HEIMSPIEL
Es ist mal wieder alles ein wenig improvisiert, eröffnet Bernd Belschner, Leiter des Vereins Tollhaus e. V., das Interview und spielt dabei auf das verfrühte Eintreffen von Amadou & Mariam und ihrer Band an, die an diesem Abend im Rahmen des alljährlich stattfindenden Sommerfestivals Zeltival auftreten sollen. Ganz unbewusst hat er damit die Stimmung dieses künstlerischen Schmelztiegels namens Tollhaus charakterisiert: Es geht drunter und drüber. Es herrscht ein buntes Gewirr von Künstlern und Mitarbeitern, die allesamt ein klares Ziel verfolgen, nämlich ein qualitativ hochwertiges Programm darzubieten und es in intensiver Atmosphäre mit dem Publikum zu teilen. Dafür steht das Karlsruher Tollhaus, das in diesem Jahr auf eine dreißigjährige Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. TEXT: KRISTINA NEUMANN
Die Gründung eines Folkclubs 1978 brachte zunächst alles ins Rollen. Stand zu Beginn eindeutig das Genre Folk im Vordergrund, so wollten die Mitglieder bald auch Musik auf die Bühne bringen, die über Folkmusik weit hinausging. Der Wunsch nach Namens- und Richtungsänderung wurde immer größer und im Oktober 1982 wurde der Folkclub aufgelöst und ein offenes Kulturzentrum mit dem Namen Tollhaus ins Leben gerufen, der die Verrücktheit der Kunst und den Wunsch nach einem festen Standort widerspiegelt. Weit überwiegend präsentiert es Musik – und zu einem kleineren Teil auch immer wieder Kabarett und Lesungen -, dabei nehmen Folk und Weltmusik den größten Raum ein. Schlachthof wird zur KunststätteWir sind heute aus der Region als Kulturträger gar nicht mehr wegzudenken, sagt Bernd Belschner nicht ganz ohne Stolz, denn nicht immer genoss das Tollhaus die Anerkennung, die ihm zusteht. Kurz nach der Gründung waren die Betreiber darauf angewiesen, ihr Programm in verschiedenen Räumlichkeiten in Karlsruhe und der näheren Umgebung anzubieten, denn dass die freie Kulturszene einen festen Standort in der Stadt benötigte, leuchtete der Stadtverwaltung und dem Kulturamt zunächst nicht ein. ... mehr im Heft
Die gut achtzigtausend Einwohner zählende Stadt Minden an der Grenze von Weserbergland und Norddeutscher Tiefebene ist nicht unbedingt als musikalisches Zentrum berühmt. Freunde nordeuropäischer Klänge aber werden hier immer wieder fündig, denn Minden beherbergt die nach der Flensburger Folk Baltica wichtigste deutsche Veranstaltung für skandinavische Musik, die Nordische Reihe. TEXT: WOLFGANG KÖNIG
Wie so oft, ging die Initiative von einer Einzelperson aus. Susanne Ebert arbeitet seit dreizehn Jahren für das Kulturzentrum BÜZ in Minden. Das hat sein Domizil in der aus dem dreizehnten Jahrhundert stammenden ehemaligen Johanniskirche und bietet neben Kino, Ausstellungen und Poetry Slam vor allem zwei überregional bekannte Veranstaltungen an: seit fünfzehn Jahren das Kabarett Festival im BÜZ und 2012 zum siebten Mal die Nordische Reihe.
Die geht zurück auf Susanne Ebert, deren Lebenspartner, ein beinharter Folkfan, sie erst mit schottisch-irischer Musik und dann mit der Folktradition Skandinaviens bekannt machte. An letzterer fand sie besonderen Gefallen, und so entstand die Idee, diese Klänge live nach Minden zu holen. Konzerte von Oktober bis AprilBisher wurde in der Nordischen Reihe vor allem Musik aus Dänemark und Schweden präsentiert, aber auch Gruppen aus Finnland und Norwegen sind immer wieder dabei. Island und die Färöer waren noch nicht in Minden vertreten, aber Susanne Ebert arbeitet daran. Das Festival konzentriert sich nicht auf einige Tage, sondern zieht sich mit ein bis drei Konzerten pro Monat von Oktober bis April, denn erfahrungsgemäß nimmt das Publikum die Kirche als Veranstaltungsort in den Sommermonaten weniger gut an als in den kühleren Jahreszeiten. ... mehr im Heft
Ankomme Freitag, den 13., sang Reinhard Mey 1969. Wegen dieses Titels war er Wunschkandidat für den Auftakt der Reihe Theaterkahn im Liederwahn in Dresden am 1. September 2002 – einem Freitag! Mey konnte nicht. Stattdessen sorgten Barbara Thalheim & Jean Pacalet sowie Ballhaus Nuevo für eine rauschende Eröffnung – wenige Wochen nach dem Jahrhunderthochwasser, das auch in Dresden Katastrophenalarm ausgelöst und bis zur letzten Minute für sorgenvolle Mienen der Veranstalter gesorgt hatte. Denn das Theaterschiff liegt mitten in der Altstadt von Dresden zwischen Semperoper und Frauenkirche in der Elbe vor Anker. In diesem September begeht man nun mit der 41. Ausgabe das zehnjährige Jubiläum eines einzigartigen Liedermacherprogramms. TEXT: MICHAEL KLEFF
Peter Eichler, Musikredakteur bei MDR Figaro und Juror der Liederbestenliste, hatte die Idee für eine regelmäßige Veranstaltung mit deutschsprachigen Namen sind wichtigDer Auftakt vor zehn Jahren war schön, aber chaotisch, erinnert sich Peter Eichler. Bei einer Bühnenfläche von knapp fünfundzwanzig Quadratmetern herrschte beim Auftritt von Barbara Thalheim und Ballhaus Nuevo eine hohe Künstler-/Instrumentendichte. Daraus wurde gleich die Konsequenz gezogen: Man verpflichtet in der Regel neben einer Band nur noch einen Solisten oder ein Duo. Rund achtzig Interpreten sind bislang beim Theaterkahn im Liederwahn aufgetreten. ... mehr im Heft
Nicht in der Wiener Hofburg wird der österreichische Staatsschatz aufbewahrt. Denn was sind Gold und Geschmeide gegenüber der Macht der Musik? Und wo wird das Wissen über zeitgenössische österreichische Musik besser verwaltet als beim Mica? Welche Größe sich hinter dem Zentrum verbirgt, zeigt ein Besuch bei dieser Institution, die im Wiener Stadtteil Spittelberg zu finden ist. TEXT: HARALD JUSTIN
Jahrelang war er mit seinen roten Pumucklhaaren eine Ausnahmeerscheinung und bei Konzerten leicht zu finden. Seit ein, zwei Jahren haben die Haare von Helge Hinteregger wieder ihre normale Farbe, aber eines hat sich nicht verändert: Er ist immer noch in den Clubs anzutreffen. Manchmal höre ich an einem Abend drei Konzerte. Das fordert Planung, macht viel Spaß. Und gehört zu meinem Beruf. Schließlich ist er Fachreferent für Jazz, Improvisation und Weltmusik beim Mica, dem Music Information Center Austria. Qualifiziert für diesen Job hat er sich unter anderem, weil er jahrelang als Akkordeonist und Saxofonist professionell Musik gemacht hat. Heutzutage tritt er mit seinem Projekt Flugfeld auf, bei dem er mit Martin Zrost und Paul Skrepek und einem eigens entwickelten Kehlkopfmikrofon als Kehlkopfakrobat das Feld der musikalischen Avantgarde absteckt. Kritiker sprechen von Weltsensation und schreiben: Live eine Performance, deren schamanenhafte Ekstase momentweise an die Anfänge alles Stimmlich-Rituellen denken lässt. Mit anderen Worten: Niemand dürfte die aktuelle Musikszene Wiens besser kennen als Helge Hinteregger. Er kennt sie aus jahrzehntelanger Erfahrung und perspektivenreich als Musiker, Konzertbesucher und Organisator. Diese Kennerschaft macht ihn zu einer geachteten Persönlichkeit. Es findet sich niemand, der schlecht über ihn redet – eine Seltenheit in Wien. Genau der richtige Mann für das Mica. ... mehr im Heft |
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