer/ Songwritertum natürlich wie die Faust aufs Auge, und obwohl einem hier musikalisch nicht unbedingt Neues begegnet, entfaltet sich doch eine ganz eigene Kraft. Man spürt die Passion Holcombs, mit der er sich seiner Sache hingibt, und die perfekt eingespielten Neighbors mit Ehefrau Ellie (Gesang, Gitarre), Nathan Dugger (Gitarre, Tasteninstrumente) und Rick Brinsfield (Bass) steht ihrem Frontmann in nichts nach. Musik ist Medizin, und Drew Holcomb weiß das.

Dirk Trageser

 

DREW HOLCOMB AND THE NEIGHBORS – Medicine


PUNCH BROTHERS
The Phosphorescent Blues

( Nonesuch Records PRCD 400248/Warner, go! www.punchbrothers.com )
Promo-CD, 11 Tracks, 46:48

Um das Gegenteil von eingängiger Musik kennenzulernen, muss niemand Freejazz hören. Es kann durchaus eine Portion Punch Brothers reichen. Auf seinem neuen Album treibt es das Quintett in Sachen Komplexität auf die Spitze. Der über zehn Minuten lange Opener „Familiarity“ bildet eine Klanglandschaft, die zwischen Ballade und Aufwallung wechselt, die beachboyeske Vokalpassagen mit freien Momenten zusammenführt, die an der Schwelle zur Neuen Musik stehen. Die Band um Mandolinengott Chris Thile geht immer einen Schritt weiter, um auszuloten, was mit einem Bluegrassinstrumentarium alles möglich werden kann. Die Punch Brothers präsentieren Kopfmusik, aber der Bauch reagiert auf Kopfzustände. Bei den von T Bone Burnett produzierten Songs handelt es sich um moderne akustische Musik, nicht frei von romantischen Gefühlen, angeweht von einem Hauch Nostalgie und eingeholt von der technisch geprägten Gegenwart und ihren eigenen spirituellen Momenten. Manches ist Pop („I Blew It Off“), anderes – von Debussy und Scriabin geschriebenes – entstammt der Klassik, die Ballade „My Oh My“ elektrisiert, und mit dem Bluestraditional „Boll Weevil“ würdigen die fünf ihre Wurzeln. Es bleibt faszinierend.

Volker Dick

 

PUNCH BROTHERS   – The Phosphorescent Blues


JIM WHITE VS. THE PACKWAY HANDLE BAND
Take It Like A Man

(Yep Roc Records CD-YEP-2409/Cargo Records, go! www.jimwhitevsphb.com )
Promo-CD, 11 Tracks, 37:15

Der Sänger und Songschreiber Jim White soll angeblich in New York als Taxifahrer und in Mailand als Model gearbeitet haben, bevor er in Athens, Georgia, sesshaft wurde und die Typen der Packway Handle Band kennenlernte. Gemeinsam haben sie jede Menge schräge musikalische Ideen entwickelt und auf diesem Album versammelt. Da scheint Bluegrass durch, aber auch für New Orleans typische Bläser bekommen Raum, ebenso wie Polkarhythmen und Countryklänge. Dazu gibt es abgedrehte Geschichten über paranormale Geliebte, Frauen, die nicht wissen, was gut für sie ist, Sünder und blutig gespielte Geigen. Manchmal schleicht sich eine beträchtliche Rätselhaftigkeit und Düsternis ein, wie bei der Ballade „Sorrows Shine“. Auf der anderen Seite feiern die Kollaborateure muntere Melodien, die sofort ins Ohr schießen, etwa „Corn Pone Refugee“ und „Not A Song“. Das erinnert gelegentlich an die Spötter von Dr. Hook oder den erfrischenden Dilettantismus von Camper van Beethoven. „Die Schwerkraft wird Ihres dazu tun, aber ich weiß, dass du mich nicht im Stich lassen wirst“, lautet ihre formulierte, aber irgendwie doch vage Hoffnung – wird sie’s wirklich tun? Zur Not bleibt noch die Bar: „Eine Bar ist nichts anderes als eine Kirche, wo man nach Bier sucht.“ Oder so ähnlich.

Volker Dick

 

JIM WHITE VS. THE PACKWAY HANDLE BAND  – Take It Like A Man

Update vom
09.02.2023
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