GASTSPIEL
Sind Songtexte unwichtig geworden? Ich frage ja nur, weil dieser boshafte kleine Halunke Robert Zimmerman kürzlich von der Zeitschrift Rolling Stone interviewt wurde und im Grunde seinen eigenen Mythos in die Tonne trat, indem er sich eines fünfzig Jahre währenden Schabernacks gegenüber der Öffentlichkeit bezichtigte. Offensichtlich lag Lincoln falsch, sagte er, du kannst den Leuten jederzeit etwas vormachen, und begann selbstironisch den Text von Subterranean Homesick Blues zu zerlegen
Dont wanna be a bum / You better chew gum / The pump dont work / 'Cause the vandals took the handles
' Ich dachte mir einfach simple Reime aus. Jedes Kind hätte das Gleiche machen können. Ja, genau, Bob
Und wie ist es mit: You put a gun in my hand / And you hide from my eyes / And you turn and run farther / When the fast bullets fly (Masters Of War). Hätte ein Kind das schreiben können? Und sag uns bitte, Bob, warum ist das noch heute von so brennender Wichtigkeit wie an dem Tag, an dem es vor fünf Dekaden geschrieben wurde?
In den ungestümen politischen Sechzigerjahren war die Folkmusik zugeschnitten auf Leute, die mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen hatten und das mit wütenden Reimen tun wollten. Aber die Protestbewegung wurde, wie jede Bewegung, die unbeabsichtigt populär wird, vom Kapital gekapert, und Dylan, der Möchtegern-Elvis, floh schnell vor seinem eigenen Schatten. In den folgenden Jahrzehnten beanspruchten andere Genres die Protesthaltung. Für kurze Zeit terrorisierte der Punk mit einer rotzigen Schrotflintenattacke voll aggressiver Slogans die Musikindustrie; Reggae hatte seinen Anteil an Empörung und Wut; und der ureigene Zorn von Rap und Hip-Hop hätte die gelegentlichen Bewertungen als modernes Idiom des Folksongs gerechtfertigt, wenn nicht hier und da Sexismus und Homophobie seine Aussagen überschattet hätten. Also, wo sind die intelligenten, scharf argumentierenden, unangepassten Songs, die uns wirklich aufrütteln und heute dazu veranlassen, in den Spiegel zu schauen? Vielleicht sind sie in dem schwarzen Loch verschwunden, das Simon Cowell und seine elende Geldfabrik von X-Factor-Speichelleckern gegraben hat? Wenn einer der schönsten und geheimnisvollsten Songs aller Zeiten Leonard Cohens Hallelujah über Nacht von der unglaublich unsensiblen Flut an theatralischem R-n-B-Gehabe eines Realityshowgewinners zerstört wird, dann verzweifelt man. Nein, Simon, du machst dir nicht wirklich was aus Musik, oder? Der Schaden ist für alle sichtbar im spartenorientierten Musikgeschäft, das sich im Würgegriff befindet von Buchhaltern mit schwitzenden Händen, die Erfolgstitel verlangen, und zwar sofort, wobei jeder den anderen kopiert, um einen Hit zu landen. Okay, wir verfechten hier die vermeintlich reinere Alternative, die Folk-, Roots- und Weltmusik darstellen, und denken vielleicht, wir sind immun gegen den ganzen Müll, aber symptomatische Dumpfheit ist nicht nur der Fluch des Populismus.
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