FOLKER – Heimspiel

HEIMSPIEL



 

KULTUR ALS BRÜCKE

Das Kulturzentrum Eichberg

Allein auf weiter Flur

Ein weiter Blick über das Rheintal belohnt den, der den Anstieg von Eltville zum Eichberg bewältigt. 1849 wurde das zuvor in Räumlichkeiten des nahegelegenen Klosters Eberbach befindliche Irrenhaus hierher verlegt. Die ehemalige Landesheilanstalt mit eigener dunkler Nazivergangenheit ist heute eine hochmoderne psychiatrische Klinik, die als einzige Einrichtung ihrer Art in Deutschland ein eigenes Kulturzentrum beherbergt.

TEXT: STEFAN BACKES

JÜRGEN SCHEURENBRAND 2008 * FOTO: KUZ EICHBERG
go! www.kuz-eichberg.de
Vier Säulen tragen die Decke des gediegenen Raums, der eine gewisse Behaglichkeit ausstrahlt. Die vier mal sechs Meter große Bühne ist nicht überdimensioniert und erinnert mit ihren Vorhängen an ein Theater. Hier, im Erdgeschoss des ehrwürdigen Gebäudes, empfängt der Mitbegründer und künstlerische Leiter des Kulturzentrums (KUZ) Eichberg, Jürgen Scheurenbrand, seine bis zu einhundertfünfzig Gäste. 1990 erhielt der Fachkrankenpfleger für Psychiatrie – „mit Hang zur Kleinkunst“, wie er zugibt – den offiziellen Auftrag, ein Kulturprogramm auf die Beine zu stellen mit dem Ziel, „der Stigmatisierung der Psychiatrie zu begegnen“. Dabei sollten sowohl die breite Öffentlichkeit als vor allem auch Menschen angesprochen werden, die aufgrund ihrer Erkrankung von einem solchen Angebot in der Regel ausgeschlossen sind – mit dem Hintergedanken, Langzeitpatienten ein Stück weit mit der Normalität in Kontakt zu bringen. „Mit unserem Kulturangebot versuchen wir, eine Brücke zu schlagen“, erläutert Scheurenbrand. „Wir ermutigen Menschen, ihre Vorbehalte gegenüber Psychiatrie in Frage zu stellen und einen ungezwungenen Umgang zu pflegen. Kranken Menschen und deren Angehörigen versuchen wir, mehr Selbstbewusstsein zur Bewältigung ihrer Krankheit zu geben.“ Solches Engagement wird belohnt, nicht nur durch beständige Besucherzahlen, sondern auch durch offizielle Anerkennung wie etwa durch die Stiftung Bürgermut aus Berlin, die Scheurenbrand und sein Projekt 2009 in den Kreis der tausend besten Bürgerideen Deutschlands aufnahm.

Leider nicht üblich

Die Klinik Eichberg ist eine Einrichtung von Vitos Rheingau, des psychiatrischen Zentrums für den Rheingau-Taunus-Kreis und Wiesbaden. Ein besonderes Angebot der Klinik für ihre akut psychisch erkrankten Patienten in stationärer und ambulanter Behandlung ist eben auch das Kulturzentrum, mit dessen Betreiben man in Deutschland allein auf weiter Flur steht. „Nein, üblich ist das leider nicht“, sagt Scheurenbrand. „Ich fände es allerdings sehr reizvoll, wenn sich Psychiatrien auch zu Zentren für Kunst etablieren würden.“

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BLICK HINTER DIE KULISSEN

Norient-Musikfilmfestival

Überraschende Sichtweisen auf globale Szenen

Es sind erschütternde, berührende und skurrile Geschichten, die beim Norient- Musikfilmfestival erzählt werden – über einen jüdischen Rapper mit äthiopischen Wurzeln, der gegen Diskriminierungen in Israel kämpft, über die polyphonen Gesänge Albaniens oder eine protestantisch-katholische Tanznacht im nordirischen Derry. Es geht um die Suche nach Identität, um die Freiheit der Kunst in autoritären Regimen, um das Verhältnis von Musik, Religion und Politik, um den Umgang mit Rollenbildern und Klischees. Mit begleitenden Diskussionsveranstaltungen, Hintergrundartikeln und Konzerten bietet das Norient-Musikfilmfestival überraschende und tiefgründige Einblicke in globale Musikszenen. In diesem vierten Festivaljahr unter anderem in die Black Metal Szene Norwegens, die für Burkhalter und Spahr nach ihrer Definition von Weltmusik 2.0 auch in diese Kategorie gehört.

TEXT: SYLVIA SYSTERMANS

go! www.norient.com

Am Anfang siehst du ein paar Black-Metal-Fans, die ein bisschen diskutieren. Irgendwann merkst du, dass der eine, der gerade so freundlich in die Kamera blickt und eigentlich ganz sympathisch wirkt, einen anderen Musiker umgebracht hat und die Aufnahme im Gefängnis entsteht. Ein anderer ist wahrscheinlich ein Antisemit, aber man weiß es nicht genau. Das ist alles extrem verwirrend und manchmal denkt man, den Film kann man eigentlich nicht zeigen. Der geht an heikle Grenzen“, beschreibt Thomas Burkhalter, der Schweizer Festivalleiter, seine Eindrücke vom Musikfilm Until The Light Takes Us über die Black-Metal-Szene in Norwegen. In engem Kontakt mit den Protagonisten liefern die amerikanischen Regisseure Aaron Aites und Audrey Ewell komplexe Einblicke in eine Szene, die in den Neunzigerjahren mit Brandstiftungen, Gewalt und Morden in die Schlagzeilen geriet.

DR. THOMAS BURKHALTER 2010

Filmische Verarbeitung neuer Musikszenen

Until The Light Takes Us ist einer von acht Filmen, die beim vierten Norient-Musikfilmfestival in Bern zu sehen sind. Themenschwerpunkt des diesjährigen Festivals ist Religion. Wie in dem Film über Jeremy Cool Habash, einen jungen israelischen Rapper mit äthiopischen Wurzeln, der mit Charme und Humor für mehr Rechte der jüdisch-äthiopischen Gemeinschaft in Israel kämpft. Eine Gemeinschaft, die doppelt diskriminiert wird: „Als Juden in ihrem Heimatland und als Schwarzafrikaner in Israel“, erläutert Videokünstler und Radiomacher Michael Spahr. „Hier gerät jenseits des Palästinakonflikts eine völlige andere Geschichte über Israel in den Blickpunkt.“ Es sind diese überraschende Perspektive und die Nähe der Filmemacher zu den Musikern, die für den Musikethnologen und Journalisten Thomas Burkhalter und seinen Kollegen Michael Spahr bei ihrer Auswahl der Filme aus aller Welt entscheidend sind: „Es geht uns um die filmische Verarbeitung von neuen Musikszenen auf dieser Welt.“ Und um die Vermittlung von gut recherchiertem Hintergrundwissen über die gesellschaftlichen und politischen Kontexte, in denen die verschiedenen Musikszenen entstehen.
Logo Norient

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VON BLUEGRASS BIS TEX-MEX

Die Country & Western Friends Kötz 1982 e. V.

Americana an der bayerisch-schwäbischen Grenze

Alles begann vor dreißig Jahren. Peter Wroblewski suchte im südwestbayerischen Kötz per Anschlag am schwarzen Brett in verschiedenen Jugendkulturzentren Mitstreiter für ein kleines Country-Festival. Daraus entstand das Internationale Kötzer Country Music Festival, das in diesem Jahr zum 30. Mal stattfinden wird, und auch schnell der eingetragene Verein Country & Western Friends Kötz 1982 e. V. mit Peter Wroblewski als bis heute amtierendem ersten Vorsitzenden und mittlerweile über 150 Mitgliedern. Die sind nicht nur in Kötz und Umgebung zu Hause, sondern auch in Frankfurt am Main, Hannover, Hamburg und sogar in den USA.

TEXT: WOLFGANG KÖNIG

go! www.cwf-koetz.de

FRIEDRICH HOG UND PETER WROBLEWSKI ERHALTEN VOM PRÄSIDENTEN DER AUSTRIAN
COUNTRY MUSIC FEDERATION (ACMF), ROBERT STADLER, DEN INTERNATIONAL EXTRA AWARD
2009 VERLIEHEN * FOTO: CHRISTOPHER HOG

Die Begeisterung für Country & Western hat natürlich bei jedem anders angefangen. Für Friedrich Hog, den zweiten Vorsitzenden des Vereins, begann es Ende der Siebzigerjahre mit Radio Bayern 3. Dort präsentierte Thomas Gottschalk täglich von 20 bis 21 Uhr eine Popmusikshow. Wer am Samstagabend das Radio etwas früher anmachte, landete bei der Sendung Westernmelodie, moderiert vom niederländischen Sänger Ernst Gottfried Bielke alias Bruce Low („Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“). Der spielte Songs von Elvis Presley, Dolly Parton, Waylon Jennings oder Don Williams. Das gefiel Friedrich Hog viel besser, als die Musik, die Thomas Gottschalk spielte, denn es war handgemacht, zum Teil mit für popgewöhnte Ohren exotischen Instrumenten wie Mandoline oder Banjo, und oft auch mit interessanten Geschichten. Friedrich Hog begann, Bücher über Countrymusik sowie entsprechende Musikzeitschriften zu lesen; und als Student in Tübingen besuchte er sein erstes Bluegrasskonzert, das ihn endgültig zum Fan machte. Konzerte und andere Klubaktivitäten Neben dem alljährlichen Festival organisieren die Country & Western Friends im Schnitt etwa alle vier Wochen ein Konzert in Kötz oder der Umgebung; und an jedem dritten Samstag des Monats gibt es einen Klubabend, wo sich Mitglieder treffen, um die nächsten Projekte zu beraten oder auch einfach nur, um zusammen Musik hören. Die Definition von Country & Western wird großzügig ausgelegt. Gleichwohl hat der Verein nichts am Hut mit erzkonservativer Südstaaten- (sprich: Sklavenhalter-)Romantik, Nationalisten und Waffennarren oder den geistlosen, Tea Party-kompatiblen Anti-Obama-Pöbeleien eines Hank Williams jr. In Kötz fühlt man sich eher anderen Künstlern verbunden, wie Willie Nelson, Johnny Cash, Kris Kristofferson und nicht zuletzt dem bekennenden Sympathisanten der Kommunistischen Partei der USA, Woody Guthrie, der in letzten Jahr hundert geworden wäre. Aus diesem Anlass veranstalteten die Country & Western Friends im vergangenen Oktober im Pfleghofsaal von Langenau zu Ehren des legendären Liedermachers ein Konzert mit dem Singer/Songwriter Bucky Halker aus Chicago und dem Gitarristen Andy Dee, die kürzlich gemeinsam das Album The Ghost Of Woody Guthrie veröffentlichten.

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„Mei, es ist alles Schwingung“

Karl M. Riedel auf dem Kaltenberger Ritterturnier

Ein Philosoph unter den bayerischen Musikinstrumentenbauern

„Wenn wir unseren Grundton nicht spüren, bleiben wir in Disharmonie, und die ist Ursache für viele Krankheiten“, weiß Karl Riedel und streicht mit viel Gefühl über die vierundfünzig Seiten seines Klangbaums, die alle auf Cis gestimmt sind. „Cis ist wie ein Om, ein Heilton, der berührt“, sagt er. Der Klangbaum ist Riedels Weiterentwicklung des von Pythagoras vor über zweieinhalbtausend Jahren konstruierten Monochords. „So schwingt das Universum“, beschreibt er die Klangfülle seines neuen Lieblings. Neben diesem Zupfinstrument, das auch mit einem Bogen gestrichen werden kann, baut Karl Riedel Psalter, Gemshörner, Schalmeien, Dudelsäcke, Gamben, Trommeln, Klangliegen und manches andere mehr, besonders gern Drehleiern.

TEXT: KAY REINHARDT

KARL M. RIEDEL 2012 * FOTO: KAY REINHARDT

Das ist mein Instrument

„Irgendwann habe ich eine Drehleier gehört und sofort gewusst: Das ist mein Instrument“, erinnert sich der 65-Jährige, der 1984 – nach Schreiner- und Geigenbauerlehre – seine eigene Werkstatt eröffnet hat. Eines der ersten Instrumente, die dort vor knapp dreißig Jahren entstanden, war die Kopie einer Drehleier aus der Sammlung des Heimatmuseums Berchtesgaden. Sie ist sein Markenzeichen geworden und bis heute ein Verkaufsschlager. Mehrmals im Jahr bietet Riedel einen einwöchigen Baukurs an, in dem er jeweils einen Schüler bei der Fertigstellung dieser unverwüstlichen Geige mit Rad begleitet. „Die Drehleier fasziniert mich von der Philosophie her. Die Melodie löst sich im Bordun auf.
go! drehleierbau-riedel.de

Diskografie:
Volksballaden, mit den Liedertexten im Booklet
(Eigenverlag, 2007)
Klangbaum (Eigenverlag, keine Jahresangabe)

Man ist an Harmonie gebunden“, erklärt er seine Liebe zur Bordunmusik. Zwanzig Jahre lang gab Riedel Konzerte und spielte bei musik- und museumspädagogischen Aktionen. Als Abschluss dieser Auftrittszeit hat er 2007 die CD Volksballaden aufgenommen. Darauf erweist er sich als einfühlsamer Sänger und guter Instrumentalist. Die achtzehn Lieder und Tänze begleitet er als Solist mit verschiedenen Drehleiern, mit Dulcimer, Egerländer Bock und Streichpsalter aus seinem Instrumentenschatz.

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Update vom
09.02.2023
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