Rezensionen DEUTSCHLAND
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BLAU:
Güntsied
(Starfish Music CD 66819-8, www.blaumusik.de
)
13 Tracks, 51:16, mit plattdt. Texten und Infos
Die Lebensbedingungen der Arbeiter an den ostfriesischen Deichen und in den
Weiten des Moores sind durchaus vergleichbar mit denen der schwarzen Sklaven auf
den Baumwollfeldern im Süden der USA. Davon sind jedenfalls Günter Orendi und
Werner Willms von der Gruppe Blau: überzeugt. Was liegt also näher, als
sie auch mit ähnlichen musikalischen Ausdrucksmitteln zu besingen? Zwar haben
Orendi und Willms nie am Deich und im Moor geschuftet, doch den
angloamerikanischen Musiktraditionen fühlten sie sich schon immer verpflichtet.
Früher interpretierten sie Folkblues, Cajun, Dixieland und auch Tex-Mex in
englischer Sprache, vor ein paar Jahren besannen sie sich jedoch auf ihr eigenes
ostfriesisches Platt. Ihre Texte schreiben sie selbst, ebenso die meisten
Kompositionen. Es finden sich aber auch Melodien von Taj Mahal, John Hiatt und
Lowell George im Repertoire. Die dominierende Kombination von Tuba und
Slidegitarre in Verbindung mit niederdeutschen Texten ist musikalisch eher
ungewöhnlich und absolut reizvoll. Gesanglich ließe sich, vor allem bei den
weiblichen Stimmen, die sehr betulich-harmlos daherkommen, noch einiges
verbessern. Aber insgesamt gesehen: Weltmusik up Platt – klasse!
Kai Engelke
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ENSEMBLE LIBERTANGO
El Porteño
(Laika 3510286.2/Rough Trade, www.libertango.de
)
18 Tracks, 74:00, mit dt. und engl. Infos
Glasklar spielen Klassiker Tango. Der NDR produzierte wie schon den
El-Angel-Zyklus als Fortsetzung der Werkeinspielungen Astor Piazzollas
mit dem Ensemble Libertango auch El Porteño. Der rein konzertante Tango
Nuevo Piazzollas zu den vier Jahreszeiten wird in der aktuellen Produktion mit
Stücken traditioneller Komponisten wie Emilio Balgarce, Osvaldo Pugliese oder
Osualdo Ruggiero ergänzt, Tango, Valse und Milongas, die assoziativ zu
Primavera, Verano, Otoño und Invierno Piazzollas gesetzt werden. Aufgenommen
wurde wiederum im kleinen Sendesaal des Funkhauses am Maschsee in Hannover
– und genauso hört es sich auch an. Spieltechnisch brillant setzen die
fünf Musiker an Akkordeon, Klavier, Viola, Violoncello und Kontrabass die
schriftlich fixierten Kompositionen um. Bis ins Detail perfekt scheinen Aufnahme
und Mix, man sieht förmlich das gebannte Publikum im Konzertsaal vor sich. Aber
genau in dieser Erstarrung schlägt das Pendel dieser Produktion in der Begegnung
zwischen Klassik und Tango nach einer Seite. Das Verrückte, Verruchte und
Unperfekte, das den Tanz auch ausmacht, fehlt an diesem Porteño.
Cathrin Alisch
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FALKENBERG
Freiheit
(Mollwerk/BuschFunk, www.falkenberg-musik.de
)
Promo-CD, 12 Tracks, 42:43
Ralf Schmidt, früherer Popstar aus Halle (Saale), der sich einst IC nannte und
später Falkenberg, knüpft mit Freiheit stilistisch an sein Album
Hautlos von 2010 an, aber mit neuem Konzept: Wie ein roter Faden zieht
sich der Begriff Freiheit durch alle Titel und lässt selbst Lieder wie
Liebste in politischem Bezug erscheinen. In Vor den Kathedralen prangert er
in heftigen Worten die Finanzspekulanten an: Vor den Barrikaden brennt morgen
das Papier / das niemals mehr wert war als eure Gier. Ähnlich kritisch, aber
satirischer, singt er über fragwürdige Ängste seiner Mitmenschen: Da ist die
Angst ... nicht erreichbar zu sein / ... vor eingeschleppten Killerbienen und
Muslimen. Trotz aktueller brisanter Themen kommt aber das Poetische nicht zu
kurz, beispielsweise bei Auf den Wiesen der Kindheit oder beim nachdenklichen
Immer bei mir. Falkenberg schrieb nicht nur alle Songs, er produzierte das
Album auch und spielte bis auf zwei Studiomusiker an E-Gitarre und Cello alle
Instrumente selbst ein, darunter einen Instrumentaltitel am Klavier. Insgesamt
gelungener deutschsprachiger Liedrock mit Elementen aus Folk und Chanson.
Reinhard Pfeffi Ständer
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TONI KATER
Sie fiel vom Himmel
(Toni Kater Records/Solaris Empire/Broken Silence, www.toni-kater.de
)
Promo-CD, 12 Tracks, 46:46
Gern brüsten sich die Popsängerin und -autorin aus dem Harz und ihr Produzent,
Einstürzende-Neubauten-Schlagwerker Rudolf Moser, mit ihren Erfolgen in der
Werbung: ein Song in diesem Spot, einer in jenem; Sounddesign für alle Arten von
Multis. Wie eigen wird die Arbeit solcher Künstler wohl sein? Und wie
persönlich? Ziemlich uneigen und allgemein bis hart an die Platitüde –
leider auch bei der vorliegenden Kooperation der beiden für den Popmarkt. Es
bleiben beim ersten Album Toni Katers nach einer Pause von sieben Jahren, ihrem
dritten insgesamt, so unterm Strich vor allem zwei Stücke hängen, auf je eigene
Art so durchschnittlich, also allgemeinverträglich wie nur möglich: Verwirrt,
das geradezu hundertprozentig nach Humpe, also Hitparade, klingt – schwer
zu entscheiden nur, ob nach Annette oder Inga, die die inzwischen 35-Jährige mit
ihrem 2raumwohnung-Partner Tommi Eckart als Künstlerin einst aufs Gleis setzte.
Und America, ein auf Französisch im Duett gesungenes Stück indifferenter
Melancholie, das irgendwie noch ein weiteres mal den alten Traum von der Neuen
Welt an die Wand zu malen scheint – also ein Massenphänomen ohnegleichen.
Mit auch genau dem entsprechenden Tiefgang.
Christian Beck
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LIEDHABER
Zugvögel
(Tradxrecords, www.liedhaber.com
)
16 Tracks, 52:40, mit Texten
Dieses Album bietet eigentlich genau das, was das Herz eines Folkies mit Faible
für deutsche Folkmusik höher schlagen lassen sollte. Die Volksliedforscherin und
Sängerin Dagmar Held, die beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege das
Archiv für Volksmusik in Schwaben betreut, hat deutsche Volkslieder aus der
Region Bayerisch-Schwaben gesammelt. Lieder, die in den Familien und im
dörflichen Leben gesungen wurden, aber heute zum größten Teil eher vergessen
sind. Schön, dass diese Lieder mit Zugvögel wieder zugänglich gemacht
werden. Da es den fünf Musikern ein Anliegen ist, dass die Lieder wieder
gesungen werden, gibt es im Booklet sämtliche Texte samt Quellenangaben, aber
leider keine Noten oder Gitarrenakkorde dazu. Die Lieder wurden auf Klarinette,
Böhmischem Bock, Harmonika, Geige, Bratsche, Harfe, Small Pipes und Kontrabass
sehr abwechslungsreich arrangiert und klangtechnisch hervorragend eingespielt.
Trotzdem macht es das Album dem Hörer nicht leicht: Man muss die Gesangsstimmen
mögen; insbesondere die weibliche Stimme, speziell wenn sie in die Kopfstimme
wechselt, ist vermutlich nicht jedermanns Sache. Was aber den Verdienst der
Produktion nicht schmälern soll.
Ulrich Joosten
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ROHMANN
Wenn sie schläft
(Acoustic Music Records 319.1486.2/Rough Trade, www.rohmannsongs.de
)
13 Tracks, 51:04, mit dt. Texten und Infos
Nicht alles Gute braucht ewig. Sein neues Album Wenn sie schläft nahm
Markus Rohmann aus Hannover an nur einem einzigen Tag in Peter Fingers Acoustic
Music Studio in Osnabrück auf. Herausgekommen ist ein Werk von ungewöhnlicher
Qualität. Komposition, Text, Interpretation, Klang – alles fügt sich zu
einem homogenen Ganzen von überdurchschnittlichem Niveau. Der
Multiinstrumentalist Rohmann – Gesang, Gitarre, Ukulele, Cajon, Saxofon,
Melodica, Piano – fühlt sich ganz offensichtlich der angloamerikanischen
Musikkultur verbunden. Viele seiner Songs klingen wie aus dem tiefsten Süden der
USA, besonders diejenigen, die er meisterhaft auf seiner Weissenborn-Lapsteel
begleitet. Dieter Kropp fügt mit seiner Harmonika bei einigen Stücken die nötige
Portion Blues hinzu. Rohmann singt von Liebe und Desaster, wobei er sein
Augenmerk eher auf Miniaturen, Momentaufnahmen, Detailbetrachtungen (Wenn sie
schläft, Dein Lächeln) richtet als auf die üblichen pseudophilosophischen
Plattitüden. Er singt akzentuiert, dabei aber völlig unangestrengt, in einer
Lässigkeit, die zuweilen an Stoppok erinnert (Brigitte, Nagelneue Schuhe).
Kai Engelke
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THOMAS SCHLEIKEN
Beech Mountain Hill
(Eigenverlag, www.schleiken.de
)
11 Tracks, 38:14, mit engl. Infos
Akustischen Blues und einfühlsamen Gesang präsentiert der im Oldenburger Land
lebende Niederrheiner Thomas Schleiken. Neben Eigenkompositionen spielt er
traditionelle Blues- und Folkstücke und entpuppt sich dabei als fabelhafter
Akustik- und Resonatorgitarrenspieler im Piedmont-Stil. Mit seiner warmen,
authentischen Stimme und ruhiger Back-to-the-roots-Lyrik gelingt es Schleiken,
den Zuhörer zu faszinieren. Solo kommt er bei Blessed Be The Name und seiner
Eigenkomposition Northwest am besten zur Geltung. Bei drei Titeln wird er an
der Bluesmundharmonika von Thomas Freund unterstützt. Schleiken beweist, dass
akustischer Folk/Blues à la Mississippi John Hurt, Reverend Gary Davis und
Robert Johnson auch 2012 noch spannend interpretiert werden kann. Als Zugabe
bietet er seine Version des Bruce-Springsteen-Songs Further On Up The Road,
den Johnny Cash für American V – A Hundred Highways aufnahm.
Insgesamt ist Beech Mountain Hill eine gelungene Produktion, die nur
zwei kleine Haken hat: Die grafische Gestaltung sollte der Musiker das nächste
Mal in professionellere Hände geben; und er könnte ruhig ein paar Songs mehr
einspielen. Auf einen Silberling passen nicht nur 38 Minuten.
Annie Sziegoleit
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FUNNY VAN DANNEN
Fischsuppe
(JKP 116/Warner Music, www.funny-van-dannen.de
)
Promo-CD, 22 Tracks, 70:42
Vom Spezialisten für raffinierten gesungenen Humor des Banalen und Alltäglichen,
Franz-Josef Hagmanns-Dajka, besser bekannt als Funny van Dunnen, gibts wieder
ein paar wunderbare neue Lieder. Ob er eine misslungene Fischsuppe allein
aufisst, mit Spaghetti Mikado spielen will oder sich vom lieben Gott ein
Butterbrot wünscht – aus welchen spinnerten Gedankenblitzen er Lieder
macht, ist immer wieder verblüffend. Dabei sind seine Texte nicht nur unsinnige
Blödeleien, sondern es schimmern immer kluge Beobachtungen der Wirklichkeit
durch. Verzerrte Blickwinkel, schräge Perspektiven, schiefe Parallelen, die
Absurdität schärft den Blick. Und dann aber lichtet sich manchmal das nebelhaft
Verklausulierte, und ganz einfache Wahrheiten treten klar hervor: gegen Nazis,
gegen Krieg, für mehr kritische Unruhe in der Gesellschaft. Dabei zudem
erfreulich, dass er Pathos vermeidet. Erleuchtung, zumal verkündete, ist auf
Dauer eben auch dröge. Mit 13 Alben in 17 Jahren ist Funny Van Dannen inzwischen
kein Geheimtipp mehr, aber auch kein medienkompatibler Mainstream. Er hat sich
ein eigenes Publikum mit Liebhabergeschmack gewonnen.
Rainer Katlewski
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KATJA MARIA WERKER
Mitten im Sturm
(Stockfisch SFR 357.6074.2/In-akustik, www.katja-werker.com
)
12 Tracks, 48:10, mit dt. Texten und engl. Infos
Ein gemischtes Vergnügen. Makellos sind auf Katja Maria Werkers fünftem Album
wie bei Stockfisch üblich die Aufnahmequalität und die instrumentale Brillanz
der Musiker, allen voran neben Werker selbst Ian Melrose an den Gitarren. Aber
auch alle anderen Instrumente, von Bass über Hammond und Saxofon bis zur
chinesischen Mundorgel Hulusi werden von großen Könnern gespielt. Sicher nicht
jedermanns Fall, für andere dafür vermutlich besonders attraktiv, ist Werkers
sehr eigene, mitunter seltsam belegte, indirekte Gesangsintonation. Und das
Songmaterial ist wechselhaft: Geradezu unantastbar grandios ist Aus dem Beton
von Bernie Conrads und Stoppok; großer Pop Ich + Ichs Vom selben Stern; ein
Klassiker Peter Gabriels Here Comes The Flood – dagegen hat es selbst
Brandon Flowers Crossfire schwer, ebenso manche von Werkers eigenen Liedern.
Karats Über sieben Brücken musst du gehn scheint etwas sehr abgenudelt, die
irgendwie halbherzige Version entkräftet den Eindruck nicht. Zusammenleben von
Mikis Theodorakis, Thomas Woitkewitsch und George Seferis rollt einem mit seinem
altbackenen Geschlechterpathos heute geradezu die Fußnägel auf. Und Ratschläge
wie Dreh den Spieß um – puh ...
Christian Beck
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FOLKER auf Papier
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