FOLKER – Heimspiel

HEIMSPIEL



 

Offiziös

Preis der deutschen Schallplattenkritik

Bestenlisten – auch für Folk- und Weltmusik

Der Preis der deutschen Schallplattenkritik ist auch in der Folkszene begehrt. Irgendwie hat er etwas Offiziöses. Wer ihn bekommt, ist fast schon Teil der Hochkultur, auf jeden Fall reif fürs Feuilleton. Doch wie werden die Preise eigentlich vergeben?

TEXT: CHRISTIAN RATH

Viermal im Jahr erstellen neunundzwanzig Jurys eine gemeinsame Bestenliste. Jede Auswahlkommission benennt dabei maximal ein neues Album aus ihrem jeweiligen Metier. Die meisten Jurys kümmern sich um klassische Musik, doch immerhin vier sind auch für den Folker relevant: „Lieder und Songs“, „Folk und Folklore“, „Traditionelle ethnische Musik“ und „Weltmusik“. Jeder Jury gehören fünf haupt- oder nebenberufliche Musikkritiker an. Auch einige Folker-Mitarbeiter wie Kai Engelke, Gabriele Haefs oder Suzanne Cords sowie Chefredakteur Michael Kleff und Herausgeber Mike Kamp sitzen in den Auswahlkommissionen. Wer einmal dabei ist, kann bleiben, bis er keine Lust mehr hat oder stirbt; die Mitglieder haben also sehr viel Erfahrung. Falls doch einmal ein Platz frei wird, suchen sich die Juroren ein neues Mitglied, mit dem sie gerne zusammenarbeiten würden. Die Juryarbeit ist ehrenamtlich.
Jahresausschuss 2013 mit Eleonore Büning

BITTE NICHT ANRUFEN
Für jede Bestenliste sieht der Auswahl- und Wertungsprozess so aus: Jeder Juror nominiert hierfür drei Werke, sodass pro Jury bis zu fünfzehn Tonträger zur Auswahl stehen. Wem ein Album noch nicht vorliegt, muss es sich bei der Plattenfirma oder beim Künstler besorgen. Wohlmeinende Plattenfirmen bemustern die passenden Jurymitglieder automatisch, was gern gesehen wird. Manche Künstler rufen die Jurymitglieder sogar an. „Das ist aber eher kontraproduktiv“, sagt Gabriele Haefs, Mitglied der Jury „Lieder und Songs“.
go! schallplattenkritik.de
Nun hört jedes Jurymitglied sich die ihm vorliegenden Alben an und bewertet sie. Für jedes können ein bis zehn Punkte verteilt werden. Die Bestnote (zehn Punkte) darf jeder nur einmal vergeben. Es gibt keine festen Kriterien für die Wertung. Letztlich geht es um einen Gesamteindruck aus künstlerischer Originalität und handwerklichem Können, wobei auch die äußere Gestaltung (Cover und Booklet) eine Rolle spielen kann. Es gibt keine gemeinsamen Sitzungen. In der Regel werden auch sonst vor der Wertung keine Argumente ausgetauscht. Jeder Juror wertet also ganz nach eigenem Gusto. Theoretisch könnte man dabei taktisch vorgehen, zum Beispiel die eigenen Vorschläge hoch bewerten und alle anderen niedrig. Das sei aber unüblich, sagt Mike Kamp von der Folkjury, „so etwas würde auch dem Selbstverständnis der Juroren widersprechen“. Die Wertungen sind jedoch juryintern transparent. „Wenn mich die Punktevergabe eines Kollegen allzu sehr erstaunt, rufe ich schon mal an und frage nach“, so Kamp.

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Lebendige aktive Musikszene – Musiker lernen von Musikern

Das Pipenbocktreffen in Mecklenburg-Vorpommern

Workshops im Schloss

Einmal im Jahr treffen sich für mehrere Tage im hohen Norden Jugendliche, Senioren, Singles und Familien aus ganz Deutschland und dem Ausland zum Unterricht auf alten und neuen Instrumenten und zum gemeinsamen Musizieren. Der Zuspruch etlicher Profis und Amateure zeigt, wie groß der Bedarf an Veranstaltungen wie dem Pipenbocktreffen ist.

TEXT: JUTTA MENSING

Der Volkskundler und Dudelsackspieler Ralf Gehler initiierte vor vierzehn Jahren das Pipen-un-Lyren-Treffen im Museumsdorf Schwerin-Mueß, in dem er damals auch arbeitete.
go! pipenbocktreffen.de
Dudelsäcke, ob laut oder leise, sind seine große Leidenschaft. Deshalb gründete er auch das Pipenbock-Orchester, in dem Dudelsackbegeisterte gemeinsam musizieren. 2011 übernahm die Harfenistin Merit Zloch aus Berlin die Organisation des Treffens und wanderte ins Schloss Dreilützow in den Westen Mecklenburgs, das ansonsten als Schullandheim und Bildungs- und Begegnungsstätte der Caritas Mecklenburg e. V. dient. „In dem großen, unglaublich charmanten Gebäude aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts können wir alle zusammen musizieren, lernen, tanzen und Spaß haben. Großzügige, für Feste angelegte Räume, barocke Malereien, ein Schlossgeist und viel Atmosphäre inspirieren und laden zum Entdecken ein. Die wie eigens für ein Wochenende voller Musik und Tanz gebauten Räumlichkeiten waren in den vergangenen Jahren Zeuge nächtelanger Sessions, stimmungsvoller Dozentenkonzerte, Kurspräsentationen und langer Tanzabende“, schwärmt die Musikerin.

UNZUREICHENDE MUSIKALISCHE BILDUNG
„Traditionelle Musik lebt von Interpretation“, sagt Merit Zloch. Doch Interpretieren kann nur der, der sein Instrument auch beherrscht. Wenn Tradition am Leben erhalten werden soll, müssten die Voraussetzungen dafür durch verbesserten Musikunterricht an Schulen und durch die Einrichtung von weiteren Musikschulen ebenso geschaffen werden wie weitere Möglichkeiten, das eigene Können auf offenen Bühnen, in Folkklubs oder auf Festivals unter Beweis zu stellen.
PIPENBOCKTREFFEN 2013 * FOTO: JUTTA MENSING

Das Pipenbock-Kurswochenende für traditionelle Musik in Mecklenburg-Vorpommern kann diese große Lücke natürlich nicht füllen, bietet aber eine wichtige Weiterbildungsmöglichkeit. Letztes Jahr im November besuchten die Workshops neben Dozenten wie Olle Gällmo aus Schweden, Jon Swayne aus Großbritannien und Simon Wascher aus Österreich auch etwa achtzig Schüler im Alter von sieben bis achtundsiebzig Jahren aus fast allen Bundesländern, England und Frankreich. Sechs Stunden täglich, unterbrochen von kurzen Pausen, verbesserten sie ihre Kenntnisse auf der Säckpipa (schwedischer Dudelsack) oder der Nyckelharpa und beschäftigten sich mit Tanzmusik im Ensemble, Tanzen, ohne ein Musikinstrument zu spielen, Jodeln oder „Tanzboden-Feeling“, einem auch dieses Jahr wieder geplanten Kurs, bei dem Tänze auf der Geige gelernt wurden, zu denen dann am Abend getanzt werden konnte.

TANZMUSIK DES ACHTZEHNTEN JAHRHUNDERTS Eine wichtige Basis beim „Ensemblekurs Tanzmusik“ – der aufgrund großer Nachfrage 2014 ebenfalls eine Neuauflage finden wird – waren die Tänze aus der Dahlhoff-Sammlung.
SCHLOSS DREILÜTZOW* FOTO: JUTTA MENSING

Dabei handelt es sich um Tanzmusiknotenbücher Johann Dietrich Dahlhoffs mit Tanzmusik des achtzehnten Jahrhunderts, die Simon Wascher, Merit Zloch und Wolfgang Meyering ausgegraben haben und die Dank etlicher Spender digitalisiert werden konnten. Wascher berichtete in einem Vortrag über seine Forschungen dazu an der Berliner Staatsbibliothek. Am Ende eines Workshoptages wird bei den Sessions immer das frisch Gelernte wiederholt und um die Ergebnisse der anderen Kurse ergänzt. Dabei können sich auch Einzelne präsentieren: So gab beispielsweise Merit Zloch mit einer Freundin ein kurzes Harfenduokonzert. Nach den Sessions kamen die Kursteilnehmer an schön dekorierten Tischen bei Snacks, Getränken und Kerzenschein zum Informationsaustausch zusammen. Einige verteilten sich auf die verschiedenen Räume, um in kleinen Gruppen zu musizieren – sogar im Waschraum, wohl, weil es hier so schön hallte … Erst spät in der Nacht fanden die Teilnehmer Schlaf in den Vier- bis Acht-Bett-Zimmern. Urig waren sie allemal, mit Hochbetten und Stiegen hinauf und hinunter, denn die hohen Räume lassen sich gut horizontal teilen.

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Am Puls der Zeit

Zukunftswerk Klein Jasedow

Das Dorf der Musiker

1996 zitiert ein Spiegel-Reporter Matthias Andiel, den damaligen Bürgermeister von Klein Jasedow und Umgebung, diese Gegend sei „irgendwie der Arsch der Welt“. Vier Musiker lesen den Artikel, in dem der CDU-Mann Künstler dazu aufruft, die verlassenen Gebäude im Gutsdörfchen unweit der Ferieninsel Usedom mit neuem Leben zu füllen. Sie fahren kurz entschlossen hin und ziehen 1997 zu zwölft mit ihren Familien endgültig aus den Alpen an die pommersche Ostseeküste, um dort ihre Lebensideale zu verwirklichen.

TEXT: KAY REINHARDT

Von wegen Arsch der Welt: Klein Jasedow ist am Puls der Zeit, seit Beata Seemann, Christine Simon, Johannes Heimrath, Klaus Holsten und Co dort Zukunftsmusik machen. Was mit dem Einzug in kaum bewohnbare Häuser begann, ist heute „ein Organismus, in dem Menschen aller Generationen in sozialen Unternehmen und kulturellen Projekten gemeinschaftlich zusammenwirken“, heißt es auf der Projektwebsite. Pioniergeist hatten die Künstler schon immer, wenn es darum ging, musikalisch, im Zusammenleben, in Bildungsangelegenheiten und im Umgang mit der Umwelt neue, nachhaltige Wege zu suchen. Die Integration in die alteingesessenen Strukturen klappte gut, ein kräftezehrender Streit Anfang des Jahrtausends wurde erfolgreich beigelegt.

ES BEGANN MIT ALTER MUSIK
DAS KLANGHAUS AM SEE * FOTO: MIRA KRETSCHMER
Johannes Heimrath war ein Vorkämpfer des Mittelalterfolks. Als Musikstudent gründete er 1975 mit seinem Kommilitonen Michael Korth das Duo Bärengässlin. Heimrath und sein damaliger Duopartner studierten alte Schriften, transkribierten und übersetzten Texte aus dem Mittelhochdeutschen und Tabulaturen in allgemein verständliche Notenschrift. Die beiden gehörten zu den ersten, die Musik aus dem Mittelalter und der Frührenaissance auf lockere Bardenart spielten und edierten. Davon zeugen Alben und bibliophile Bücher wie die Oswald-von-Wolkenstein-Ausgabe Frölich geschray so well wir machen. Christine Simon verstärkte das Duo mit Gambe und Blockflöte. Als sie durch einen Instrumentenhändler mit den beiden indischen Streichinstrumenten Dilruba und Esraj in Berührung kam, wurden die Klänge weltmusikalischer.
go! eaha.org
go! kleinjasedow-familie.de
go! zukunftswerk-kleinjasedow.de
Auch ihre Kollegen und Freunde, die Cembalistin Beata Seemann und der Flötist Klaus Holsten (unter anderem Pionier auf der Traversflöte und langjähriger Orchestermusiker der Bayerischen Staatsoper) hatten ein Faible für Alte und Neue Musik in Richtung freie Improvisation. Sie gründeten das Now!-Ensemble, das Axis- und das Belladonna-Duo, veranstalteten Klangwanderungen und Performances. „Musik entsteht, wenn du Beziehungen mit jemandem oder etwas aufnimmst“, weiß Klaus Holsten. Aus der Erfahrung seiner Klangwanderungen sagt er: „Ich spiele unter einer Linde anders als unter einer Eiche.“ Dieses feine Gespür zeichnet alle vier Partner aus.

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Auf nach Schleswig-Holstein

Vierzigstes Folktreffen

Der Scheersberg ruft

Dass der Scheersberg vor dem erstem Folktreffen 1975 doppelt so hoch war wie heute und seitdem von Folkies abgetanzt wurde, ist eine Legende; dass Folkbegeisterte in den Häusern und auf dem Rasen der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg alljährlich am Pfingstwochenende ausgelassen feiern – 2014 sogar vier Tage lang –, eine Tatsache.

TEXT: KAY REINHARDT

Vom siebzig Meter hohen Scheersberg in der Gemeinde Steinbergkirche, zwanzig Kilometer südöstlich von Flensburg, auf Ostsee, Raps und Wiesen zu schauen, in der Sonne oder unter Mond und Sternen Livemusik zu hören, miteinander zu singen, zu tanzen, zu musizieren und zu reden – was könnte es Schöneres geben?
go! scheersberg.de
go! lagfolk.de
Das hatte sich wohl auch der langjährige Leiter des Jugendhofs, Ulrich Ehlers, gedacht, als er 1975 erstmals ein Folkkonzert im Jugendhof organisierte. Born To Win hieß die Irish-Folk-Band, die er engagierte. Keiner konnte vorhersehen, dass damit eines der dauerhaftesten Folkfestivals in Deutschland geboren war.
INTERNATIONALE BILDUNGSSTÄTTE JUGENDHOF SCHEERSBERG, SÜDANSICHT
Initiator Ehlers blieb mehr als dreißig Jahre lang der Motor dieses Projektes, unterstützt von einem künstlerischen Beirat, vor allem von Walter Peetz und Jörg-Rüdiger Geschke. Mittlerweile ist die Landesarbeitsgemeinschaft Folk Schleswig-Holstein (LAG Folk) Veranstalter und stellt auch die Festspielleitung. Das kam so: Als die Landesregierung 1990 die Förderrichtlinien veränderte, geriet das Festival in Gefahr. Erst in den Verhandlungen gab sie den entscheidenden Tipp, der zukunftsweisend war: Ein Verein als Veranstalter ist förderfähig. Zähneknirschend – weil ihnen Vereinsmeierei gegen den Strich ging – gründeten die Folkfreunde am 30. November 1990 den LAG Folk e. V. Ein Glücksfall für alle Folkies im nördlichsten Bundesland und für das Land selbst auch, denn die Initiativen der LAG tragen wesentlich zur musischen Bildung und zur Pflege des Kulturerbes vor Ort bei. Ihre knapp zweihundertfünfzig Vereinsmitglieder nehmen intensiv daran teil.

WESENTLICHE INHALTE STATT MOTTOSHOWS
ULRICH EHLERS
Der amtierende LAG-Vorstand unter Leitung von Jens-Peter Müller hat die Tradition fortgesetzt, fast jedes Folktreffen mit einem spannenden Leitthema wie die gesellschaftliche Funktion des Volkslieds, Musik als Lebensmittel, „Folk op Platt“, Folk in der Musikschule oder Folk als Studienfach an deutschen Hochschulen zu verbinden. Die LAG fördert außerdem musikalische Begegnungen mit anderen Genres wie Jazz, Bluegrass, Old-Time-Musik oder Klezmer, mit traditioneller Volksmusik aus aller Welt und mit Weltmusik. Dabei ist Musikkultur der Ostseeanrainer immer wieder besonderer Schwerpunkt. Scheersberg baut also Brücken, überwindet Grenzen und verbindet Generationen. Während das TFF Rudolstadt einen repräsentativen Überblick über Aktuelles, Trends und Beständiges in der Szene bietet und Massen anzieht, findet das Internationale Folktreffen auf dem Scheersberg in fast großfamiliärem Rahmen statt: In der Regel sind es etwa einhundertzwanzig im Jugendhof untergebrachte Folkbegeisterte plus ungefähr einhundert externe Teilnehmer.

WENIGER IST MEHR
Das Programmangebot, bestehend aus Werkstätten, Konzerten, Sessions und manchmal auch Vorträgen und Diskussionen, ist immer überschaubar. Und so soll es auch bleiben, schon weil die Kapazitäten der Jugendbildungsstätte damit ausgeschöpft sind. Ein Alleinstellungsmerkmal des Scheersberger Treffens ist, dass es jedes Mal mit einer Gesprächsrunde endet und das Leitungsteam das Feedback beim folgenden Festival berücksichtigt. Hier hat also das Publikum große Mitgestaltungsmöglichkeiten. Das gilt erst recht für die „Slow Sessions“, die auch für wenig Geübte geeignet sind, sowie für die legendären (Fast) Sessions und Gesangsrunden in der Kellerkneipe, die manchmal erst am folgenden Morgen enden. Jeder ist herzlich eingeladen, zur weiteren Legendenbildung beizutragen.

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Update vom
09.02.2023
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FOLKER auf Papier
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