EDITORIALLiebe Musikfreundinnen und -freunde, als vor fünf Jahren Michael Jackson starb, wurde ich vom Fernsehsender Phoenix eingeladen, um über die Rolle des Künstlers für die Geschichte der Musik zu sprechen. Der Moderator zitierte soweit ich mich erinnere Madonna, die Jacksons Tod mit den Worten kommentierte: Einer der ganz Großen ist von uns gegangen. Jackson war im Juni, nur wenige Wochen nach Pete Seegers neunzigstem Geburtstag gestorben. Den hatte der deutsche Ereignis- und Dokumentationskanal übrigens nicht zur Kenntnis genommen. Ich fragte daher, auf welcher Basis wir denn von Größe sprechen würden. Ob es zum Beispiel Verkaufszahlen seien, die einem Musiker dieses Attribut verleihen würden. Angesichts mehrerer hundert Millionen verkaufter Tonträger gebührt diese Ehre dann ohne Frage Michael Jackson. Doch gibt es nicht auch eine andere Möglichkeit, Größe mit Inhalt zu füllen? Ist nicht auch jemand einer der ganz Großen, der im Laufe seines Lebens mit seinen Liedern und seinem persönlichen Verhalten Vorbild für Millionen von Menschen war? Indem er sie bei ihrem Kampf für eine bessere Welt ermutigte oder ihnen bei Niederlagen Mut zusprach? In diesem Fall müssen wir jetzt mit Fug und Recht den Tod Pete Seegers mit den Worten kommentieren, einer der ganz Großen ist von uns gegangen. Das haben erfreulicherweise sogar die deutschen Medien erkannt und wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung, die FAZ und die Taz Seeger auf der Titelseite gewürdigt. Pete Seeger, der am 27. Januar im Alter von vierundneunzig Jahren starb, widmete sein Leben nicht seiner Karriere, sondern bis zuletzt gegen alle Widerstände dem Engagement für Gerechtigkeit, gegen Krieg, gegen die Zerstörung der Natur und gegen den Kapitalismus. Im Halbmast erinnern wir an ihn. Zu seinem neunzigsten Geburtstag widmeten wir dem Musiker und Aktivisten in Heft 3/2009 ein Spezial, unter anderem mit Stimmen von Kollegen und Weggefährten aus aller Welt. Dem, was schon vor fünf Jahren über Pete Seeger gesagt wurde, ist nichts hinzuzufügen.
Doch man sollte immer wieder darauf hinweisen, dass dieser Künstler gezeigt hat, wie machtvoll Musik sein kann. Er glaubte daran, die Welt damit verändern zu können. Und er hat es getan. Aber wie sieht es heute mit dem Einfluss der Musik auf den Gang der Dinge aus? Joachim Hentschel ist dieser Frage im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung nachgegangen. Unter der Überschrift Hat wer was zu sagen lautet seine Antwort: Was fehlt, ist relevante Musik zur Zeit. Zwar beschäftigt Hentschel sich nur mit Beispielen aus der populären Musik, aber auch der Blick auf die vom Folker beobachtete Folk-, Lied- und Weltmusikszene zeigt, dass hier von wenigen Ausnahmen abgesehen Fehlanzeige zu vermelden ist. Die Aufnahme eines kritischen Textes auf ein Album oder der Auftritt bei einer Demo reicht in diesen Zeiten nicht aus. Wir sind keine Freunde, aber ich muss dem Konzertpromoter Berthold Seliger zustimmen, wenn er am Ende seines lesenswerten Buches Das Geschäft mit der Musik schreibt: In einer Zeit, in der das Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe weltweit durch multinationale Konzerne massiv gefährdet ist, kommt es mehr denn je darauf an, Haltung zu zeigen. Und weiter führt er aus: Nicht nur die Künstler selbst, sondern auch die Kulturvermittler, vor allem aber die Kulturempfänger, also das Publikum
, müssen sich fragen, ob sie sich mit einer Kultur zufrieden geben wollen, die nur der Unterhaltung und Zerstreuung dient, die nur das Einverständnis mit der Welt zementiert oder ob sie eine Kultur des Fortschritts wollen, eine Kultur, die der Forderung Brechts gerecht wird, daß der Mensch dem Menschen ein Helfer sei. Vielleicht sollte die Bundeszentrale für politische Bildung Seligers Buch in hoher Auflage aufkaufen und an den von ihm aufgeführten Personenkreis verteilen.
Ihr Folker-Chefredakteur PS: Im Land der Freien und Mutigen hat mein besonderer Freund Bob Dylan wieder zugeschlagen. Genauer gesagt, er hat sein Konto aufgefüllt. In der Werbepause bei dem Sportereignis der US-Amerikaner, dem Super Bowl, kassierte Dylan gleich zweimal. Mit dem Song I Want You im Hintergrund sollten die Fernsehzuschauer zum Genuss eines Joghurts verführt werden. Und dann trat Mister Dylan persönlich auf, um für den Kauf eines Autos von Chrysler zu werben. Ganz patriotisch mit der Frage: Is there anything more American than America? Pete Seegers Asche war da noch nicht unter der Erde, aber hätte er gekonnt, hätte er sich angesichts dieses Ausverkaufs wohl im Grabe umgedreht. Wie auch Dylans großes Vorbild Woody Guthrie. Aber was soll man von einem Künstler erwarten, der weder Probleme hat, gegen großes Geld für die Rüstungsindustrie aufzutreten, noch, sich als Mr. Lingerie Man für luxuriöse Damenunterwäsche herzugeben. |
|