Rezensionen EUROPA
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ALI FUAT AYDIN / CENK GÜRAY
Bir – Turkish Musical Traditions
(Felmay Records fy 8186/Pool Music & Media)
14 Tracks, 43:51, mit engl. Textbeilage
In diesem Langhalslauten-Duo spielt Ali Fuat Aydin die Baglama, den Grundtyp der
türkischen Langhalslaute, und Cenk Güray die große, sonorige Divan-Saz. Die
beiden Virtuosen verbreiten auch bei schnellen Läufen wohlige Entspannung.
Rasante Triller, Vibrati und feine Verzierungen verdeutlichen, dass die
Langhalslaute von der Begleitung der Epensänger zu einem Konzertinstrument
heranreifte. Dazu die hervorragende Aufnahme: Selten klang eine türkische
Langhalslaute derart voluminös. Der Untertitel Turkish Musical Traditions
ist allerdings missverständlich, denn das Album konzentriert sich auf die
westtürkische Ägäis-Region mit ihrem Zeybek – ein meist getragener
Schreittanz im stolpernden 9/8-Takt, der sich aus 3 x 2 und 1 x 3 Schlägen
mit unterschiedlichen rhythmischen Akzenten zusammensetzt. Da bei uns nur
wenige Editionen mit hervorragendem Baglamaspiel erhältlich sind, wäre ein
breiteres Repertoire wünschenswert gewesen, um das stilistische Spektrum und
die klanglichen Möglichkeiten der Langhalslaute zu verdeutlichen. Auch bei
dieser Veröffentlichung des italienischen Felmay-Labels führen die exzellenten
englischen Linernotes in die Instrumenten- und Musiktradition ein und
informieren über jeden Titel.
Birger Gesthuisen
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MARY BLACK
Stories From The Steeples
(3ú Records TUCD024, www.mary-black.net
)
12 Tracks, 49:39, mit engl. Texten und Infos
Vor vielen Jahren hat Mary Black die schottische Folkballade Anachie Gordon in
ihr musikalisches Repertoire aufgenommen. Ein Song, der vor Liebestragik
geradezu strotzt. Mit einer nicht minder tragischen Liebesballade neueren
Jahrgangs – Black zieht im Booklet auch einen direkten Vergleich –
eröffnet die Irin nun ihr aktuelles Album. Marguerite And The Gambler heißt
der Song aus der Feder des Songschreibers Ricky Lynch aus Cork, den 3ú Records
schon vorab als Single veröffentlicht hat. Das Lied legt die Messlatte hoch für
die elf folgenden Titel, etwas zu hoch, wie sich zeigt. Daran ändern auch
musikalische Gastspiele von Imelda May, Finbar Furey und Janis Ian nichts. Es
sind insgesamt zwar durchaus gute Stücke, die Black für ihr neues Album
ausgewählt hat, drei davon von ihrem Sohn Danny geschrieben – nur halten
sie eben qualitativ der Eingangsballade nicht stand. Man erwartet nach dem
Einstieg mit Marguerite And The Gambler schlicht ein bisschen mehr. Dennoch:
Mit Stories From The Steeples legt Mary Black nach sechs Jahren
wieder ein gelungenes Studioalbum vor, wenngleich es in ihrem Gesamtwerk wohl
nicht auf den vorderen Plätzen rangiert.
Markus Dehm
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BRATSCH
Urban Bratsch
(World Village WVF 479057/Harmonia Mundi, www.bratsch.com
)
16 Tracks, 61:50, mit franz. Texten und Infos
2012 wird diese französische Alte-Herren-Truppe ihr 40-jähriges Bestehen feiern
können. Dass sie trotzdem noch nicht zum alten Eisen gehört, stellt dieses Album
eindrucksvoll unter Beweis. Gewiss, am Grundkonzept hat sich nicht wirklich
etwas verändert: Bratsch mischen immer noch respektvoll respektlos die Musik des
Balkans mit Klezmer, Blues und Jazz. Gleichwohl werden jedoch auch neue Wege
beschritten – daher wohl auch der halbwegs programmatische Albumtitel.
Einige Stücke verbeugen sich vor der Metropole Paris, so das Chanson Rec C,
die Sprechgesang-Collage Clichés oder die Gypsy-Swing-Ballade Dans Le Ciel De
Ma Rue. Tatsächlich beherrscht das ambivalente Leben in der Stadt mehrere
Liedtexte und einen instrumentalen Parforceritt durch das hektische New York am
frühen Morgen in Ska Fonce. Aus dem Rahmen fallen Bratschs Version von
Brecht/Weills Seeräuber-Jenny, trotz des Titels La Fiancée Du Pirate auf
Deutsch dargeboten, oder das melancholische Liebeslied Siya Le, gesungen in
Dioula, einer zwischen Burkina Faso und der Elfenbeinküste verbreiteten
Verkehrssprache. Wahrlich ein buntes und erfrischendes Album der Balkan Blues
Brothers aus Frankreich.
Roland Schmitt
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BUIKA
En Mi Piel
(Warner Music Spain 2564665189/Galileo MC, www.galileo-mc.de
)
Do-CD, 26 Tracks, 114:42, mit Texten
Keine ist wie Concha Buika. Keine singt so rauchig, bringt ihre Gefühle so
direkt herüber. Mit den Alben Mi Niña Lola oder Niña de Fuego
schaffte es Produzent Javier Limón, ihre coole, jazzige Version des Flamenco
einem Publikum näher zu bringen, das sich sonst nie für diese Musik
interessiert hätte. Mit ihren Interpretationen der Lieder von Chavela Vargas
sang sie sich sogar ins Herz der mexikanischen Königin des Herzschmerzes
selbst. All diese Facetten ihres bisher erschienen Schaffens findet man auf
dieser Best-of-Sammlung. Und hinzu kommen elf bisher unveröffentlichte oder
auf Alben anderer Musiker erschienene Stücke, die die Anschaffung des
Doppelalbums allein lohnen. Stark ist die Zusammenarbeit mit dem Jazzpianisten
Iván Melón Lewis (Volver, Perla Marina und Por El Amor De Amar –
Soundtrack des aktuellen Films von Pedro Almodóvar). Stark sind auch die für
die Javier Limóns Alben entstandenen Stücke wie En el mismo Lugar oder das
großartige Habanerías, wo die in Palma de Mallorca geborene Tochter
äquatorialguineischer Eltern zeigt, was für eine hervorragende Jazzsängerin sie
ist. Kein Wunder, dass Musiker von Seal bis Chick Corea die Zusammenarbeit mit
Buika suchen.
Martin Steiner
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BURAKA SOM SISTEMA
Komba
(Enchufada ENCD017/Rough Trade Distribution, www.buraka.tv
)
Promo-CD, 12 Tracks, 46:30
Das in Lissabon beheimatete Sound System aus Portugiesen und Angolanern
scheint vom ursprünglichen Studiotüftlerprojekt langsam zur richtigen Band
heranzuwachsen. Ihr zweites Album geht konsequent den Weg des 2008 erschienenen
Vorgängers weiter: die Kultivierung der harten, in den Clubs der Welt besser
verständlichen Gangart des Kuduro, der in den Achtzigern in Angola
aufgekommenen, unbedingt tanzbaren Mixtur aus Sprechgesang, elektronischer Musik
mit Anleihen aus House und Techno sowie traditionellen einheimischen Rhythmen.
Nach ausgiebigen Tourneen mit dem international gefeierten Plattendebüt zogen
sich die Musiker und DJs, im Kern ein Quartett, für elf Monate ins stille
Kämmerlein zurück, um gemeinsam mit etlichen Musikerfreunden dies Dutzend neuer
Tracks zu erarbeiten. Deren thematische Klammer ist nichts Geringeres als die
Nähe zwischen Tod und Leben, die sich in vielen Bräuchen manifestiert. Ein
typisches angolanisches Ritual gab dem Album, dessen Cover ein fröhlich bunt
dekorierter Totenkopf ziert, auch den Namen. Doch nicht todessehnsüchtig,
sondern durchaus lebenslustig sind die Visionen des Buraka Som Sistema, die
diese Lebenslust auch auf dem Tanzboden entfachen wollen.
Katrin Wilke
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LINO DAVIDE & VIAMEDINA
Uno Luno E Monte
(FolkClub Ethnosuoni ES 5389, www.viamedina.com
)
10 Tracks, 47:25, mit Texten und ital. und engl. Infos
Viamedina ist ein neapolitanisches Musikerkollektiv um den Komponisten, Sänger,
Gitarristen, Mandolinisten, Bouzouki- und Oudspieler Lino Davide. Von der
Besetzung des letzten, 2005 erschienen Albums der Gruppe ist nur noch Geiger
Vittorio Cataldi übrig geblieben. Der Titel des Albums bezieht sich auf ein
süditalienisches Kinderspiel, das die Kinder draußen in der Sonne spielen. Die
Sonne und der Mond sind denn auch wiederkehrende Themen des Albums. Die Sonne
steht für die Kraft des Lebens. Mit Nient E Nuovo Sott O Sole (Nichts
Neues unter der Sonne) singt er aber auch über das organisierte Verbrechen
seiner Heimat und das Leiden der Armen. Unter der glühenden Sonne Afrikas finden
Kriege statt, die es kaum auf die Titelseiten der Zeitungen schaffen und deren
Opfer in Süditalien den Schlüssel für ein besseres Leben suchen (A Sud D O
Munn). Über all das singt Lino Davide mit einer warmen, rau-weichen Stimme,
die sofort in den Bann zieht. Seine Begleitmusiker (Kontrabass, Perkussion,
Akkordeon, Blasinstrumente) setzen gekonnt Akzente. Jedes der neo-traditionellen
Lieder ist ein Ohrwurm. Man spürt, die arabischen Länder sind nicht weit.
Schön.
Martin Steiner
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EASTWICK
A Moment From Now
(Union Distribution estw01, www.myspace.com/thebandamericana
)
13 Tracks, 44:54, mit Texten
Was machen zwei Schweden, wenn ihnen langweilig wird? Sie gründen eine neue
Band. Anders kann man sich Bo Lindbergs und Kjell-Erik Erikssons Energie nicht
erklären. Neben Hoven Droven, Triakel und diversen Soloprojekten war noch Zeit
für eine neue Band. Voilá, hier sind Eastwick – und sie spielen
ausschließlich Westwick, Entschuldigung, Americana natürlich. Eine Hexe von
Eastwick gibt es auch, namentlich Katarina Åhlén, die wundervolle klassische
Cellistin, die Skandinavisten vielleicht auch von Trio Quinta kennen. Und was
macht der Hörer mit Eastwick? Er stellt seine alten Levellers-CDs bei Ebay ein
und verschrottet sein Bon-Jovi-Vinyl. You Give Love A Bad Name als
Irish-Folk-Cover ist wirklich ein Partykracher geworden. Dass das Album auch
wundervolle Eigenkompositionen von Sänger Jens Ganman enthält, soll dabei aber
nicht untergehen. Ganman veröffentlichte als Solokünstler in Schweden schon
mehrere Alben, man merkt den Songs die Routine an. Abgerundet wird das Album mit
Tributen an Steve Earle und Randy Newman. Damit räumen Eastwick die letzten
Zweifel aus, wo die wahre Wiege amerikanischer Folkmusik liegt: in der Heimat
von – wie es bei myspace heißt – thebandamericana.
Chris Elstrodt
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BEPPE GAMBETTA
Live At Teatro Della Corte – The First 10 Years
(Gadfly Records 517, www.beppegambetta.com
)
14 Tracks, 70:17
Der italienische Meister-Flatpicker Beppe Gambetta gab und gibt sich die Ehre.
Seit zehn Jahren lädt Beppe Gambetta Freunde und Kollegen aller Couleur und aus
aller Welt zum Dialog auf der Gitarre bei den Gambetta Acoustic Nights ins
Teatro della Corte seiner Heimatstadt Genua, vor großem Publikum, auf großer
Bühne. Tony McManus, die schottische Steelstring-Ikone; Mike Marshall, einer der
bekanntesten – und virtuosesten – Mandolinenspieler weltweit; der
Kanadier Don Ross, Legende Dan Crary und viele andere gaben sich von 2001 bis
2010 die Klinke in die Hand, um mit Beppe zu jammen. Die Mitschnitte einer
ganzen Dekade klingen in sich so geschlossen und schlüssig, als handelte es sich
um einen einzigen Konzertabend: dramaturgisch gut gewählt, und in jeder Hinsicht
vielseitig. Amerikanische Traditionals, keltische Tänze, Songs – Beppe
singt auch selbst! – italienische und Balkanweisen und abschließend eine
Improvisation mit dem eher Klassikfreunden vertrauten norwegischen Lautenspieler
Rolf Lislevand. Derartige Vielfalt sucht ihresgleichen. Der Spaß am Spiel
springt funkengleich mit den ersten Takten über. Am besten gleich zum Festival
2012 mit Beppe nach Genua – erste Woche im Mai.
Rolf Beydemüller
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ROBIN LAING
Whisky For Breakfast
(Greentrax Recordings CDTRX361, www.robinlaing.com
)
16 Tracks, 59:23, mit engl. Infos
Robin Laing is Scotlands Whisky Bard. Dieser Eigeneinschätzung ist eigentlich
nichts hinzuzufügen. Über das Wasser des Lebens lässt sich endlos schreiben und
singen und es gibt wohl wenige thematische Nischen, die für den Künstler
erfreulicher wären als diese. Auf seinem vierten Themen-Album mit fast
ausschließlich eigenen Songs wird jedoch deutlich, dass nicht der gemeine
Folkie, sondern eher die große und vielfältige Schar der Whisky-Liebhaber das
Zielpublikum ist. Die instrumentelle Begleitung ist nämlich ziemlich gefällig,
mit anderen Worten: glatt und poppig, mit einem Schuss Country. Ist keine Sünde,
muss man nur wissen. Aber der Bonustrack ist einfach Gitarre und Gesang –
in fast akzentfreiem Deutsch! Man kann sicherlich darüber streiten, ob Whisky
zum Frühstück eine gute Idee ist, aber Whisky for Breakfast ist definitiv
gut für den Whisky-Genießer.
Mike Kamp
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NICK LOWE
The Old Magic
(Proper Records PRPCD085/Rough Trade Distribution, www.nicklowe.com
)
11 Tracks, 35:21, mit engl. Infos
Ich wollte keiner dieser Knacker mit hängenden Backen und schütterem Haar
werden, wurde Nick Lowe 2007 in der New Yorker Daily Mail
zitiert, die immer noch dieselbe Nummer abziehen wie zu der Zeit, als sie noch
jung, schlank und hübsch waren. Ziel erreicht, vorerst – seit
spätestens The Impossible Bird
von 1994 reift der 62-Jährige Proto-Pubrocker aus Walton-on-Thames immer weiter
zu einem immer souveräneren, immer sonoreren Liedermacher alter Schule. Mit den
entsprechenden Themen, auf diesem 13. Soloalbum etwa: I read a lot / not just
magazines / but other more serious things / to get me through the day / night
time too. Nachdenklichkeit, Schlaflosigkeit, nicht erst seit seine Checkout
Time – so ein anderer Titel – statistisch bereits so nahe ist. Das
Melancholische, Sehnende war Nick Lowe schon zu wilderen Zeiten nah, seit
geraumer Zeit ist es aus seinen Aufnahmen überhaupt nicht mehr wegzudenken:
meist verhalten die Tempi, überwiegend akustisch die Arrangements, gern
sentimental die Melodien, konsequent nostalgisch der Klang – außer, wenn
auch noch mal fröhlich gerockt wird. Dieser Knacker hat noch keine Hängebacken,
sein weißes Haar ist voll. Und er lernt immer noch dazu.
Christian Beck
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DIE PRIESTER
Spiritus Dei
(Polydor 06025 2779951/Universal, www.diepriester.com
)
11 Tracks, 37:01, mir dt. und lat. Texten und Infos
Es ist ein kirchliches Projekt, welches das Majorlabel Polydor hier fördert:
Drei deutsche und österreichische katholische Priester – ein Abt, ein
Benediktinermönch und ein Diözesanpriester – singen Klassik und Popmusik.
Man griff damit eine Idee auf, die mit Les Pretres im letzten Jahr in Frankreich
ungemein erfolgreich war. Deren Vorbild waren die irischen The Priests. 50 Cent
jedes verkauften Albums gehen an Waisenkinder in Tansania. Der Bombast-Sound ist
leider von kommerziellen Projekten nicht zu unterscheiden, oft ist es ein
Gregorian-Verschnitt mit viel Hall. Eine Neigung zu monumentalen Arrangements
wie bei der Moldau und Freude schöner Götterfunken hat der Grundidee nicht
gut getan. Schon der Titelsong ist völlig überfrachtet mit Rockgrundlage,
Streichern und mehrstimmigen Gesängen; und das natürlich alles gleichzeitig. Die
Stimmen sind leider nicht originell genug, um Leonard Cohens Hallelujah in der
25. Variante noch etwas Neues abzugewinnen. Der Gesang erfolgt in Latein,
Deutsch und Englisch – sehr exakt, sehr präzise, sehr leblos. Man hat viel
Geld und Aufwand in diese Produktion gesteckt – das Ergebnis ist
künstlerisch ebenso massenkompatibel wie überflüssig.
Piet Pollack
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SEAN RILEY & THE SLOWRIDERS
Its Been A Long Night
(Vachier & Associados IPV 1815 2/Broken Silence, www.seanrileyandtheslowriders.com
)
11 Tracks, 52:26
Kaum zu glauben, daß diese Band aus Portugal kommt, denkt man beim Hören dieses
Albums. Das ist eine wirkliche Überraschung. Wo sich europäische Bands beim
Adaptieren amerikanischer Vorbilder oft mit viel Verve schwer vertun, gelingt es
diesem Quartet, das sich an der Universität von Coimbra zusammenfand mühelos,
ins Schwarze zu treffen. Wunderschöner, beseelter Country-Rock, Folk und
Americana mit durchweg gelungenen Songs. Lässig klingt das, die Rythmusgruppe
rockt agil, die Orgel mäandert geschmeidig durch die Songstrukturen, Theremin,
Glockenspiel, Melodica, Streicher und Bläser setzen subtile Akzente – und
Alfonso Rodrigues alias Sean Riley singt mit dieser Jungmännerschluffigkeit daß
es eine wahre Freude ist. Bleibt, gerade aufgrund der verblüffenden
Stilsicherheit, lediglich eine offene Frage: Ob man durch den europäischen Blick
auf diese uramerikanische Musik dem ganzen noch eine eigene Note hätte geben
können? Auch ohne die ist Its Been A Long Night aber ein großer Wurf.
In der Heimat hat man die Qualität der Band schon mit ihrem Debüt von 2007
entdeckt, hierzulande kann man sie 2012 endlich live erleben –
nichts wie hin!
Dirk Trageser
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PALE SAARINEN
Bohemian Eyes / Boheemi Elää – Original Soundtrack
(Running Moose Productions/Presence Records/Nordic Notes/Broken Silence CD 12872, www.nordic-notes.de
)
32 Tracks, 43:59, mit engl. und finn. Texten und Infos
Ohne das Gesicht von Matti Pellonpää wären die Filme von Aki Kaurismäki wohl
unvorstellbar. Wie kaum ein zweiter Schauspieler stellte er in seinen Filmen den
Underdog dar. Es war ein großer Schlag für den finnischen Film, als Pellonpää
mit 44 Jahren an Herzversagen starb. Weniger bekannt ist, dass Pellonpää, den
seine Freunde Peltsi nannten, Sänger in einer Band mit Namen Peltsix war. Mit
von der Partie war damals Pale Saarinen, der nun, wer könnte es auch besser, die
Filmmusik zum Dokumentarfilm Bohemien Eyes
über das Leben des charismatischen Schauspielers beisteuert. Stolperiger Jazz,
ironischer Schlager, daddelige Volksmusik, dem Akkordeonisten Saarinen gelingt
es leicht, einen Soundtrack zum Leben ewiger Verlierer beizusteuern. Doch seine
Musik taugt nicht nur als ironischer Kommentar zu den Bildern. Sie funktioniert
auch ohne Film ganz wunderbar, und geht so weit über die Qualität üblicher
Filmmusik hinaus.
Michael Freerix
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TOMMY SANDS
Arising From The Troubles
(Spring Records SCD 1062, www.tommysands.com
)
18 Tracks, 63:28, mit Songtexten und Infos
Seit den Tagen der legendären Sands Family ist Tommy Sands zu einem der
bekanntesten irischen Songwriter avanciert. Auch wenn dem Rezensenten dieser
Zeilen seine ausgesprochen pointierten, dabei im besten Sinne volksnahen Texte
gefallen, tut es seine dazu komponierte Musik nicht immer, so auch auf dieser
neuen Produktion. Tommy Sands großes Thema sind auch hier wieder The Troubles
in Nordirland, der Jahrzehnte prägende religiös-politische, blutige Dauerzwist
der Provinz Ulster. Er kennt die Zwischenfarben dieser Streitigkeiten sehr genau
und beschreibt sie aus unterschiedlicher Sicht immer wieder neu und kritisch.
Immer steht er dabei auf der Seite des Friedens, der Toleranz und reiht sich
damit bei großen Vorbildern und Freunden wie Pete Seeger ein – der bei
Music Of Healing auch gastiert. Tommy Sands, für den Herzenswärme ein
authentisch spürbarer Wesenzug ist, wird von seinen Kindern Moya – die
stimmlich brilliert – und Fionan (Bouzouki, Banjo) begleitet. Großes
sympathisches Charisma prägt das Album, das sich vor allem für Genießer
einfacher Melodien und guter Songtexte eignet. Gleichwohl finden sich auch echte
neue Juwelen darunter wie A Quiet Man.
Johannes Schiefner
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THE SECRET CARPET CLUB
Village
(Nordic Stomp, www.secretcarpetclub.com)
11 Tracks, 37:02 mit Infos
Die drei Master-Absolventen der Königlichen Musikakademie in Stockholm, sind bei
verschiedenen Projekten in der Folkszene gut etabliert. Emma Johansson, Gesang
und Flöten, Carl Nyquist, Geige, und Vidar Skrede, Gitarre, legen hier nach
einer EP von 2009 ihr erstes komplettes Album vor. Dass das Trio tief in der
skandinavischen Musiktradition verwurzelt ist, hindert es nicht daran, Neues
auszuprobieren. Dazu trägt auch die ungewöhnliche Instrumentierung bei. Bei
einigen Stücken, wie I dagarna fem, sind leichte Einflüsse keltischer und
nordamerikanischer Folkmusik zu spüren. Andere, wie Röd, inte brun von Carl
Nyquist, klingen typisch norwegisch beziehungsweise schwedisch, was besonders an
der Spielweise der Geige liegt. Bei Lynx Lynx von Vidar Skrede werden die
traditionell von der Geige gespielten Melodien von Gitarre und Stimme (Trallar)
übernommen, während sich die Geige auf die harmonische Begleitung beschränkt. Zu
Fridas Och Karins Brudvals (Fridas und Karins Brautwalzer) von Emma Johansson
passt wunderbar das Unisonospiel von Geige und Flöte. Dass man auch sehr
bekannte Lieder noch besonders schön interpretieren kann, zeigt das sehr
berührend gesungene I Denna Ljuva Sommartid. Dieser Club sollte nicht geheim
bleiben.
Bernd Künzer
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ANNA TERNHEIM
The Night Visitor
(Ternheim Music TERN2011CD-1/Universal, www.annaternheim.com
)
Promo-CD, 12 Tracks, 45:56
Bereits beim ersten Song scheint unmittelbar eine Erinnerung auf – an die
englische Band Pentangle mit ihren melancholischen Melodielinien, den filigranen
Gitarren und der verhallten Stimme. Und tatsächlich: Es war ein Konzert von Bert
Jansch im Herbst 2010, das die in New York lebende Anna Ternheim inspirierte,
ihr den Weg wies für ihr viertes Album The Night Visitor. Überall
sind Spuren englischer Folkmusik der Sechziger und Siebzigerjahre zu
hören. Dennoch entstanden die Aufnahmen nicht in London, sondern in Nashville!
Am Mischpult saß Dave Ferguson, Toningenieur beispielsweise der letzten
Johnny-Cash-Platten. Ferguson holte einige US-Größen als Gastmusiker ins Studio,
darunter Tim OBrien (v), Ronnie McCoury (mand) und Will Oldham (voc). Die
Gitarren spielten Matt Sweeney und Anna Ternheim, die im Vorfeld der Aufnahmen
bei Sweeney Stunden nahm. Allerdings nicht in Songwriting – das hat die
Schwedin nicht nötig. Sie schreibt atmosphärische Songs in dunkler Tönung, oft
mit einem Hauch Scarborough Fair, eben im Stil der alten englischen Folksongs,
um Elemente aus Jazz und Country erweitert. Also her mit der Tasse
aromatisierten Kirschtees, heraus mit dem Räucherstab! Hier passts.
Volker Dick
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GIANMARIA TESTA
Vitamia
(Le Chant du Monde 8742077/Harmonia Mundi, www.gianmariatesta.com
)
Promo CD, 11 Tracks, 41:39
Nuovo, das Eröffnungsstück ist ein Versprechen: eine Hymne an alles Neue, den
neuen Tag, das unausgesprochene Wort, das neue Lied. Was folgt, sind zehn
Kurzfilme für Ohren und Sinne, dunkel, voller Melancholie, aber immer nah am
Menschen – Musik, die tief unter die Haut geht. In Sottosopra etwa,
singt Testa über einen Arbeiter, der auf dem Dach der Fabrik protestiert. Zuerst
wird er von Kollegen unterstützt, das Fernsehen sucht spektakuläre Bilder. Wird
er springen? Wie lange bleibt er oben? Langsam wird er vergessen. Nur ein
kleiner Bub winkt ihm vom Balkon zu. Die verzerrten elektrischen Gitarren sägen
eine Industriewelt unter den Gesang. Ganz anders etwa Lele, ein Lied über eine
Migrantin, die beschließt, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Da wird die Musik
leise, akustisch, nachdenklich. Gianmaria Testa zeigt für alle Lebenssituationen
Verständnis und findet Lichter im Dunkel der Nacht. Er ist wie ein guter
Seelendoktor – man vertraut sich seiner heiseren, warmen Stimme an, lässt
sich entführen in ein Leben, das trotz allem lebenswert ist. Der Sänger
seinerseits vertraut blind auf seine Mitmusiker, die ihn von minimalen
akustischen Tupfern bis zu harten Tönen kongenial unterstützen.
Martin Steiner
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MIREL WAGNER
Mirel Wagner
(Bone Voyage Recording BONE0171/Cargo Records, www.myspace.com/mirelwagner
)
Promo-CD, 9 Tracks, 30:38
Düster, schwermütig, melancholisch, aber kein bisschen lamoyant ist die Musik
von Mirel Wagner. Mit Klischees kommt man bei ihr nicht voran. Der Name lässt
auf eine Deutsche schließen, dann sieht man sie und meint, sie müsse aus dem
Süden Afrikas stammen, um schließlich zu lesen: Sie ist Finnin, die in Äthiopien
geboren wurde und irgendwo im weiteren Stammbaum einen Deutschen hat. Nichts
davon hört man dann in ihren Liedern, die sie selbst komponiert und auf Englisch
getextet hat. Die 23jährige beschränkt sich auf ihre Stimme und ihre Gitarre.
Schlichter geht es nicht. In No Death besteht der gesamte Refrain aus nur
einem Ton. Sie singt in diesem Stück von einer körperlichen Liebe zu einer
Toten, in anderen von einem Brunnen mit schwarzem Wasser (The Well) oder einer
Liebe, die einen herunterzieht, wie Kleider, die sich beim schwimmen mit Wasser
voll saugen (To The Bone). Dabei schafft sie eine ergreifende morbide Romantik
à la Nick Cave, gepaart mit der mädchenhaften Schlichtheit von Cat Power. Ganz
zart deutet die junge Frau in ihrem Gesang auch einmal ein paar wenige Töne
Blues an, kehrt dann aber sofort zu dem Geisterhaften ihrer Stücke zurück.
Sarah Habegger
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THE WATERBOYS
An Appointment With Mr. Yeats
(Puck Records/Proper Records PRPCD081, www.mikescottwaterboys.com
)
14 Tracks, 56:44, mit engl. Texten und Infos
Nach Angelo Branduardi ist Mike Scott mit seinen Wasserjungs und -mädels erst
der Zweite, der Irlands erstem Literaturnobelpreisträger (1923) William Butler
Yeats ein ganzes Album widmet. Das Werk des wie er selbst zum
Mystisch-Spirituellen neigenden Dichters inspiriert Scott seit den Achtzigern.
Wie leicht sich die hier vertonten Texte erschließen, zeigt, dass man auch
hochwertige Lyrik in hörbare Popmusik kleiden kann. Der typische Waterboys-Klang
wird ergänzt um Anleihen aus Pop, Rock, Folk, Blues und Chanson. White Birds
erinnert an das schottische Wild Mountain Thyme, Before The World Was Made
an Nick Caves Duett mit Kylie Minoque. Gewagt ist die bluesige Herangehensweise
an The Lake Isle Of Inisfree, die sich mit der Zeit jedoch als eigentliche
Essenz des Stückes aufdrängt. Und die Zeile Romantic Irelands dead and gone
aus September 1913 klingt auch 2011 noch überraschend aktuell. Vermisst man
etwas die brennende Leidenschaft des jungen Mike Scott, so entspricht die
musikalische Kopfgesteuertheit des Albums doch den punktgenau gesetzten
Versen. Das dürfte auch an deren fast natürlicher Musikalität liegen. Eine
hörenswerte Umsetzung der literarischen Vorlagen.
Stefan Backes
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FLORIAN ZACK
Auf und davon
(Wildwechsel/Koch Universal 2772643/Universal, www.florianzack.com
)
12 Tracks, 45:43
Das Debütalbum von Florian Zack fängt flott an und geht auch so weiter: mit
einer bunten Mischung aus Ska, Salsa und Polka. Gesungen wird in
österreichischer Mundart, die Texte sind witzig und prägnant, verzichten
glücklicherweise auf oberlehrerhafte Sozialkritik und widmen sich vorzugsweise
dem Liebesalltag. Der Dialekt erweist sich allemal als eine Sprachform, die sich
geschmeidig weltmusikalischen Rhythmen anpasst. Notfalls mischt Zack
ausländisches Sprachgut mit ein, dann agieren Sprache und Musik im fröhlichen
Miteinander. Vollends überzeugt das Album aber durch seine Musik, bei der dem
Debütanten Musiker aus der ersten Garde der österreichischen Szenen aus
Weltmusik und Jazz beiseite stehen. Zack bedient das Akkordeon, und mit dem
Trompeter Thomas Gansch oder dem Gitarristen Alegre Correa und dem Rest
erprobter Mitmusiker stehen ihm Weltklassemusiker zur Seite, die dafür sorgen,
das man sich als Hörer bei dieser richtungsweisenden Produktion nicht auf und
davon macht, sondern tanzend auf die Wiederholungstaste drückt.
Harald Justin
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CHEYENNE BROWN
Parellel Latitudes
(Bird Creek Records BCR001, www.cheyenneharp.com
)
10 Tracks, 41:41, mit engl. Infos
MAIREARAD GREEN & ANNA MASSIE
Mairearad & Anna
(Shouty Records SHOUTYCD01, www.mairearadgreen.com
, www.annamassie.com
)
11 Tracks, 43:32, mit engl. Infos
Es geht auch völlig ohne Gesang! Etwa wenn man sich auf die Harfe konzentriert
wie Cheyenne Brown aus Alaska, die seit neun Jahren in Schottland residiert und
studiert und via Thomas Zöllners Homebound-Konzerte auch in Deutschland nicht
völlig unbekannt ist. Parellel Latitudes
ist ein sehr schönes Album zwischen Tradition und Improvisation geworden,
entspannt und mit groovigen Rhythmen, optimistisch und melancholisch. So soll
gute Musik sein: Voller Respekt für die Tradition und mit Hunger auf Neues und
Unbekanntes. Brown ist auf der Album nicht alleine, Cello, Fiddle, Dobro oder
Gitarre leisten ab und an Gesellschaft ebenso wie das Banjo.
Letzteres wird bedient von Anna Massie, der momentan wohl meistbeschäftigten
schottischen Folkmusikerin. Neben unzähligen Studioprojekten ist sie festes
Mitglied bei den Blazin Fiddles und bildet ein freches Duo mit Mairearad Green
(Akkordeon, Pipes). Dort bedient sie neben ihrem Hauptinstrument Gitarre auch
besagtes Banjo sowie das Glockenspiel. Die beiden Damen verfolgen das gleich
Prinzip wie Cheyenne Brown – zeitgenössisch und traditionell zugleich,
obwohl alle Melodien aktuell oder selbstgeschrieben sind. Frisch und begeisternd
sind die Attribute, die spontan einfallen. Drei Frauen, zwei Alben, eine
Empfehlung – kaufen!
Mike Kamp
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FOLKER auf Papier
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