GASTSPIEL
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AUF, AUF ZUM KAMPF?
Lieder der deutschen Arbeiterbewegung und ihre Aktualität
Von HARTMUT FLADT *
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Mehr als ein nur historisches Interesse wird gegenwärtig dem Arbeiterlied in der Regel nicht zugebilligt. Auch die angestrebte Anerkennung als Weltkulturerbe** zielt in diese Richtung.
Mit der Gründung der Arbeitersängervereine entstanden im neunzehnten Jahrhundert spezifische soziale und politische Funktionen des Singens; nach den Verboten politischer Betätigung durch das Sozialistengesetz Bismarcks (1878) waren diese Vereine Refugien weit über eine nur künstlerische gemeinschaftliche Betätigung hinaus.
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Eine Arbeiter-
kultur existiert
nicht mehr.
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Aber: Dabei knüpfte man im eigenen Kampf an Kulturen des Widerstands an, die bis heute als lebendig berührend erfahrbar sind. Sie bewahren in sich Konflikte der Menschheitsgeschichte auf. Die neuen Funktionen der Lieder hatten unmittelbare Auswirkungen auf ästhetische Entscheidungen: Ein musikalisch vertrautes Repertoire wurde im Text, bisweilen auch in der Musik verändert.
Autoreninfo:
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*PROF. DR. HARTMUT FLADT
aus Detmold studierte dort Komposition, in Berlin Musikwissenschaft, Philosophie, Literaturwissenschaft; Promotion bei Carl Dahlhaus. Editor bei der Richard-Wagner-Gesamtausgabe (4 Bände); seit 1981 Professur (Musiktheorie) an der Universität der Künste Berlin, 1996-2000 auch an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Habilitation Musikwissenschaft. Im Vorstand der Eisler-Gesellschaft, im Editionsbeirat der Hanns-Eisler-Gesamtausgabe. Circa achtzig Publikationen über Musik des dreizehnten bis einundzwanzigsten Jahrhunderts. Regelmäßige Rundfunkbeiträge auch über Populärmusik und ihre Vermittlung. Komponierte Bühnenwerke, Ballett-, Kammer-, Chormusik, elektroakustische Musik, Lieder, Orchesterwerke, angewandte Musik, darunter auch Filmmusik und Kabarettmusik.
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Solche sehr alten Verfahren sind immer noch aktuell: Geschichte ist dann nicht tote Vergangenheit, wenn sie als gesungene exemplarisch erlebbar bleibt.
Das betrifft den Choral als Marseillaise des 16. Jahrhunderts (Friedrich Engels), Lieder der Bauernkriege schon im Deutschen Bauernkrieg (1524-1526) wurden Choräle umgetextet, eine Tradition, die über Adaptionen des neunzehnten Jahrhunderts bis zu den satirischen Hitler-Chorälen von Bertolt Brecht reicht.
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Volkslieder und deutsche Volkslieder demokratischen Charakters (Steinitz) wurden neu getextet, ebenso ursprünglich während der Arbeit gesungene Arbeitslieder (an die Steinitz-Sammlung knüpfte auch die Erneuerungsbewegung des authentischen Volkslieds in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts an). Das Er-Leben und zugleich ungeschminkte Besingen der Realität gehörte zur Kultur des Volkslieds, bevor es im neunzehnten Jahrhundert zu dem verkam, was wir heute in den Medien erleben: volkstümliche Kunstmusik, in der dem Volk vorgeschrieben wird, wie es zu sein hat beschränkt, herzig, tümlich. Umgetextet wurden auch Hymnen wie unter anderem die Marseillaise, und im Vormärz gab es dann endlich neu komponierte politische und Freiheitslieder; Heinrich Heine spottete: Der Knecht singt gern ein Freiheitslied / des Abends in der Schenke: / das fördert die Verdauungskraft / und würzet die Getränke. Bürgerliche Komponisten wie Franz Liszt, Hans von Bülow und Arnold Schönberg schrieben Musik für diesen sozialen und politischen Aufbruch.
In den USA entstanden die Bluesvorläufer (Worksongs der Sklaven beziehungsweise der Inhaftierten bei der Zwangsarbeit); an sie, ebenso an die weißen Folk- und Arbeiterliedtraditionen knüpften im zwanzigsten Jahrhundert Woody Guthrie und Pete Seeger an, für deutsche Liedermacher seit den Sechzigern wichtige Vorbilder. Das Singen internationaler Gewerkschafts- und Widerstandslieder zeigt in Deutschland die Tendenz zu geliehenen Gefühlen. Im kollektiven Singen von Parteien und Gewerkschaften heute ist das Repertoire auf Brüder, zur Sonne, zur Freiheit und Wann wir schreiten Seit an Seit zusammengeschrumpft; bisweilen erklingt We Shall Overcome oder sogar eine verschämte Internationale.
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