Rezensionen DEUTSCHLAND
|
BETANCOR
Kein Island
(Kurtmusik/Popappeal/Broken Silence CD 2568, www.betancor.de
)
12 Tracks, 50:32, mit dt. Infos
Ich bin so desolat, Mir ist trüb, egal – überwiegend ausgesprochen
besinnlich geht Susanne Betancor ihr erstes Album an, nachdem sie die Popette
vorerst in Urlaub geschickt hat. Balladen nennt sie das – was man
einerseits sagen kann, die spröde Kapelle spielt eine Art Kammermusik zwischen
Klassik, Jazz, Blues, Folk und Pop und Betancor spricht halb, halb singt sie
einen nahezu unablässigen Bewusstseinsstrom dazu. Sofern man sich unter einer
Ballade allerdings etwas eher Gefälliges vorstellt, ist man schief gewickelt.
Die Musik ergeht sich ausgiebig auch in Dissonanzen, Kurt Weill ist mitunter
nicht weit – und die Texte, und mehr noch Betancors Vortragsstil verlangen
dem Hörer in ihrer schrägen Zerrupftheit noch ein deutliches Übriges ab. Und
dann haben wir noch nicht vom schrägen Witz gesprochen, der aus fast jeder
Formulierung sprüht: Fallobst – was fürn selten blödes Thema, schätzt
sie an einer Stelle selbst ein, später im Stück kommt sie für ein nicht zu
unterdrückendes Glucksen gar kurz selbst aus dem Tritt. Aufs erste Hören alles
anstrengend – aber man gewöhnt sich daran. Und dann machen die spinnerten
Beobachtungen dieser Exzentrikerin mit jedem Mal mehr Sinn.
Christian Beck
| |
|
DRAGSETH
Stää un Stünn
(J&P 161211, www.atelier-knortz.de
)
11 Tracks, 43:05, mit Texten und Infos
Von wegen, die Friesen singen nicht. Natürlich singen sie, und wie! Manuel Knorz
und Kalle Johannsen sind der lebende Beweis. Ihr neues Album ist diesmal wieder
auf Friesisch gesungen und in jeder Sekunde lang Genuss. Aus dem Duo ist mit
Jens Jesse (Gitarre, Lapsteel, Banjo und Gesang) und Gerd Beliaeff (Kontrabass,
Posaune und Bongos) ein Quartett geworden. Dragseth kannte man bislang eher als
exquisite Gitarristen, doch auf Stää un Stünn beweist Manuel Knorz,
dass er vor allem auch mit den Uilleann Pipes, Whistles und Bodhran den
melancholischen Liedern gefühlvolle und sehr passende Glanzlichter aufzusetzen
weiß. Was die Songs anbelangt, müssen sie für Dragseth auch diesmal vom Feinsten
sein. Copperline von James Taylor oder The Day After Tomorrow von Tom Waits
auf Friesisch reihen sich ein in Lyrik-Vertonungen und eigene Lieder. Und
Dragseth setzen die eigene Tradition fort, bekannte plattdeutsche Lieder völlig
neu zu interpretieren; hier nun geben sie dem bekannten Stück Mien Jehann aus
der Feder von Klaus Groth eine neue Melodie und damit ein ganz neues Gefühl. Ein
hervorragendes Klangbild verhilft den Arrangements zu besonderer Intensität. Ein
wundervolles Album!
Ulrich Joosten
| |
|
NINA HAGEN
Volksbeat
(Polydor München 2786070/Universal Music, www.nina-hagen.com
)
14 Tracks, 45:21, mit dt. Texten und Infos
Schade, dass diese Urgewalt von Sängerin direkt auf ihrem Höhepunkt mit
Nina Hagen Band von 1978 offenbar die Lust auf ernsthafte Musik verlor
– von da an gings bekanntlich bergab. Doppelt schade, weil man selbst
über 30 Jahre später noch hören kann, was alles noch möglich gewesen wäre, wenn
sie gewollt hätte. Auf Volksbeat, einer verblüffenden Rückkehr zu einiger
Form, auf der gerade die eingedeutschten Coverversionen von None Of Us Are
Free oder This Train Anlass zur Freude geben, hat sie sämtliche Murmeln fast
wieder komplett beisammen: gute Stücke, fremde wie eigene; eine erstaunlich
geschmackvolle Produktion, ob im Punk-, Rock-, Ska- oder gar Folk-Gewand. Die
Botschaften in jede nur erdenkliche Gutmenschen-Richtung sind klar und
vertretbar, Gott ist zwar allgegenwärtig, aber noch zu ertragen – und: sie
singt! Und lässt dabei all das Geröhre und Gequieke einfach mal wieder
weitgehend sein, das einem so oft jeden Spaß an ihr verleiden konnte. Und alles,
was dabei immer noch deutlich überkandidelter ist als die Konkurrenz, ist vor
allem ein mitreißendes Vorbild dafür, man selbst zu sein – wie kirre man
auch ist. Das ist alles andere als schade – sondern ausgesprochen toll.
Christian Beck
| |
|
TOM LIWA
Goldrausch
(GIM Records GIM 0192/Intergroove, www.tomliwa.de
)
12 Tracks, 40:46, mit dt. Infos
Vage und offen ist manchmal besser als präzise und starr, zumal bei Poesie. Es
ist nicht wirklich festzunageln, was an diesen federleicht und flüchtig
hingetupften Songs so kraftvoll und betörend ist – aber klare Inhalte,
Aussagen und Standpunkte können es schon einmal eher nicht sein. Gibt es hier
nämlich eigentlich nicht – wenn man einmal davon absieht, dass das Dutzend
Lieder und Liedchen auf Ukulelenbasis expressis verbis autobiografisch ist: die
Kindsmutter, die die Nacht woanders verbrachte, Sohnemann, der den Sänger tritt
und anspuckt – sie wären also vermutlich sogar mit Klarnamen zu benennen,
wenn man wollte. Das ist sicher nicht jedermanns Sache, hat für Empfängliche
aber große Kraft, der Künstler wird dadurch außerordentlich verletzlich, man
kommt ihm ganz zwangsläufig sehr nahe. Es muss aber auch noch etwas rein
Atmosphärisches sein – etwas Vorsprachliches, das einfach im verletzlichen
Charakter, in der melancholischen Stimmung der Musik und Texte selbst liegt,
auch in ihrer Unbestimmtheit und Rätselhaftigkeit über weite Strecken. Ganz
offensichtlich sehr intime Geschichten, die für Außenstehende nicht präziser
werden als eine Stimmung. Genauer muss es gar nicht sein.
Christian Beck
| |
|
PANNACH UND KUNERT
Sonne wie ein Clown
(Marktkram/Buschfunk BF 07332, www.gerulf-pannach.de
, www.kuno-kunert.de
)
14 Tracks, 48:06, mit Bonus-DVD (56:50), Texten und Infos
Gitarrist Christian Kuno Kunert und Texter Gerulf Pannach gehörten zur
legendären Leipziger Klaus-Renft-Combo, die 1975 verboten wurde. Nach
Untersuchungshaft und Abschiebung in den Westen traten sie viele Jahre gemeinsam
auf. Sonne wie ein Clown ist ihr Studiodebüt als Duo aus dem Jahre 1979
und stellt ein bemerkenswertes Zeitdokument dar. In ihren Texten kritisieren sie
Missstände in Ost und West gleichermaßen: Ach, Prügel blühn dir hier / und
Knast gibts dort / und Knast gibts hier und drüben / prügeln sie dich für ein
Wort oder Ja, ich tanze für mein Recht hier aus der Reihe der Kälber.
Musikalisch in bester Politrock- und Liedermachertradition, gibt es aber auch
Folkloristisches, beispielsweise einen Mikis-Theodorakis-Song. Zur vorliegenden
Wiederveröffentlichung gehört als Bonus eine DVD mit dem interessanten
Filmporträt Im Westen was Neues?, ein ARD-Porträt des Duos von Wolfgang
Tumler, und einem Ausschnitt aus der WDR-Talkshow Kölner Treff, beides aus dem
Jahre 1979. Gerulf Pannach starb 1998, Kuno tritt krankheitsbedingt nicht mehr
auf. Vergessen sind beide trotzdem nicht, weitere Wiederveröffentlichungen sind
in Vorbereitung.
Reinhard Pfeffi Ständer
| |
|
HANS REFFERT UND WERNER GOOS
Stoned Cold & Broken
(Acoustic Music Records 319.1484.2/Rough Trade Distribution, www.hansreffert.de
,
www.wernergoos.de
)
12 Tracks, 53:33, mit Infos
Für Folk- und Rockmusiker, fürs Theater und für die Filmbranche ist der
Gitarrist und Komponist Hans Reffert schon tätig gewesen. Auch als bildender
Künstler hat er Talent – er sorgte selbst für die Ausstattung seines neuen
Albums und illustrierte das Booklet mit bunten Collagen. Die Platte selbst, die
er zusammen mit dem studierten Jazz-Gitarristen und Tonmeister Werner Goos beim
renommierten Label Acoustic Music vorlegt, ist ein kleines Meisterwerk. So
präsentiert, könnte romantische Musik mit reichlich Mollakkorden viele Liebhaber
finden. Zu hören sind zwölf Stücke, darunter mit Strange Fruit, Fine And
Mellow und Dont Explain drei der großen Billie Holiday, der Rest stammt von
Reffert und Goos, vier Texte steuerte der Mannheimer Afrikaner Boucounta Sene
aus Senegal bei. Die Mischung ist abwechslungsreich und stimmungsvoll, die
Klangqualität sollte Standard in den Tonstudios werden. Das Spiel der beiden
Musiker – sie sind Virtuosen an verschiedenen Akustik- und
Elektrik-Gitarren – imponiert durch Wachheit, Intelligenz und Eleganz,
betört durch seine Melancholie Einen kleinen Wermutstropfen gibt es doch: Nur
einer der Texte findet sich im Booklet.
Annie Sziegoleit
| |
|
DOTSCHY REINHARDT
Pani Sindhu
(Galileo Music GMC049/Galileo MC, www.dotschyreinhardt.com
)
10 Tracks, 51:51, mit dt. und engl. Infos
Vor sechs Jahren spürte Dotschy Reinhardt mit ihrem Album Sprinkled Eyes
gerade ihren Wurzeln in jenem musikalischen Segment nach, das ihr großer
Vorfahre mit seinem Jazz-Quintette du Hot Club de France ins Leben gerufen
hatte und das seither als Sinti Swing Eingang ins Sortiment des
Schallplattenhandels gefunden hatte. Auf ihrem neuen Tonträger dehnt sie ihre
Spurensuche auf die Regionen Südostasiens aus, aus denen sich ihre Ahnen einst
auf den Weg in den Westen gemacht haben. Natürlich wird jetzt niemand erwarten,
daß uns die gebürtige Ravensburgerin die größten Hits des Fünfstromlandes
präsentiert oder in korrekter Ragam-Thanam-Pallavi-Form über Swinging with
Django improvisiert. Und doch schafft sie es auf fast magische Weise, die
Klangfarben südindischer Musik mit denen von Swingjazz und Flamenco zu
vermischen. Nicht zuletzt dank der feinen Arrangements von Christian von der
Goltz, einer klugen Mischung aus Eigen- und Fremdkompositionen – John
McLaughlin, Ravi Shankar und andere – sowie einer Vielzahl kompetenter
Begleitmusiker wurde aus Dotschy Reinhardts Hommage an ihr Volk und das Land am
Indus, Pani Sindhu, ein musikalisches Kleinod.
Walter Bast
| |
|
WILLIAM WAHL
Wie schön wir waren
(Odeon 3014872/EMI, www.williamwahl.de
)
Promo-CD, 13 Tracks, 39:13
Der Kölner Sänger und Pianist William Wahl hat eine klassische Ausbildung
genossen, und das ist jedem seiner 13 sehr professionell produzierten Songs
anzuhören. Das Besondere dieser Lieder und Chansons – neben Wahls
schnörkellosem, geradlinigen Gesang – sind einerseits die größtenteils
wirklich originellen Melodieführungen, bei denen der Hörer nicht immer schon im
Voraus weiß, wohin die Reise geht, und andererseits die sorgfältig gearbeiteten
poetischen Liedtexte, die ohne jegliche Plattitüden auskommen und dennoch sehr
viel Gefühl transportieren. Der Gründer, Komponist und Texter der
A-cappella-Formation Basta hat mit seinem ersten Solo-Album Wie schön
wir waren nun auf sehr kreative Weise die unterschiedlichsten Möglichkeiten
des instrumentalen Arrangements seiner Lieder erprobt und realisiert. Vom großen
Streichorchester bis zur kammermusikalischen, intimen Besetzung wird alles
genutzt, was den Grundstimmungen der einzelnen Songs zugute kommen kann. Das
Ausdrucksspektrum ist so weit, wie die Songs unterschiedlich sind. Insgesamt
eine stimmige, runde Produktion.
Kai Engelke
| |
|
BODO WARTKE
Klaviersdelikte
(Reimkultur Musikverlag RKMV 523112/Vertriebscentrum, www.bodowartke.de
)
13 Tracks, 60:53, mit dt. Texten und Infos
Phänomenal, was der 34-jährige Hamburger Bodo Wartke, jetzt Berlin, an
Textgewalt und Vortragskunst zu bieten hat – und sicher keine
Klaviersdelikte. Von 1998 bis 2004 Mitglied der berühmten Mainzer
Akademie für Musik und Poesie Chrisoph Stählins und Absolvent der Celler Schule,
hat es der Ex-Musikstudent inzwischen im Musikkabarett zu frappierender
Meisterschaft gebracht und ist dabei als Autor wie Interpret locker und
entspannt geblieben wie kaum ein vergleichbar Begabter. Grundlage der Stücke
sind Wartkes flüssiges Entertainerpiano auf Boogiebasis zuzüglich gelegentlicher
zurückhaltender anderer Instrumente. Darüber wird überwiegend satirisch
geschnattert, was das Zeug hält, mit enormer Gag-Dichte und selbst bei
eigentlich längst abgegriffenen Themen wie Internet, Handy-Terror oder
WG-Problemen noch unterhaltsam und fast durchweg unpeinlich. Höhepunkt des
Albums aber ist Christine, eine Art Trauergesang auf ein nach nur vier Wochen
verstorbenes Schwesterchen, lediglich in nebensächlichen Spurenelementen
ironisch, aber rundum überzeugend und folglich enorm berührend. Ob die
Geschichte autobiografisch ist oder nicht, ist eigentlich egal –
atemberaubend ist das Stück so oder so.
Christian Beck
| |
| |
FOLKER auf Papier
|
---|
Dieser Artikel ist ein Beispiel aus der Print-Ausgabe!
Bestelle sie Dir! Einfach das Schnupper-Abo!
bestellen und
drei Ausgaben preiswert testen. Ohne weitere Verpflichtung!
Oder gleich das Abo
?
|
|