Rezensionen NORDAMERIKA / KANADA
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BONNIE PRINCE BILLY
Wolfroy Goes To Town
(Domino WIGCD 286/Good to go, www.myspace.com/princebonniebilly
)
10 Tracks, 50:25 Minuten, mit engl. Texten
Der bekannteste Song Will Oldhams, der seine Musik als Bonnie Prince Billy
veröffentlicht, ist vermutlich I See A Darkness, den Johnny Cash auf
American III: Solitary Man coverte. Seit 20 Jahren ist der Schauspieler
und Songschreiber aus Louisville, Kentucky mittlerweile Teil der internationalen
Musikszene, Wolfroy Goes To Town ist sein 17. Album. Großen Erfolg
konnte er bisher nicht verzeichnen. Das mag daran liegen, dass Will Oldham ein
Leisetreter ist, der seine Alben bevorzugt mit kleinen Besetzungen einspielt.
Trotzdem wird er, insbesondere wegen seiner lakonischen und lyrischen Texte,
immer wieder mit Bob Dylan verglichen. Doch ist Oldhams Karriere ganz eindeutig
eine, die nach größtmöglicher Unabhängigkeit strebt. Seine Auftritte in den
US-amerikanischen Independent-Filmen Kelly Reichards sprechen für sich. Mit
brüchiger Stimme singt Oldham auf Wolfroy Goes To Town weiterhin
folklastige Songs über Außenseiterschicksale, denen nie ein Quäntchen Hoffnung
fehlt.
Michael Freerix
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BOWERBIRDS
The Clearing
(Dead Oceans DOC033/Cargo Records, www.bowerbirds.com)
Promo-CD, 11 Tracks, 45:54
Bowerbirds kommen aus Raleigh in North Carolina. The Clearing ist das
dritte Album des Trios. Sie bewegen sich zwischen allem, was es an
Folk-Varianten gibt, ihrem einfachen, unaufgeregten Stil sind sie treu
geblieben. Beth Tacular und Phil Moore schreiben die Lieder selbst. Mit ihrem
Kollegen Matt Damron stehen sie dann im Studio und auf der Bühne. Der Gesang von
Moore gibt den Ton an, Tacular steigt in fast jedes Stück als harmonische
Zweitstimme ein. Trotzdem wirkt ihre Musik immer ungeschliffen. Die vielen
Ahhs, Ohhhs und Uhhhs, die gesungen werden, dürfen nicht als Füllwörter
verstanden werden. Vielmehr drücken sie Empfindungen aus, die sich allerdings
was ihre genauen Inhalte betrifft irgendwo im Ungefähren befinden – im
Atmosphärischen. Und das ist es auch, wo The Clearing den Hörer ganz
unauffällig hinführt. Beginnt das Album mit eher poppigen, aber erdigen
Arrangements, scheint es in der zweiten Hälfte immer mehr abzuheben. Subtil
werden elektronische Klangteppiche untergelegt, die zum Teil an Walgesänge, zum
Teil an das Summen des Universums erinnern. Ein erfreulicher Flug in einen
interessanten Klangkosmos.
Sarah Habegger
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ANI DIFRANCO
¿Which Side Are You On?
(Righteous Babe Records RBR 073D/Tonpool, www.righteousbabe.com
)
Promo-CD, 12 Tracks, 52:49
Die Idee, die berühmte Protesthymne zum Titel ihres neuen Albums zu machen,
hatte Ani DiFranco beim Konzert zu Pete Seegers 90. Geburtstag im Mai 2009.
Seeger ist bei der vorliegenden Aufnahme auch mit dabei – mit Banjo und
Gesang. Neben den Rivertown Kids, einem Kinderchor aus dem Hudson Valley, wo
Seeger lebt, und der Blaskapelle The Roots of Music Marching Crusaders –
Musikern aus einem sozialen Förderprogramm in DiFrancos derzeitiger Wahlheimat
New Orleans. Deutlich aggressiver als bei Florence Reeces Original von 1931,
aktualisiert DiFranco die alte Streikhymne mit einigen Strophen für die neuen
sozialen Bewegungen. Neben politischen Themen reflektiert die 41-Jährige auf
Which Side Are You On? aber auch persönliche Themen wie das Altern.
In If Yr Not meint sie: Wenn du beim Älterwerden nicht glücklicher wirst,
dann hast du verschissen. Musikalisch präsentiert sich DiFranco gewohnt als
versierte Gitarristin, ob aggressiv bei den politischen Titeln oder fast
schwebend leicht bei Balladen wie Albacore oder mit jazzigen Akkorden bei
Popsongs wie Mariachi. Bass, Piano und Vibrafon sorgen für weitere
musikalische Akzente. Ani DiFrancos Kreativität ist ungebrochen.
Michael Kleff
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LINCOLN DURHAM
The Shovel Vs. The Howling Bones
(Rayburn Publishing 00TSVTHB-12, www.lincolndurham.com
)
11 Tracks, 38:07, mit engl. Infos
Das Schlagzeug rumpelt, schmutzig gleitet die Slide, darüber erhebt sich eine
ächzend flehende Stimme – man könnte meinen, T-Bone Burnett habe wieder
als Produzent gewirkt. Aber es war der altgediente Countrymusiker Ray Wylie
Hubbard, gemeinsam mit George Reiff, der Lincoln Durhams Debüt an den Reglern
saß. Beide tauchten die Musik des Songschreibers aus Austin, Texas in eine
dunkle, bedrohliche Atmosphäre – eine Welt, in der es keine Freude geben
kann. Schwer walzt sich der Blues seinen Raum, drängen Bluesrock, Country, Folk
und Country-Blues herein. Dazu beschwört Durham düstere und geisterhafte Bilder
herauf, Ahnungen von Tod, Abschied und Vergänglichkeit. May the river have
mercy on the drifting wood, hofft er und sieht sich doch treiben. Das sind
Geschichten eines Mannes, der sich selbst im Weg steht und das alles trotz
seiner Jugend erkennt. Vielleicht schenkt ihm seine alte Gibson HG-22 aus dem
Jahr 1929 diese Weisheit. Alte Instrumente, altes Equipment, archaische
Blueshelden hinterm Vorhang – Lincoln Durham wirkt in dieser Umgebung
authentisch, die Verzweiflung echt: Ive been washing myself in muddy water / I
dont want to be clean, but I think I oughta.
Volker Dick
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PAUL GEREMIA
Love My Stuff
(Red House Records RHR CD 239/In-akustik, www.paulgeremia.org
)
21 Tracks, 63:07, mit engl. Texten und Infos
Der Sänger und Akustik-Blues-Gitarrist Paul Geremia ist seit Jahrzehnten eine
feste Größe, legendär ist sein dichtes und präzises Fingerpicking auf der 6- und
12-Saitigen. Love My Stuff versammelt Live-Aufnahmen aus drei Jahrzehnten.
Von Shuckin Sugar Blues bis Dr. Jazz spannt Geremia einen Bogen der großen
Blues-Gitarristen von Blind Lemon Jefferson über Blind Willie McTell und Charley
Patton bis Reverend Gary Davis. Seine eigenen Songs Cocaine Princess, Where
Did I Lose Your Love? und Stray Dog Shuffle stehen in gleicher Tradition und
reihen sich nahtlos ein. Neben der Gitarre spielt Geremia auch grandios die
Mundharmonika, gleichzeitig auf dem Rack. Und die schwarz-weißen Tasten –
vor 20 Jahren entdeckte er beim Konzert in Dresden in der Ecke ein zugedecktes
Klavier – im zweiten Set blieben die Gitarrenkoffer geschlossen, Geremia
animierte das volle Haus zum Mitsingen zum rollenden Barrelhouse-Piano. Wahren
Genuss bieten auf Love My Stuff bei zwei Titeln auch die Gäste Rich
DelGrosso, Mandoline, und Rory MacLeod, Bass. Dave Van Ronk lobte seinen
Kollegen Geremia als Besten weißen Country-Blues-Spieler aller Zeiten.
Hoffentlich bleibt es der 67-Jährige noch lange.
Annie Sziegoleit
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JOY KILLS SORROW
This Unknown Science
(Signature Sounds SIG 2041/In-akustik, www.joykillssorrow.com
)
11 Tracks, 41:56, mit engl. Texten
In Boston steht ein Musikschulhaus, das Berklee College of Music. Dort hat
vieles, was an neuer akustischer Musik aus den USA kommt, seinen Ursprung
– ob Gillian Welch, Crooked Still oder auch Joy Kills Sorrow, sie alle
entsprangen dem fruchtbaren Schoß der Hochschule. Die instrumentalen Fähigkeiten
der Bandmitglieder von Joy Kills Sorrow stehen damit außer Frage. Zwar sieht die
Besetzung nach Bluegrass aus, doch die Songs klingen nicht danach, sind mehr
Pop, Jazz, Folk, mehr Kopf- als Bauchmusik. Die Texte allerdings drehen sich ums
Eingemachte: Liebe, Tod, Vergänglichkeit. Bassistin Bridget Kearney weist als
fleißigste Songschreiberin der Band in The Ice Is Starting To Melt die
Richtung: This will turn out to be a perfectly good tune / Itll be nice to see
you on your feet again soon. Heilende Musik. Dem Ganzen gibt die Kanadierin
Emma Beaton ihre einfühlsame Stimme, als wären es die eigenen Worte. Feine
Dynamik, durchkomponierte und geschmackssicher arrangierte Stücke, selten laut,
selten fröhlich, dennoch einprägsam. Nur eins gelingt Joy Kills Sorrow auch auf
ihrem zweiten Album nicht: die Energie der Live-Auftritte einzufangen. Aber das
braucht vielleicht ein anderes Medium.
Volker Dick
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NICOLAS PELLERIN ET LES GRANDS HURLEURS
Petit Grain DOr
(Disques Tempête TEM2-4028, www.nicolaspellerin.com
)
11 Tracks, 46:27, mit franz. Texten und Infos
Die Helden von Rudolstadt 2011 legen ihren Zweitling vor und bestätigen damit
erneut, dass sie auf dem Weg nach vorne sind. Noch besser und eindringlicher ist
Pellerins Gesang, von Fiddle und Fußpercussion ganz zu schweigen; noch enger
sind die Harmonien der beiden Simons, Simon Marion an Gitarre, Mandoline, Dobro
und Simon Lepage an diversen Bässen; noch mitreißender sind die
Instrumentalstücke, Siesta ist ein Paradebeispiel. Ganz besonders
beeindruckend jedoch sind die Arrangements der glorreichen Drei aus der
kanadischen Provinz Québéc, die wesentlich fantasievoller und komplexer sind als
zuvor. Gäste wie die Cellistin Natalie Haas sind maßgeblich daran beteiligt,
dass auch Elemente von Jazz, Klassik oder afrikanischer Musik deutlicher denn je
in die Musik der Band einfließen. Diese Vielfalt bei den traditionellen und
eigenen Stücken ist Fluch und Segen zugleich. Nicht alle Tracks sind direkt
zugänglich, dafür jedoch später um so nachhaltiger im Ohr. Ein grandioses Werk
– die Wurzeln in der Tradition, aber jede Note hier und jetzt!
Mike Kamp
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FOLKER auf Papier
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