GASTSPIEL
ICH HABE GEWÄHLT
Oder: Warum eine Regierung höhere Maßstäbe anlegen muss
Von Michy Reincke*
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Ich durfte wieder wählen. Aber über was stimmt man eigentlich genau ab, wenn die wesentlichen Themen unserer Zeit einmal mehr ausgespart wurden? Doch nicht über Alternativen zu grenzenlosem Wachstum auf einer Welt mit begrenzten Ressourcen und Anbauflächen, rasant steigender Weltbevölkerung und einer sich kaputt erweiternden, zügellosen Konsumgesellschaft, die mit einer Vergeudungsökonomie ihrem Ende entgegengeht? Nein. Etwa über eine Alternative zur allgemeingültigen Definition von Erfolg, die weniger über die Qualität eines Menschen, seine geistige Entwicklung und seinen lebendigen Wert für die Gemeinschaft aussagt, als darüber wie man in unserer Gesellschaft denjenigen auf die Schulter klopft, die selbst als menschliche Versager, Trottel und Soziopathen etwas gelten, solange sie nur genügend Zaster und Macht oder Popularität anhäufen? Nein. Stimmt man ab über Klugheit, Gerechtigkeit, Mut und Maß? Ein vulgäres und geschmackloses Zeitalter und ihre Zuhälter, die Galeerentrommler sinnloser Betriebsamkeit? Darüber, was ein gutes Leben ist oder was ein gutes Leben sein kann? Was ein Wert ist im Unterschied zu einem Preis und über das Geheimnis, endlich zu lernen das zu differenzieren? Nein.
Im Großen und Ganzen entwickeln sich die Themen zurück auf einfache Botschaften. Etwas das man schon aus seiner Jugend kennt. Symbolisch mag dafür zum Beispiel das Engagement stehen, sich für die Aufstellung eines Coca-Cola-Automaten in der Pausenhalle stark zu machen, um als Schulsprecher gewählt zu werden. Thematisch passen in so eine Sammlung Pkw-Maut für Ausländer und ein Veggie-Day ganz prima rein. (Welcher Werbe-Agentur-Hitler denkt sich eigentlich solche infantilen, jeden Vegetarier diskriminierenden Teletubby-Slogans aus? Die Grünen hätten fordern sollen, dass sich die Menschen dazu verpflichten, einmal im Monat die Tiere selbst zu ermorden und die Leichenteile aus dem Kadaver zu schneiden, um sie sich zuzubereiten, wenn sie Fleisch essen wollen.)
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Ich möchte zukünftig eine Partei wählen können,
die in ihrem Programm verkündet, dass die Nützlichkeit
von Kultur wesentlicher für den Reichtum und das Gelingen
eines menschlichen Lebens ist als der Konsum.
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Deshalb ist es nur konsequent, dass Stefan Raab so eine Art politische Sendung betreut, um viele Menschen dort abzuholen, wo sie es sich die meiste Zeit gemütlich machen vor dem Fernseher. Wobei abholen vielleicht doch nicht die richtige Vokabel ist. Besuchen. Zu Besuch in der Unterhaltungsrepublik Deutschland. Schlag den Raab, schlag den Bundestag und zwischendurch ein bisschen Reklame. Um die Sache in dieser Haltung rund zu machen, hätte ich mir eine abschließende Wahlshow und Kommentierung des Ergebnisses durch Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn gewünscht. Mit Gewinnspiel! Rufen Sie an! Für 60 Cent aus dem Festnetz. Mobil kann es teurer werden. Also bleiben Sie zu Hause, gehen Sie nicht raus, seien Sie nicht in Bewegung! Vielleicht wären führende Kräfte der FDP auch gut beraten gewesen, hätten sie sich einmal im Dschungelcamp blicken lassen.
Autoreninfo:
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*MICHY REINCKE
ist Musiker und Autor, Jahrgang 1959, geboren in Hamburg. Für seine erste Band Felix de Luxe komponierte, textete und sang er Anfang der Achtzigerjahre unter anderem Taxi nach Paris und Nächte übers Eis. Er schrieb die Texte für die deutschsprachigen Soulversionen seines Schulfreundes Stefan Gwildis und war als Komponist für diverse Film- und Theatermusiken zuständig. Als Produzent und/oder Verleger arbeitete er unter anderem für Heinz Strunk, The Land, Nils Bokelberg. Er betreibt das Label Rintintin Musik (unter anderem Anna Depenbusch, Wolfgang Müller, Regy Clasen, Der Fall Böse, Katharina Vogel, Fjarill). Mit zwei Freunden veranstaltet Michy Reincke seit zehn Jahren in Norddeutschland die Lausch Lounge, in der Künstler wie Annett Louisan, Boy, Gisbert zu Knyphausen, Cäthe oder Johannes Oerding ihre ersten Auftritte hatten. Im Januar 2014 erscheint Reinckes neues Album. Die dreißig Städte umfassende Deutschlandtour startet im Februar.
www.michyreincke.de
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Wenn man über die verflachende Unterhaltungs- und Marktforschungs-Politikdarstellung einer Demokratie hinaus zum Beispiel der Meinung wäre, dass die Sache prinzipiell verpfuscht und es ein historischer Fehlschlag ist, einer bürgerlichen politischen Kaste das Ruder über Jahrzehnte überlassen zu haben, die eigentlich hätte führen sollen und praktische Beispiele des Glücks sowie eines gelingenden Lebens hätte geben müssen, aber dieser schwachen herrschenden Klasse nichts Besseres eingefallen ist, als Geld wie Ebbe und Flut um die Welt schwappen zu lassen sowie jede Gelegenheit zu nutzen, Profit zu machen welchen echten, Erfolg versprechenden, demokratischen Ansatz hätte man bei dieser Wahl gehabt mit seinem nachvollziehbaren Wunsch, die Pfeifen jetzt mal in die Wüste zu schicken und was anderes zu probieren, ohne sich an eine Kasperle-Partei zu wenden?
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FOLKER auf Papier
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