Rezensionen DEUTSCHLAND
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ANNAMATEUR & AUSSENSAITER
Screamshots
(Roof Music RD 21233488/Edel, www.annamateur.de
)
16 Tracks, 52:00, mit Infos
Steh grade! Sitz still! Fass nichts an! Halt dich ran! Sei leise! Keine Fehler
und beeil dich! ... Schade! Sehr, sehr schade! Zeilen aus dem Lied Rihctig
(sic!) über die Methoden, Kindern das Rückgrat zu verbiegen, wenn nicht gar zu
brechen. Die Dresdnerin Anna Maria Scholz alias Annamateur singt mit
wandlungsfähiger Ausdruckskraft über Verletzte, Deformierte, Vergessene und
Übriggebliebene. Es ist gut, dass es doch immer wieder Texter gibt, die über den
eigenen Tellerrand hinauszublicken willens und in der Lage sind. Annamateur
schreibt die meisten ihrer Texte selbst. Da geht es um die seelenkranke Frau
Müller (Gefühlsfrei), um die verrückte Idee, sich selbst nachzustellen
(Stalker) oder um aufdringliche Liebhaber (Herbstlaubbeschreibung).
Annamateurs formidable Mitkomponisten und -musikanten Stephan Braun, Christoph
Schenker und Samuel Halscheidt knüpfen allein mit Cello und Gitarre einen dicht
gewebten Teppich, auf dem sich die schrill-virtuose Sängerin mit
traumwandlerischer Sicherheit zwischen hart und zart bewegen kann. Einige
meisterhaft gespielte Instrumentalstücke Chick Coreas und Ennio Morricones
runden dieses außergewöhnliche Werk auf imposante Weise ab.
Kai Engelke
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DAS BLAUE EINHORN
Ankunft im Paradies – Spiel und Gesang mit Hoffnung
(Unicornio Records UR 34051, www.unicornio.de
)
Do-CD, 23 Tracks, 86:27, mit dt., franz., griech., hebr., türk., span. und engl. Texten und Infos
Ankunft im Paradies ist nach den Vorläufern Verkauf dein Pferd und
Übersetzen der dritte und letzte Teil einer ungewöhnlich ambitionierten
und aufwändig gestalteten Trilogie. Die live in Berlin, Bautzen und Harrislee
eingespielten Aufnahmen handeln durchgängig von der ewigen Sehnsucht nach dem
Paradies. Bandleader Paul Hoorn (Gesang, Akkordeon, Trompete) zeichnet für die
Gesamtkonzeption verantwortlich, er stellte die Lieder aus aller Welt für das
vorliegende Album zusammen und gestaltete darüber hinaus auf künstlerisch
anspruchsvolle Weise auch Booklet und Cover. Unter den Komponisten und
Textdichtern finden sich so klangvolle Namen wie Bert Brecht, Kurt Weill, Rio
Reiser, Kurt Tucholsky, Hanns Eisler, Mikis Theodorakis, Yunus Emre, Victor
Jara, Tom Waits und sogar Seal. Alle Lieder werden in ihrer Ursprungssprache
gesungen und meisterhaft musikalisch begleitet. Neben Paul Hoorn musizieren
Florian Mayer (Violine, Gesang, Kontrabass), Andreas Zöllner (Gitarre, Bouzouki,
Gesang, Kontrabass) und Dietrich Zöllner (Kontrabass, Gesang, Bauchgeige). Ein
Album voller Atmosphäre, Emotionen und Glaubwürdigkeit.
Kai Engelke
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DIVERSE
Heute hier, morgen dort – Salut an Hannes Wader
(Mercury Records 06025 2799601/Universal, www.hanneswader.com
)
Promo-CD, 14 Tracks, 53:24
Wenn einer seit Jahrzehnten wie kaum ein zweiter das Bild der Liedermacherzunft
prägt und bereichert, sich auf diese Weise als ein vertrauter Begleiter der
gesamten Liederszene erweist und noch dazu in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag
feierte – dann ist das wahrlich eine Hommage wert. Heute hier, morgen dort
ist nun aber keineswegs eine dieser üblichen Schulterklopfaktionen der betagten
Sangeskumpane und Weggefährten aus alten Zeiten – im Gegenteil, hier
meldet sich eine neue, junge Liedermachergeneration mit eigenen Interpretationen
von Wader-Liedern zu Wort und verstärkt, indem sie musikalisch nicht zurück,
sondern nach vorn blickt, die Ehrenbezeugung ganz gewaltig. Zwar kleben einige
Interpreten – Max Prosa, Dota Kehr und Anna Depenbusch – allzu dicht
am Original, doch eignen andere sich Waders Lieder wirklich an, geben ihnen
damit ein neues Gesicht, eine erweiterte Bedeutung. Johannes Strates Unterwegs
nach Süden ist ein wirklich neuer Song, ebenso Pohlmanns Charley. Apfel S.
sezieren geradezu Waders Kokain, Du träumst von alten Zeiten von Bierbeben
klingt nach Neuer Deutscher Welle, und punkig-erfrischend kommt Slimes Heute
hier, morgen dort daher. Kann er sich freuen, der alte Barde.
Kai Engelke
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DIVERSE
Stimmen Bayerns – Der Rausch
(Trikont US-0436/Indigo, www.trikont.de
)
27 Tracks, 76:31, mit ausführlichen dt. Infos
Eine unterhaltsame Zusammenstellung zu einem typisch bayerischen, gleichzeitig
aber auch äußerst universellen internationalen Thema. Wenn auch kein Vergleich
zu den beiden Veröffentlichungen, mit denen die Münchner
Themensampler-Weltmeister von Trikont vergangenes Jahr ihre neue Reihe
Stimmen Bayerns starteten – dafür reizt Der Rausch gegenüber dem
Tod und der Liebe insgesamt doch wohl zu sehr zur schenkelklopfenden
Schlucki-Folklore. Diesem Reiz sind offenbar auch Eva Mair-Holmes, Achim
Bergmann und Andreas Koll beim Zusammenstellen der dritten
Stimmen-Folge in gewissem Maße erlegen, wenn auch dankenswerterweise nicht bis zum
Exzess, den Exzessen – oder wagt tatsächlich kaum einer den
unbestechlichen, wenigstens besinnlichen, wenn nicht gar strengen Blick aufs
Thema, also seine leidigen Aspekte? Seis drum: Ein Füllhorn voll Texten und
Liedern zum Suff mit einem gelegentlichen Schuss Weißes Pulver aus Kiukiang
(Isar 12) von Thomas Wolfe (Jürgen Tonkel) bis Hans Söllner, Karl Valentin bis
LaBrassBanda. Meist schmunzelnd, oft kichernd, fast ausschließlich mild bis zu
Amnesie und Amnestie. Das verschenkt einen Großteil des Themas – und ist
am Ende sogar ein bisserl langweilig
Christian Beck
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G.RAG Y LOS HERMANOS PATCHEKOS
Pain Perdu
(Gutfeeling Records GF035/Broken Silence, www.myspace.com/senorgrag
)
Promo-CD, 10 Tracks, 38:15
Ziemlich komplex und subtil, aber auch verkopft sind G.Rag y los Hermanos
Patchekos in gewisser Weise – wie man schön der verwegenen Mehrdeutigkeit
ihres Labelnamens entnehmen kann: Gutfeeling – das ist,
internationalistisch denglisch gesehen, mindestens Bauch- und Wohlgefühl. Mit
offenbar ordentlichen Mengen von beidem schrammeln die Münchner entspannt und
ohne viel Bierernst auf Weltniveau die unterschiedlichsten Musikwelten zusammen
– mindestens von der oberbayerischen Dorfmusik bis zum Beat der Sechziger
und dem Indiefolk und -rock der Achtziger und zurück. Da gibt es Humpa-Lieder im
Alt.-Country-Gewand, virtuose Bläsersätze aller Art, Pop-Zitate mancher Couleur.
Dazu vor allem mit Steel Pans ein Schuss Karibik, etlicher Jazz und Gypsy Swing
und in einigen Stücken sogar recht präzise das Modell aus dem Musikschaffen
hierzulande, das ein Herr Großschriftsteller und seine Band zur Serienreife
geführt haben – und zwar, wenn es nun auch bei anderen Kapellen angekommen
ist, offenbar auf Dauer: der Element-of-Crime-Song. Das alles passt zusammen wie
füreinander gemacht, nichts steht quer, und das Tüpfelchen auf dem i ist ein
Klang wie von der ersten Übungskellerkassette – perfekt!
Christian Beck
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MICHAEL HANSONIS
Shark Week
(Meyer Records no 183/Rough Trade, www.michaelhansonis.com)
13 Tracks, 44:22 mit engl. Texten und Infos
Der Singer/Songwriter Michael Hansonis präsentiert sich auf Shark Week,
das es auch als Vinyl-Platte gibt, ohne Schlagzeug, nur mit seiner
Akustikgitarre. Auch das Digipack ist inhaltlich zurückhaltend und in
Schwarzweiß gestaltet. Gemischt wurde die gelungene Produktion von keinem
Geringeren als Stockfisch-Tonmeister und -Inhaber Günter Pauler im Labelstudio
in Northeim. Damit ist für ausgezeichnete klangliche Qualität gesorgt.
Ausgeglichen und gekonnt spielt Hansonis überwiegend eigene Folk-, Blues- und
Country-Songs, dazu den Klassiker River Of No Return und Johnny Cashs Home Of
The Blues. Der Kölner hat gute Geschichten zu erzählen und überzeugt mit seiner
warmen, melancholischen Stimme. Bei Titeln wie Me And The Idiots, oder
Discontent überrascht er mit einer Prise Ironie. Gesanglich unterstützt wird
Hansonis bei zwei Stücken von Laura Hajjaj. Die elektrischen Instrumente der
Begleitmusiker Friso Lücht, Keyboards und Grand Piano, und Markus Wienstroer,
Gitarre, fördern die durch Sanftheit geprägte Gesamtstimmung dieser akustischen
Produktion zwar nur bedingt, doch bleibt beim Hörer insgesamt viel haften. Die
nur 44 Minuten lange Scheibe macht Lust auf mehr.
Annie Sziegoleit
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FELICITAS NIEGISCH ENSEMBLE
Friling
(Waterpipe Records 907 434, www.felicitas-niegisch.de
)
10 Tracks, 32:29
Wer seine Hörgewohnheiten bei Klezmer oder jiddischem Liedgut auf impulsiven
Gesang, juchzende Geigen und schluchzende Klarinetten eingepegelt hat, muß hier
umdenken: Felicitas Niegischs akkurate, aber nie leidenschaftslose Intonation,
Hanno Botschs akademisches Klavier- und Geigenspiel und Andreas Buchholz sehr
zurückgenommen gezupfter und gestrichener Bass verleihen den zehn Stücken
durchweg den Charakter eines Liederabends mit Werken von Schubert, Schumann oder
Mahler. Das muß man natürlich mögen. Ich schätze Friling aber gerade
deswegen: Weil sie meine Erwartungshaltung in Bezug auf liebgewonnene
Interpretationen jiddischen Liedguts konsequent ignoriert und meinen
Hörgewohnheiten, die hierzulande durch so wundervolle Künstler wie Peter
Rohland, Hein & Oss Kröher, Manfred Lemm, Espe oder Zupfgeigenhansel geprägt
wurden, partout nicht nachkommen will. Für mich repräsentiert die Musik des
Felicitas Niegisch Ensembles in Vollendung jene Wegekreuzung, an der sich Volks-
und Kunstlied begegnen und gegenseitig inspirieren. Und danach dürfte der
Horizont sowohl der U- wie auch der E-Musikliebhaber wieder ein Stückchen weiter
geworden sein
Walter Bast
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OLAF SICKMANN
Original Tin Whistle Session Tunes
(Timezone TZ796, www.timezone-records.com
)
20 Tracks, 28:03, mit dt. Infos und pdf-Datei mit Noten
Der Niedersachse liebt es, Solo-Alben aufzunehmen, auf denen er Tin Whistle
spielt und sich dabei selbst auf der Gitarre begleitet – Overdub machts
möglich. Nennt Olaf Sickmann sein neues Album Original Tin Whistle Session Tunes,
so bedeutet das nicht, dass er die Melodien in Irland oder sonstwo auf
Sessions aufgesammelt hat. Vielmehr hat er sie alle selbst komponiert: fünf
Jigs, acht Reels, drei Hornpipes, zwei Polkas, einen March und einen Waltz.
Diese trägt er alle als einzelne Tunes vor – vielleicht damit andere
Whistlespieler sie mit einfacher Wiederholung immer wieder hören können, bis sie
sie auswendig können? Wer, wenn auch für Sessionmusiker untypisch, lieber nach
Noten lernt, findet diese in einer pdf-Datei ebenfalls auf der CD. Ob die hier
versammelten Tunes wirklich originale Session- oder nur originale
Sickmann-Tunes sind, tut nichts zur Sache – sie hören sich allesamt
wirklich gut an, so dass schon das bloße Zuhören ein Genuss ist! Wie leicht sie
sich spielen lassen, hat der Rezensent noch nicht ausprobiert, wird es aber noch
tun. Jedenfalls könnten sie nach und nach in die bestehenden Irish-Trad-Sessions
einfließen und sie bereichern. Zu wünschen wäre es ihnen.
Michael A. Schmiedel
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YUKAZU
Cest Plus Fort Que Toi
(Kitchen Records KI-0202/Pool Music & Media, www.yukazu.de
)
11 Tracks, 49:56, mit franz. Texten
Traurig und traurig gesellt sich gern, so könnte Yukazus Credo lauten. Weit über
ihre eigenen nationalen Grenzen hinaus mobilisieren die drei Berliner die
latente Grundschwere im französischen Chanson wie auch im traditionellen Liedgut
des Balkans und etablieren auf ihrem Debütalbum über diese weite topographische
Achse eine erstaunlich homogene Wahlverwandtschaft zwischen Süd und Ost. Um die
Verfremdung des stilistischen Materials zu minimieren, wählt die Band ein
vielfältig funktionierendes Grundgerüst aus Akkordeon, Klarinette und Gitarre,
Instrumente die im Klezmer ebenso zuhause sind wie in südfranzösischen
Hinterhöfen. Von hier aus bewegt man sich vorsichtig aber mit einem untrüglichen
Gespür für musikalische Dramaturgie an die variablen Grenzen der bunten
Einflüsse. Schwerem Ost-Kitsch mit melancholisch-süßlichen Melodien stehen
leichtfüßige Gitarrenpickings gegenüber, zu denen man fast Sirtaki tanzen möchte
und unter dem französischen Harmoniegesang liegt plötzlich eine orientalisch
gefärbte Synthie-Trompete mit dumpfer Off-Beat-Begleitung. Mal ganz bohemien,
mal raubeinig, immer konsequent querbeet und zu guter Letzt doch stimmig –
Yukazu sind eine Entdeckung.
Judith Wiemers
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FOLKER auf Papier
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