FOLKER – Reinhard Mey
 REINHARD MEY * FOTO: JIM RAKETE - UNIVERSAL MUSIC
» Wenn ich schreibe, dann denke ich weder an die Schallplatte, die irgendwann einmal daraus wird, ich denke nicht an die Halle, die ich irgendwann füllen möchte, ich denke nur an das Lied. «

REINHARD

MEY

NOCH 'N LIED

WIE DER TIBETANISCHE GEBETSMÖNCH AM BACH

Berlin, Lichterfelde-West. Bereits bei der fußläufigen Durchquerung dieses Viertels wird eines schnell deutlich: Hierhin zieht es weder Gestrandete noch Strauchelnde. Und vermutlich nicht einmal Zweifelnde. Denn Lichterfelde-West, das ist eines der ältesten Villenviertel Deutschlands, nach der Wende hingebungsvoll saniert und restauriert. Nicht protzig, ja, nicht einmal arrogant. Und doch so unverschämt gut situiert, so selbstbewusst relaxed und lebenswert, dass es scheint, als seien jene Adjektive, mit denen die Hauptstadt landläufig versehen wird, erfolgreich ausgesperrt worden. Denn hektisch, chaotisch, verlottert und, allem voran, pleite ist in Lichterfelde-West ganz offensichtlich nichts und niemand. Diplomaten sind es, die sich hier bevorzugt ansiedeln, Akademiker, wohlhabendes Establishment. Kurzum: Menschen, die es geschafft haben.

TEXT: DAVID WONSCHEWSKI


Durch genau diese Straßen laufe ich, um mich zum ersten Mal in meiner inzwischen langjährigen Musikjournalistenlaufbahn mit Reinhard Mey zu treffen. Und je näher ich dem Aufnahmestudio komme, in dem der
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AUSWAHLDISKOGRAFIE:
Ich wollte wie Orpheus singen (Intercord, 1967)
Mein Achtel Lorbeerblatt (Intercord, 1972)
Wie vor Jahr und Tag (Intercord, 1974)
Jahreszeiten (Intercord, 1980)
Alleingang (Intercord, 1986)
Farben (Intercord, 1990)
Flaschenpost (Intercord, 1998)
Mairegen (Odeon/EMI, 2010)
Dann mach’s gut (Odeon/Universal, 2013)

Dann mach's gut

TERMINHINWEIS:
Die Tour zum neuen Album findet vom 18.9. bis 16.11.2014 statt. Tickets gibt es ab dem 18.9.2013 (nur) unter www.mey-tickets.de.

Liedermacher sein neues Album Dann mach’s gut aufnimmt, umso heftiger spüre ich Anzeichen einer lange verloren geglaubten Nervosität in mir. Doch ist es nicht Reinhard Mey, der Prominente, der mich unsicher werden lässt. Und noch viel weniger Reinhard Mey, der Mensch. Es ist mein eigenes Verhältnis zu dieser Ikone des deutschsprachigen Chansons. Was, wenn nun ausgerechnet er, dessen Lieder mich schon so lange begleiten und der einen Song zu scheinbar

REINHARD MEY

Dann mach’s gut

(Odeon/Universal, www.universal-music.de)
17 Tracks, 74:39, mit Infos u. Texten
Obschon in überwiegend ruhigen Klängen gehalten, wird diese Platte polarisieren. Denn, um zu erkennen, was das Album zu einem kleinen Juwel werden lässt, braucht es definitiv etwas Zeit. Thematisch besehen ist hier zu finden, was auch auf den gut zwei Dutzend Alben zuvor bereits zu finden war. Ein Song gegen den Krieg, ein Song über den Wein, Lieder über seine Familie, Lieder, die trösten – und sogar ein Lied über das Fliegen ist wieder dabei. Und doch haben wir es hier mit einer kleinen Offenbarung zu tun, präsentiert Mey neben der so souverän entfachten stilistischen Blüte nicht weniger als textliche Weisheit. Siebzig Jahre ist er jüngst geworden. Und genau das ist der große Trumpf der Platte: Der Mann weiß etwas vom Leben. Hat etwas begriffen. Ist über harte und schöne Erfahrungen zu einem Selbstverständnis gelangt, zu dem nicht jeder Mensch im Laufe der ihm gewährten Jahre gelangen darf. Ein faszinierend gelassenes Ich ist da plötzlich zu vernehmen, wie es auf seinen früheren Platten in dieser Ausdrucksstärke nicht zu vernehmen war. Mit Sicherheit das stärkste Mey-Album seit fünfundzwanzig Jahren. Das intensivste sowieso.
David Wonschewski
jedem noch so kleinsten Anlass meines Lebens im Repertoire hat – was, wenn nun ausgerechnet Reinhard Mey sich als derart gesetzt, etabliert und selbstzufrieden erweist wie diese Gegend, in der er sein Album aufnimmt? Sagt es also etwas über ihn aus, dass es ihm im an Tonstudios nun wahrlich nicht armen Berlin ausgerechnet hierhin zieht, um sein sechsundzwanzigstes deutschsprachiges Studioalbum aufzunehmen? Was wird es mit mir, dem Liedermacher-Enthusiasten, machen, wenn Mey sich als so satt und selbstgefällig herausstellt wie, tja: wie er es sich durchaus erlauben könnte? Und wie er es sich sogar verdient hätte? Durchaus berechtigte Fragen; die Reinhard Mey jedoch gleich zu Beginn unseres Treffens in alle vier Himmelsrichtungen zerstreut.

Bereits eine ganze Reihe Musiker mit großen Namen habe ich bisher interviewen dürfen. Nach Klaus Hoffmann ist Reinhard Mey aber erst der zweite, der mich nicht von einer Assistentin zu sich führen lässt, sondern der mir in einem langen Gang entgegenkommt, mich selbst in Empfang nimmt: „David, schön, dass wir uns endlich kennenlernen.“

Ein einfacher Satz, der in vielen Lebensumständen als übliche Begrüßungsfloskel durchgehen könnte. Er offenbart jedoch gleich einen warmen und sehr persönlichen Ansatz, der die meisten legendären Liedermacher auszeichnet. Denn, wie sich im Laufe unseres Gesprächs immer wieder herausstellt, hat Reinhard Mey wahrhaftig eine Ahnung davon, was ich mache, was ich treibe. Dass ich mehr über ihn und sein Schaffen weiß als andersherum, steht außer Frage und soll auch so sein. Doch schnell wird deutlich: Reinhard Mey, der seit geraumer Zeit nur noch mit wenigen Journalisten spricht, hat sich zumindest so weit über mich informiert, dass ich nicht mehr als anonymer Schreiberling vor ihm sitze, sondern als Gesicht, als Mensch. Durchaus eine Seltenheit in der Musikbranche.

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Update vom
09.02.2023
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Dieser Text ist nur ein Auszug des Original-Artikels der Print-Ausgabe!

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