In Polen gibt es heute keine Folkklubs mehr. In den Achtzigerjahren begannen bekannte Folkbands wie Kwartet Jorgi oder Open Folk ihre Karriere noch im legendären Countrymusikklub Piknik Country in Mragowo (Sensburg) in Masuren, damals geleitet vom Liedermacher und Sänger Tomasz Szwed. Auch in den Studentenklubs der Universitätsstädte gab es bis Mitte der Neunzigerjahre so etwas wie eine Folkszene. Das ist längst vorbei. Nur sehr wenige Venues haben sich auf die Veranstaltungen von Folkmusik spezialisiert, etwa das Chatka Zaka in Lublin. In Warschau kann man in der Kneipe Gniazdo Piratów vor allem Shanties hören. Auch das Ethnographische Museum in der Hauptstadt veranstaltet hin und wieder interessante Konzerte mit Folk und Weltmusik. Umso größer ist die Zahl der Festivals, die sich dieser Art von Musik widmen. Es ist unmöglich, alle aufzuzählen, die über das Jahr verteilt in großen und kleinen Städten in ganz Polen stattfinden. Die meisten dieser Festivals mischen in ihrem Programm Folk und Weltmusik mit anderen Stilen. TEXT: WOJCIECH OSSOWSKI* Das größte Festival dieser Art ist Przystanek Woodstock (Haltestelle Woodstock) in Kostrzyn an der Oder (Küstrin), das in diesem Jahr vom polnischen und deutschen Staatspräsidenten gemeinsam eröffnet wurde. Über siebenhunderttausend Zuschauer strömen Jahr für Jahr zu dieser dreitägigen Mammut-Veranstaltung. Auf der Hauptbühne treten Weltstars der Rockmusik auf. Es gibt aber auch eine Folkbühne. Der populäre TV-Journalist Jerzy Owsiak war Mitte der Neunzigerjahre der Initiator des Festivals, das den thematischen Schwerpunkt zunächst auf Punk und ähnliche Musikrichtungen setzte. Przystanek Woodstock ist nicht nur ein fantastisches Ereignis, sondern zugleich auch eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Das Festival sammelt Spenden für Kinderkrankenhäuser und wird von der Stiftung Wielka Orkiestra Swiatecznej Pomocy (Großes Weihnachtshilfsorchester) organisiert.
Eine sehr interessante Veranstaltung ist das einwöchige Brave Festival in Wroclaw (Breslau). Es wird vom Theater Piesn Kozla organisiert, das sich traditionellen Kulturen verschrieben hat. Die Festivalmacher legen für jedes Jahr einen anderen thematischen Schwerpunkt fest. So gehen sie beispielsweise in die Sahara, um Menschen ausfindig zu machen, die traditionelle und rituelle Lieder singen, und laden sie mit Unterstützung der Weltmusikmesse WOMEX ein. Man kann dann zum Beispiel Künstler aus Afrika erleben, die noch nie auf einer Bühne standen – ein faszinierendes Erlebnis. Das Brave Festival wird vor allem für Menschen organisiert, die ihre Heimat verlassen mussten und im europäischen Exil leben. Anfangs gab es viel Streit und erbitterte Diskussionen um dieses Konzept. Heute gilt das Festival als eines der interessantesten seiner Art in ganz Europa. ... mehr im Heft |
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