FOLKER – Rezensionen

Rezensionen EUROPA


ANGELIKA BLUM
„Na’ Servus“ – Legendäre Kabarettklassiker aus Wien

(Merkton 08258/go! www.merkton.de )
14 Tracks, 52:51

Wie lassen sich Kabarettschmankerl aus einer vergangenen Epoche, die längst keinen Gegenwartsbezug mehr haben, so singen, dass sie vollends antiquiert klingen? Angelika Blum probiert es aus, an Titeln von Friedrich Hollaender bis Georg Kreisler – und ihr gelingt’s. Mit genretypischer Pianobegleitung gibt die ansonsten unter anderem auf Kreuzfahrtschiffen singende Wienerin dank ihrer klassischen Gesangsausbildung den Liedern den Gnadenschuss: Frei von allem Wiener Schmäh, dafür mit glasklarem, an Operetten und Musicals geschultem, leicht kreischendem Kommandoton, treibt sie den sowieso nicht mehr sonderlich vergnüglichen Liedern aus Großvaters Witzrepertoire den letzten Rest von Volksnähe und Charme aus. So kann man eben gerade keine „Tauben vergiften“ im Park (Songtitel), sondern gibt ihnen noch Futter. Wo bleiben die Vergnügungsdampfer eigentlich, wenn man sie braucht?

Harald Justin

 

ANGELIKA BLUM – „Na’ Servus“


DANJAL
The Bubble

(Peregrina Music PM50642/In-akustik, go! www.danjal.net )
10 Tracks, 37:58, mit Texten

Auf den Färöerinseln scheinen nur Musiker zu leben. Anders ist nicht zu erklären, dass 50.000 Einwohner Perlen um Perlen wie Yggdrasil, Teitur oder Danjal hervorbringen. Letztere sind ein Projekt um Mastermind Danjal a Neystabo. Auch die nordische Note ist in ihrer Musik unverkennbar, Hauptmerkmal von Danjal aber ist der osteuropäische Einschlag, der geschickt mit Tango- und Klezmerelementen verbunden wird. Das Ergebnis ist eine Mixtur, die zwar melancholisch stimmt, aber trotzdem die Beine zum Tanzen zwingt. Passenderweise war Danjal deshalb auch bereits Vorgruppe von La Brass Banda. Die Stimme des Namensgebers Danjal klingt wie aus einem alten Röhrenradio und sorgt für ein altmodisches Ambiente. Die eigenwillige Mischung kommt an, davon zeugen erste Chartplatzierungen in Dänemark. Man kann sich The Bubble zum Beispiel gut als Bühnenmusik für ein alternatives Theater oder Kleinkunstbühnen vorstellen, aber auch auf traditionellen Folkfesten oder Independent-Rock-Festivals. Und definitiv in den eigenen Filmen in den Köpfen der Hörer.

Chris Elstrodt

 

DANJAL – The Bubble


DIVERSE
The Rough Guide To Fado

(Rough Guides RGNET1260/World Music Network/Harmonia Mundi, go! www.worldmusic.net )
Do-CD, 20 Tracks, 98:38, mit Infos

Der Fado, der portugiesische Blues, scheint in der restlichen Welt vor allem als Sampler vermarktet zu werden. Wo vergleichbare Zusammenstellungen gern verschweigen, dass auch Männer den Fado singen, macht auf The Rough Guide To Fado Duarte den Auftakt – und beeindruckt mit seinem hellen Tenor. Neun der sechzehn Stücke werden denn auch von Männern gesungen. Sie kontrastieren schön mit Mariza, Ana Moura oder Joana Amendoeira, den weiblichen Stars der Szene. Wo aus Kosten- und Lizenzgründen oft zu obskuren Archivaufnahmen und zweitklassigen Interpreten gegriffen wird, präsentiert der Rough Guide aktuelles Material. Das Zuckerchen liegt, wie bei allen Neuerscheinungen der Reihe, in Form einer Bonus-CD bei. Hier ist es Murmúrios, Cristina Brancos 1998 erschienenes erstes Studioalbum. Die Fadista zelebriert darin den Fado in einer reinen Form, unterstützt von den portugiesischen Saitengroßmeistern Custódio Castelo an der portugiesischen Gitarre und Jorge Fernando. Einziger Schwachpunkt des Doppelalbums: Die Infos zu den Interpreten sind ein wenig gar zu knapp, und die Anmerkungen zur Musik beschränken sich auf die Erwähnung der Alben, auf welchen die Stücke herausgebracht wurden.

Martin Steiner

 

DIVERSE – The Rough Guide To Fado


DIVERSE
Voices In Scotland – Folktales, Music & Ballads

(Brechin All Records CDBAR014, go! www.brechin-all-records.com )
Do-CD, 11 Tracks, 143:57, mit engl. Infos

Folkmärchen zu musikalischer Begleitung erzählen – funktioniert das? Hier versuchen es neun Erzählerinnen und Erzähler aus Schottland – mit Erfolg. Ihre Geschichten sind nicht auf ihren Wohnsitz beschränkt, denn die Wurzeln liegen in ihren Herkunftsländern wie Irland, Kenia, Japan oder bei den Indianern Kanadas. Das sorgt für stimmliche, stilistische und thematische Vielfalt. Auch die 16 Musiker sind Meister ihres Fachs – Namen wie Mary Macmaster, Mairi Campbell, Eddie McGuire oder Sandy Wright bürgen für Qualität. Die Musik soll die jeweiligen Geschichten begleiten und untermalen. Das geschieht in den meisten Fällen sehr passend und evokativ. Melodiebögen werden möglichst vermieden, wenn gesprochen wird. Das Laustärkeverhältnis zwischen Musik und Sprache ist ebenfalls angemessen. Nur kann es manchmal passieren, dass die Wahl schwerfällt: Konzentriere ich mich auf die Musik, verliere ich den Faden der Geschichte. Das ist aber womöglich auch eine Frage der persönlichen Tagesform. Voices In Scotland ist ein ungewöhnliches Projekt, das auf jeden Fall Aufmerksamkeit verdient.

Mike Kamp

 

DIVERSE – Voices In Scotland


DOWNTOWN RAMBLERS
On The Other Side Of The City

(DTR Music Production, go! www.downtownramblers.com )
11 Tracks, 36:05

Bei sechs Stücken seines zweiten Albums hat sich das junge preisgekrönte Bluegrassquintett aus Göteborg Fiddleverstärkung geholt. Nicht, dass das erforderlich gewesen wäre, aber irgendwie gehört das Instrument zu dieser Musik. Besonders, wenn es von Größen wie Brittany Haas und Tim O’Brien gespielt wird, bereichert es den Klang sehr. Wenn man bei den Downtown Ramblers überhaupt von schwedischen Einflüssen sprechen kann, dann bei dem Hauch von Melancholie, der in fast allen Songs zu spüren ist. Zu verdanken ist er besonders der ungekünstelten, berührenden Stimme Emelie Junstens und dem Backgroundgesang, aber auch den Instrumenten, etwa in „Take Your Eyes Away From Me“, wo das zurückhaltend eingesetzte Streichquartett die getragene Stimmung noch verstärkt. Die meisten Songs stammen aus der Feder Oskar Reuters (Mandoline), so auch das besonders schöne „Be My Baby Still“, wo Junsten mit Tim O’Brien im Duett singt, oder „I Will Follow“, nur mit Junstens Sologesang und Reuters Tenorgitarre. Instrumente und dynamische Spielweise beherrschen alle Downtown Ramblers perfekt, neben Emilie Junsten und Oskar Reuter Pär Öjerot (Gitarre), Martin Blomberg (5-String-Banjo) und Karl Annerhult (Kontrabass).

Bernd Künzer

 

DOWNTOWN RAMBLERS – On The Other Side Of The City


DAVID FERRARD
Journeyman

(Alter Road Records ARRCD002, go! www.davidferrard.com )
12 Tracks, 42:25, mit engl. Texten

David Ferrards Lockenkopf und seine Stimme wirken irgendwie süß, aber seine Texte und seine Themen sind das genaue Gegenteil. Mit Ausnahme von Pete Seegers „Turn, Turn, Turn“, kehrt der Edinburghian nach dem Ausflug in die amerikanische und schottische Tradition der Eltern auf seinem dritten Album zurück zu eigenen Liedern, bleibt aber auf familiärem Territorium, und das kann man sogar wörtlich nehmen. Familie in allen möglichen Facetten ist der Schwerpunkt auf Journeyman: Abwesende Väter, gespaltene Kindheit, die Heilung von Beziehungswunden oder das Leiden an Alzheimer – all das findet in Familien statt. Und Ferrard spannt via der Familie auch den Bogen zu seinem Herzensthema: Wenn er im beeindruckenden „I Am An Immigrant (I’m From Here)“ über die Behandlung von Einwanderern singt, dann orientiert er sich an seinen eigenen italienisch-amerikanischen Wurzeln und findet packende Bilder: „I am a cocktail / A masterless race / A coat of many colours / A nightmare to trace“. Und in „Wildflowers“ sind es dann sogar Nachbarn, die Nachbarn erschießen. Nein, das Engelsgesicht auf dem Cover täuscht: Der Mann singt vom Leben – und das ist leider allzu häufig alles andere als himmlisch.

Mike Kamp

 

DAVID FERRARD – Journeyman


RENAUD GARCÍA-FONS
Solo – The Marcevol Concert

(Enja ENJ-9581 2/Soulfood Music, go! www.renaudgarciafons.com )
11 Tracks, 56:11 + materialgleiche DVD, mit franz. und engl. Infos

Der frankospanische „Paganini des Kontrabass” erfüllte sich mit Solo den lang gehegten Wunsch, wieder einmal ein Soloalbum einzuspielen. Dem virtuosen wie spirituellen Musiker – in dieser Liveaufnahme besonders gut zu hören und zu sehen – gelang im personellen Alleingang ein klanglich multiples Werk. Sein ohnehin farbenprächtiges Spiel wird bereichert durch Loops, allesamt mit seinem Bass verfertigt. Diese elektronische Erweiterung ist keine Spielerei wie bei manch anderem Musiker, tut dem Essenziellen der dynamischen musikalischen Darbietung weitestgehend keinen Abbruch. Man wäre gerne dabei gewesen am dokumentierten atmosphärischen Septembertag im kleinen Kloster von Marcevol nahe der französisch-spanischen Grenze. Immerhin gewährt die DVD teils luxuriös nahe Einblicke in das magische Tun, die man nicht einmal als Konzertbesucher bekommen hätte. Wie schon zuvor in seiner Arbeit zu beobachten, eröffnet Renaud García-Fons’ Instrument die Welt eines ganzen Orchesters, das mittels aller nur denkbaren Klangfarben und perkussiven Elemente eine Art imaginäre Folklore kreiert. Beeindruckend etwa der nur durch ein Papier verfremdete Klang des Basses im afrikanisch anmutenden Stück „Kalimbass“.

Katrin Wilke

 

RENAUD GARCÍA-FONS – Solo


GWENNYN
Kann An Tevenn

(Seniprod/Keltia Musique/New Music Distribution, go! www.gwennyn.com )
11 Tracks, 40:18, mit franz., bret. und engl. Texten und franz. Infos

Die bretonische Sängerin Gewnnyn ist keine Traditionalistin. Ihre Musik hat zwar ein paar traditionell bretonische Elemente, aber im Großen und Ganzen ist sie eher modern, poppig, jazzig und allgemein keltisch-folkig. Außer von ihrem Duopartner Patrice Marzin auf Gitarre, Klavier und als Programmierer, lässt sie sich auf ihrem neuen Album von David Starosta und Soig Sibéril auf Gitarren, Kevin Camus auf Uilleann Pipes, Low und Tin Whistle, Manu Leroy am Bass, Hoppy Hopkins mit Percussion, Patrick Boileau auf dem Schlagzeug, Jean-Luc Aimé als Programmierer, Philippe Turbin auf dem Klavier und Pierre Bloch auf der Viola begleiten. Ihr Spiel ähnelt zum Teil dem moderner irischer Bands, hat aber auch viel von zeitgenössischer französischer Musik, etwa von der Musique Minimale. Sehr apart fällt dabei immer wieder Patrice Marzins Gitarrenspiel auf. Die allesamt von Gwennyn und Marzin komponierten und bis auf vier von Gwennyn gedichteten Lieder haben oft mit bretonischer Identität und Mythologie zu tun, was ihnen neben dem Gebrauch von Gwennyns Muttersprache Bretonisch in vier Texten, darunter auch einem mit einem argentinischen Thema, dann doch einen bretonischen Anstrich verleiht.

Michael A. Schmiedel

 

GWENNYN – Kann An Tevenn


THE HENRY GIRLS
December Moon

(Eigenverlag, go! www.thehenrygirls.com )
14 Tracks, 46:22, mit engl. Infos

Zusehends wird der Begriff „Transatlantisches Musizieren“ zu einem beliebigen Verkaufsetikett. Ein tatsächliches Verweben von Traditionen diesseits und jenseits des Meeres findet längst nicht immer statt. Die drei Schwestern McLaughlin aus dem irischen Nord-Donegal bieten dagegen wahres Crossover: Karen (v), Lorna (acc) und Joleen (harp) nehmen sich auf ihrem vierten Album, was ihnen zusteht und was sie mögen. Ihre Songs bedienen sich irischer Traditionen, Pop, Bluegrass, bei den perfekten Gesangsharmonien auch schon mal Barbershop-Vorbildern. Ihre Grenzüberschreitungen gehen so weit, dass sie in zwei kleinen Instrumentalstücken bis Afrika und Japan reisen. Kein Problem haben die Girls damit, diesen zarten Klängen ein schweres, verhalltes Schlagzeug und eine böse Stromgitarre folgen zu lassen, wie sie im Klassiker „Rain And Snow“ zu hören sind. Manchmal meint man, die Schwestern alte Spirituals singen zu hören, etwa in „The Long Road“, wo Band plus Mandoline plus Bläser eine bestechende Kombi bilden. Und mit dem Elvis-Costello-Cover „Watching The Detectives“ gelingt den Henrys noch eine Überraschung. Keine Frage: Die Dixie Chicks bekommen Konkurrenz von der anderen Seite des Atlantiks.

Volker Dick

 

THE HENRY GIRLS – December Moon


KRENIJENN
Peseurt Mood?

(Krenijenn KR2011/1/Coop Breizh, go! www.krenijenn.wordpress.com )
12 Tracks, 51:43, mit frz., engl. und bret. Infos

Ein Meilenstein der modernen bretonischen Fest-Noz-Musik. Krenijenn ist ein Trio aus Erwan Burban (Trompete), Lina Bellard (Elektroharfe) und Vincent Raude (Elektronik). Die Stücke sind traditionell tanzbar, die Melodien klingen zutiefst bretonisch, aber das Klangbild ist ungewohnt. Schon die Trompete ist kein traditionelles Fest-Noz-Instrument, doch die elaborierte Elektronik zwischen Trip-Hop und Ambient unterscheidet Krenijenn endgültig von konventionellen Tanzgruppen. Zwar ist die Verbindung von bretonischem Folk und Elektronik nicht mehr neu, allerdings hat es eine derartig niveauvolle und gelungene Synthese zuletzt beim Sänger Denez Prigent Ende der Neunzigerjahre gegeben. Der künstlerische Erfolg ist auch hart erarbeitet, Erwan Burban hat bereits mit den beiden Vorläuferprojekten Jerry Cornic und Skolkozh Erfahrungen gesammelt. Herausragend auf dem Debütalbum von Krenijenn ist auch das einzige Hip-Hop-Stück mit dem bretonischen Rapper Krismenn.

Christian Rath

 

KRENIJENN – Peseurt Mood?


NOLWENN LEROY
Bretonne

(B1*/Mercury/Universal 0602527578392, go! www.nolwenn.org )
15 Tracks, 51:53, mit Texten

Die Franzosen machten dieses Album im Vorjahr zur Nummer zwei ihrer Jahresverkaufscharts. Und die Franzosen mögen auch Nolwenn Leroy. 2002 siegte sie bei der Casting-Show Star Academy – und wurde anschließend tatsächlich ein Star mit mehreren Hits und Topalben. Auf ihrem vierten Album Bretonne probierte die Popsängerin etwas Neues: ein Folkalbum, na ja, ein Popalbum mit Folkanleihen. Es enthält bretonische Folkklassiker wie „Tri Martelod“ und „Prisons De Nantes“, zeitgenössische Chansons mit Bezug zur Bretagne und – etwas unmotiviert wirkend – auch Ohrwürmer wie „Greensleeves“ und „Scarborough Fair“. Damit ist der gebürtigen Bretonne ein gefälliges Album gelungen, das auch in Deutschland Platz 13 der Charts erreichte. Leroy hat eine gute Stimme, die Arrangements sind nur leicht verpoppt, von vielen Stücken hat man allerdings schon mitreißendere Interpretationen gehört, etwa durch Alan Stivell und Tri Yann. Aber es gehört wohl zum kommerziellen Konzept dieses Albums, dass alles gemäßigt bleibt. Aufgenommen wurde es in London mit Musikern von der Insel wie Michael McGoldrick und John McCusker. Und so klingt selbst die folkige Färbung oft eher irisch oder schottisch als bretonisch.

Christian Rath

 

NOLWENN LEROY – Bretonne


ORCHESTRE INTERNATIONAL DU VETEX
Total Tajine

(Via Lactea VLR 008/Broken Silence, go! www.vetex.org )
Do-CD, 28 Tracks, 100:19

Setzt sich die Balkanisierung in Richtung Frankreich fort? Im französischsprachigen Raum hat der Komponist und Arrangeur Thomas Morzewski 19 Musiker um sich versammelt und das Orchestre International du Vetex gegründet. Morzewski ist ein versierter Künstler mit klassischer Ausbildung, das hört man den Stücken an. So geht es ihm nicht allein darum, die Blasmusik des Balkans so authentisch wie möglich zu reinterpretieren, sondern auch darum, sie zu erweitern und mit anderen Musikformen zu vermischen. So schleichen sich Salsa und Musette in seine Kompositionen ein, und auch Erik Satie blickt manchmal verstohlen um die Ecke. Das funktioniert an vielen Stellen recht gut. Beim ersten Hören klingt Total Tajine recht wild und ungezügelt, doch wirkt diese Mischung später eher kalkuliert. Als würde Morzewski mit seinem Orchestre International du Vetex die Balkanmusik bändigen und zivilisieren wollen, um ihr damit einen Weg in die bürgerlichen Wohnzimmer zu ebnen.

Michael Freerix

 

ORCHESTRE INTERNATIONAL DU VETEX – Total Tajine


DEAN OWENS
New York Hummingbird

(Songboy Records SBOY001CD, go! www.deanowens.com )
10 Tracks, 36:53

Der Singer/Songwriter aus Edinburgh wartet mit seinem vierten, etwas kurz geratenem Opus auf. Erneut reiste Dean Owens nach Amerika und spielte nach vier Jahren Pause neue Songs ein. Um es vorwegzunehmen: Herausragende, eindringliche Balladen wie „Raining In Glasgow“ und besonders „Man From Leith“ von seinem letzten Album Whisky Hearts sind auf New York Hummingbird nicht vertreten. Am nächsten kommt solchen Klassikern noch das fast schon hitparadentaugliche „Baby Fireworks“ oder das hymnische „Wander On“, aber auch die acht restlichen Songs sind von hoher Klasse ohne qualitative Ausreißer nach unten, und das ist definitiv auch eine Leistung. Owens’ großzügig und radiotauglich produzierte Lieder überzeugen nicht nur durch seine nicht unbedingt schöne, aber einprägsame Stimme, sondern auch durch eingängige und griffige Melodien sowie durch lyrische Qualität – wobei ein Abdruck der Texte sehr willkommen gewesen wäre.

Mike Kamp

 

DEAN OWENS – New York Hummingbird


PUST
Femkant

(Pust Records prc 001, go! www.pust.org )
14 Tracks, 46:49

Kry

(Pust Records prc 002, go! www.pust.org )
12 Tracks, 43:05, mit norw. Texten

Julero

(Kirkelig Kulturverksted FXCD 374, go! www.pust.org )
15 Tracks, 49:49, mit norw. Texten

Pust – „Hauch” – sind ein stimmgewaltiges norwegisches Sextett, beziehungsweise waren zu Zeiten ihres Debüts ein Septett, das Album aber hieß „Fünfeck“, Femkant, und das verstehe, wer kann. Wer es nicht kann, braucht sich nicht zu grämen, das hat sich bei Auftritten der Gruppe in Berlin im November 2011 gezeigt. Die je drei Damen und Herren singen auf Norwegisch, ein seltenes Mal auf Englisch, sie singen vielstimmig, mit verteilten Rollen, führen gesungene Dramolette auf, spielen auf jede erdenkliche Weise mit Sprache, Wörtern und Lauten, es ist die wahre Wonne. Immer wieder ertappt man sich dabei, nach dem Begleitinstrument Ausschau zu halten, und kann nicht fassen, dass offenbar keines da ist, denn auch die Instrumentalbegleitung liefern sie rein stimmlich mit. Sie mischen traditionelle Dinge – wie einen „Echten Halling“ („En Reell Halling“) auf Kry (2009) oder den „Brautmarsch von Sørfold“ („Bruremarsj Fra Sørfold“) auf Femkant (2007) – mit moderneren Songs wie Stings „Moon Over Bourbon Street“ (Femkant), sie singen Vertonungen von Gedichten, die man in Norwegen in der Schule lernt, wie André Bjerkes „Farao På Ferie“ (Kry), aber gesungen klingt es so viel witziger. Auf Julero (2011) gibt es Weihnachtslieder, bekannte und unbekannte, ins Norwegische übersetzte von Martin Luthers „In Dulci Jubilo“ („Jeg Synger Julekvad“) bis „Stille Nacht“ („Stille Natt“) und in Norwegen entstandene, eines schöner als das andere. Unbedingt vormerken, denn gar bald weihnachtet es wieder. Und die beiden anderen Alben am besten gleich anschaffen, Genuss garantiert.

Gabriele Haefs

 

PUST – Femkant

PUST – Kry

PUST – Julero


NICO WAYNE TOUSSAINT
Lonely Number

(DixieFrog DFGCD 8716/Fenn Music, go! www.nwtoussaint.com )
16 Tracks, 59:58

Im Alter von 15 Jahren infizierte sich der Franzose Nico Toussaint an Muddy Waters’ LP Hard Again mit dem Blues. Vor allem James Cottons Mundharmonikaspiel hatte es ihm angetan. Ihm eiferte er nach, und spätestens mit 18 legte er die Harp nur noch selten aus der Hand. Zusammen mit seinem Vater am Piano tourte er durch die südfranzösische Provinz, später folgten halbjährliche Aufenthalte in den USA, immer in den Hotspots des Blues. In Chicago, Minneapolis und New Orleans war er in der lokalen Musikszene aktiv, knüpfte Kontakte, schloss Freundschaften und sog alles an musikalischen Einflüssen in sich auf. Auf Lonely Number zeigt sich Nico Wayne Toussaint als gereifter Musiker, der alle Spielarten des klassischen Blues beherrscht. Zusammen mit einer tollen Band und illustren Gästen – David Maxwell, Rod Piazza, Guy Davies, JP Soars, Mike Welch, Tommy Schneller und anderen – kommt zu keinem Moment Langeweile auf. Das Album strotzt vor Spielwitz und deutlich vernehmbarer Spielfreude, es ist tief im traditionellen Chicago Blues verhaftet, klingt jedoch so frisch und engagiert, als wäre dieses Genre gerade erst erfunden worden.

Achim Hennes

 

NICO WAYNE TOUSSAINT – Lonely Number


TREACHEROUS ORCHESTRA
Origins

(Navigator Records NAVIGATOR062, www.treacherousorchstra.com)
9 Tracks, 55:48

Doch, doch, 12 Musiker dürfen sich Orchester nennen. Besonders, wenn ihre Konzerte von einer Qualität sind, dass sie prestigeträchtige Auftritte wie bei den Celtic Connections oder beim TFF Rudolstadt bereits erfolgreich absolvierten, bevor sie dem Publikum noch von Tonträgern bekannt waren. Das Debüt des Treacherous Orchestra startet etwas pathetisch, bevor die Herren den Schalter bei Stück drei radikal umlegen und die Post abgehen lassen. Instrumente wie Percussion, Pipes, Flöte oder Fiddle sind gleich doppelt besetzt. Entsprechend breit ist der Klang des reinen Instrumentalalbums angelegt, zumal die Arrangements vom Feinsten und Modernsten sind. Die Melodien haben sie fast ausschließlich selbst geschrieben – alles andere wäre bei dynamischen Musikern wie Piper Ross Ainslie, dem Flötisten Kevin O’Neill oder dem Akkordeonisten John Somerville auch eine Unterlassungssünde. Glücklicherweise weiß das Treacherous Orcherstra auch genau, dass es ab und zu einmal einen Gang tiefer schalten muss. Insgesamt eine erfreuliche Produktion einer Band, die live aus logistischen Gründen wohl ein reines Festivalprojekt bleiben wird. Umso wertvoller ist dieses Album.

Mike Kamp

 

TREACHEROUS ORCHESTRA – Origins


RANDI TYTINGVÅG
Grounding

(Ozella OZ040CD/Galileo MC, go! www.tytingvaag.no )
11 Tracks, 46:35, mit Texten

Die norwegische Sängerin betritt neue Pfade. Nachdem ihre beiden ersten Alben Let Go und Red eher die Jazzer unter den Weltmusikliebhabern angesprochen haben, wird Grounding die Popliebhaber in Entzücken versetzen. Dass auch auf ihrem dritten Album Randi Tytingvågs Stimme wieder für Begeisterung sorgen wird, daran besteht ohnehin kein Zweifel. Ihr kraftvoller Gesang klingt gleichzeitig filigran und zerbrechlich. So wirkt die Künstlerin wie eine nordische Version von Suzanne Vega. Die Songs, im klassischen Bandarrangement Gitarre, Bass, Schlagzeug dargeboten, sind stark und persönlich, umfassen mit „Inside“ sogar einen charttauglichen potenziellen Hit. Dabei bleibt Tytingvåg auch bei ihrem Ausflug in den Mainstream eine Folksängerin von Fleisch und Blut, wie Gänsehauttitel wie „All That Is Not Free“ beweisen. Ihr Lieblingsthema, wie man Partnerschaft in unserer Zeit gestaltet, zieht sich auch durch dieses Album. Alles zusammen sorgt für eine Mischung zwischen Melancholie und Leichtigkeit, der man sich nur schwer entziehen kann. Grounding ist die Landung einer großen Künstlerin.

Chris Elstrodt

 

RANDI TYTINGVÅG – Grounding

Update vom
09.02.2023
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