5 Minuten mit...Simin TanderDie unbekannte HeimatEin musikalischer Weg zu den Wurzeln und zu sich selbst. Vielfältig sind die Transportmittel: Gedichte auf Paschtunisch, Englisch und Französisch, ein Jazzquartett und eine ausdrucksvolle Altstimme. Am Reiseziel: Ein Album, das Grenzen zwischen Jazz, Songwriting und Weltmusik überwindet. Simin Tanders Where Water Travels Home begeistert durch tiefes Empfinden und entwaffnende Ehrlichkeit. TEXT: STEFAN FRANZEN Die Sängerin Simin Tander ist Deutsch-Afghanin aus Köln. Ihr Vater, als Chef der Kabuler Presseagentur eine tragende Persönlichkeit im politischen Geschehen Afghanistans, war zu Studienzwecken nach Deutschland gekommen, verliebte sich. Er stirbt, als Simin vier Jahre alt ist. Dass er auch Gedichte und Erzählungen geschrieben hat, erfährt sie erst viel später. Sehr früh experimentiert sie mit ihrer Stimme: Meine Mutter war großer Al-Jarreau-Fan, und auf Urlaubsfahrten habe ich ganz natürlich das Vokalsolo aus seinem Stück Spain mitgesungen. Apropos Spanien: Als Teenager durchlebt Simin Tander eine intensive Begeisterung für Flamenco, ist aber genauso fasziniert von Björk. Bis die Jazzsängerin Maria João in ihr Leben tritt. Sie war eine Bestätigung dafür, wie ich die Stimme sehe und fühle, was mit Gesang alles möglich ist.
Im niederländischen Arnheim und in New York absolviert Tander ihr Jazzstudium. 2010 stellt sie sich mit ihrem holländischen Quartett erstmals mittels des Debütalbums Wagma (Morgentau) vor, das bereits herkömmliches Jazzvokabular aufsprengt: Die Spanne reicht von Nick Drakes River Man bis zum raffinierten Bolero Obsesión, die vokale Ausdruckspalette von Scatten bis Hauchen inklusive Fantasiesprache. Für das Nachfolgewerk hat sie sich nun auf eine sehr persönliche Suche begeben. Es ist sowohl eine Reise zur Quelle als auch zur Mündung. Es geht darum, wie das Wasser natürlich seinen Weg findet, ohne etwas zu forcieren. Auch um ein Loslassen von Überzeugungen und Gefühlen, damit man zu seinem Kern kommen kann. Im Zentrum von Where Water Travels Home stehen drei Songs auf Paschtu. Lange lag dieses Erbe in ihr brach, nachdem sie einige Jahre weniger engen Kontakt zu ihren afghanischen Verwandten in Deutschland und England hatte. Es war eine große Herausforderung, diese Sprache zu lernen und sie nicht nur richtig, sondern auch schön auszusprechen. Das Paschtu hat viele Konsonanten, und trotzdem ist es sehr sanft und fließend. Im Liebesgedicht Yau Tar De Grewan schwelgt sie in fast höfisch-delikater Sprache, das tänzerische Volkslied Larsha Nengrahar Ta dagegen schwebt zwischen Tablarhythmen und jazzigen Offbeats. Am tiefsten geht die Reise ins Ich jedoch in De Kor Arman, einem Sehnsuchtslied, das auf einem wiedergefundenen Gedicht ihres Vaters Qudus Tander basiert. In diesem zentralen Stück nimmt die sonst so frei fließende, zarte Stimme einen dunklen, eindringlichen Ton an. Es ist, als ob Simin Tander mit ihrem Vater verschmelze. ... mehr im Heft |
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