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HÜBSCH,
ABER NICHTSSAGEND
Von einer, die auszog,
polnische Folkmusik
zu präsentieren
VON
BARBARA STASIAK *
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Traditionelle polnische Musik ist langweilig!, Was hat das Land anderes zu
bieten als Chopin und Mazurka?, Regionale Musiktraditionen gibt es in Polen
nicht. Ich lebe in Deutschland und höre fast jeden Tag solche Meinungen. Und
wenn man mich vor einem Jahr nach polnischer Folkmusik gefragt hätte, hätte ich
ähnlich geantwortet. Bis heute wird das Bild von der traditionellen Musik in
Polen geprägt durch Vorzeigeensembles wie Mazowsze und Slask. Die bringen
stilisierte ländliche Bauernhochzeiten auf die Bühne, mit strenger Choreografie,
in kitschigen Kostümen: ein Überbleibsel kommunistischer Staatsideologie.
AUTOREN-INFO
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* Die junge polnische Kulturmanagerin Barbara
Stasiak kam im Herbst 2011 dank eines Stipendiums
der Robert-Bosch-Stiftung für ein Jahr
nach Deutschland und arbeitete im Organisationsteam
der Veranstaltungsreihe Klangkosmos
Weltmusik NRW.
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Doch innerhalb des letzten Jahres hat sich in meinem Kopf viel verändert. Ich
entdeckte, dass in Polen eine große Vielfalt von lokalen traditionellen und
kreolischen Musiken existiert. Und es gibt exzellente, gut ausgebildete
Musiker, die außerhalb Polens kaum wahrgenommen werden. Ich habe intensive
Arbeit und viel Energie darauf verwendet, zuverlässige Informationen über die
polnische Musikszene, über Folk, Welt- und Ethnomusik zu finden. Auf dieser
Grundlage initiierte und organisierte ich schließlich im September 2012 die
erste Deutschlandtournee des Ensemble Widymo, einer A-cappella-Frauenformation
aus dem Südosten Polens, die traditionelle polyphone Lieder aus dem San-Tal
singt.
Unsere Folk- und
Weltmusikszene ist
reichhaltig und viel-
fältig, aber die Prä-
sentation ist bekla-
genswert schlecht.
Und das im Zeitalter
der Globalisierung!
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Mein Einstieg in die Weltmusik begann mit einem Kulturschock: Ich erlebte ihn
beim Besuch der Weltmusikmesse WOMEX in Kopenhagen. Fünf Tage lang kam ich dort
in Kontakt mit verschiedensten Kulturen und Sprachen der Welt. Ich lernte
interessante Menschen, auch aus Polen, kennen. Ein Musikjournalist aus meiner
Heimat erzählte mir damals: Es gibt kein Ensemble in Polen, das wirklich
interessante regionale Folkmusik spielt. Manche Bands beschäftigen sich mit
Gypsymusik oder Klezmer; andere arrangieren unsere nationalen polnischen
Rhythmen wie Mazurka und Oberek. Aber kaum jemand sucht die Klänge der eigenen
Region. Hinzu kommt, dass die Ensembles meist kein professionelles Management
haben. Wer in Polen Erfolg haben will, muss alles über Warschau organisieren. In
dieser Beziehung herrscht in unserem Land noch so etwas wie Kommunismus. Und es
wird viele Jahre dauern, bis sich das so ändert. Mit dieser wenig
hoffnungsvollen Aussicht kehrte ich von meiner ersten WOMEX heim.
... mehr im Heft
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TIMOTHY J. COOLEY
Making Musik in the Polish Tatras
Tourists, Ethnographers, and Mountain Musicians
Bloomington, IN : Indiana Univ. Pr., 2005. - XVII
293 S. : mit Abb. u. Notenbeisp. + CD
ISBN 0-253-34489-1
Polnische Musik? Die Leerstelle dürfte bei Nennung von Namen wie Muddy Waters
oder dem der Rolling Stones einem Fragezeichen weichen. Denn weder der Bluesmann
aus Chicago noch seine britischen Schüler wären ohne polnische Emigranten zu
Ehren gekommen. Das Nachkriegschicago war das Mekka polnischer Emigranten, nur
hier konnte jene Spielart des Blues entstehen, die den Stones als Sprungbrett
diente und die auf der strukturellen Ähnlichkeit zwischen afrikanischer,
arabischer, hebräisch-jüdischer und swlawischer Musik basiert. Im Haus der
Gebrüder Czyz kam alles zusammen, Klezmer, Jazz und Blues, und als sich die
polnischen Emigranten in Chess umbenannten und ein Schallplattenlabel gründeten,
hatten sie den Grundstein für den Chicago-Blues gelegt, der als erstes
musikalisches Nachkriegsidiom rund um die Welt ging. Ein Zufall, dass der
amerikanische Bluesforscher Jeff Titon einer der theoretischen Gewährsmänner von
Timothy J. Cooley ist, dem wir diese ethnomusikalische Untersuchung über die
archaisch anmutende Musik und Kultur der Goralen (Bergmenschen) in der Hohen
Tatra zu verdanken haben? Sein Bericht liest sich wie eine jener legendären
Feldforschungsberichte, in denen einst die Kultur der Afroamerikaner im
Mississippi-Delta dargestellt wurde. Nur diesmal gehts in die Hohe Tatra, und
der Ich-Erzähler erfährt, dass die Zeit bei den Goralen nicht stehen geblieben
ist. Ethnologen, Touristen und die Finanzpakete der Verwandten aus Chicago haben
die Tradition einem Transformationsprozess unterzogen. Indigene Musik hat, wie
die beigefügte CD belegt, den Anschluss an Techno und Reggae gefunden, selbst im
hintersten Winkel Polens erklingt Musik, wie sie heute in Chicago und sonst wo
zu hören ist. Geht so die Saat auf, die einst von polnischen Auswanderern in
Chicago gesät wurde?
Harald Justin
Bezug: www.iupress.indiana.edu
Bezug: www.amazon.co.uk
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FOLKER auf Papier
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