FOLKER – Rezensionen

Rezensionen DEUTSCHLAND


ACHIM AMME
Der Welt ist schlecht

(Bluebird Café Berlin Records CD 11-0053/Pool Music & Media, go! www.achim-amme.de )
12 Tracks, 34:26, mit dt. Texten und Infos

Achim Amme ist gelernter Schauspieler, preisgekrönter Buchautor und Musikant – ein Multitalent. Vergleiche mit Bob Dylan und den Beatles – wie sie im Booklet angestellt werden – sind allerdings ziemlich daneben; außerdem hat Amme solcherlei Hilfskonstrukte auch überhaupt nicht nötig. Die zwölf Lieder seiner dritten Albums sind größtenteils wunderbare Chansons, die eine ganz eigene, sanfte Kraft entfalten: nachdenklich, eher leise, ein bisschen Satire, ein wenig Ironie, meist tiefgründig und nachdenkenswert. Die musikalische Begleitung ist textdienlich und einfühlsam gestaltet, wobei das diatonische Akkordeon angenehm dominiert. Natürlich geht es um Liebe und Leidenschaft, eine Fahrt in den Abgrund und um den Menschen am Rande seiner Existenz. Wo Amme politisch wird („DenkMal“, „Die Welt ist schlecht“), verliert er sich inhaltlich leider in unverbindlicher Beliebigkeit. Doch wird dies durch einen Schuss Sarkasmus wieder wett gemacht: Der Eisbär auf dem Coverbild – schaut er nur dem Schmelzen seines Eisberges zu oder ist ihm angesichts dessen, was der Mensch der Welt antut so übel, dass er sich erleichtern muss? Man weiß es nicht – aber man ahnt es …

Kai Engelke

 

ACHIM AMME – Der Welt ist schlecht


ANDREAS ARLT
All-Time Favorites

(Crosscut Records CCD11103/In-akustik, go! www.andreasarlt.com )
15 Tracks, 53:39, mit Infos

Andreas Arlt, Mitbegründer und Gitarrist von B.B. & The Blues Shacks, geht mit diesem Solo-Projekt an seine musikalischen Wurzeln tief in einer heute fast vergessenen Epoche. Deren Vielseitigkeit fasziniert bei näherer Beschäftigung allerdings heute noch genauso wie bei ihrem Entstehen in den Neunzehnhundertvierziger- bis -sechzigerjahren. Wir sprechen von der gegenseitigen Bereicherung von Blues und Big Band Jazz und dem Entstehen von Rhythm & Blues und Jump Blues. An Vorbildern auf der Gitarre zitiert Andreas Arlt den großen T-Bone Walker ebenso wie Albert Collins, den Sänger Bobby „Blue“ Bland und viele weitere, oft unbekannt gebliebene Musiker. Umgesetzt wird deren Musik von einer superben Band mit Bläsern und dem fantastischen Sänger Frank „Pepe“ Peters, die sich allerdings nur für dieses Album zusammengefunden hat. Dazu Andreas Arlts zurückhaltendes, reifes und über alle Maßen virtuoses Gitarrenspiel. Hier wird miteinander musiziert, niemand spielt sich auf oder gar in den Vordergrund, alles wirkt rund, ist im Fluß, feiert die Originale – und ist diesen ebenbürtig. Der Rezensent zählt diese prächtige und stolze Platte schon jetzt zu seinen „All-Time Favorites“.

Achim Hennes

 

ANDREAS ARLT – All-Time Favorites


INGO BARZ & THOMAS GRAEHLERT
Wer sieht schon was dahinter ist

(Schnitterhof Verlag, Dorfstraße 25, 17179 Lühburg)
18 Tracks, 63:06, mit Texten

Annähernd 40 Jahre ist Ingo Barz aus Mecklenburg schon mit Liedern unterwegs. In der DDR konnte er nur im Rahmen der evangelischen Kirche auftreten, die Staatssicherheit bespitzelte und bedrohte ihn, nach der Wende wurde er freischaffender Liedermacher. Seine Lieder über Barlachplastiken, seine musikalischen Zeitreisen durch Europa und die geradezu dokumentarischen Alben auf denen er seine DDR-Songs und die staatlichen Reaktionen präsentierte, erweisen ihn als einen ebenso eigenständigen wie niveauvollen Liedermacher, der sich immer abseits gehalten hat und eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdiente. Seine neuen Lieder, diesmal mit Thomas Graehlert eingespielt, sind thematisch wieder breiter gestreut und haben einen etwas frischeren Klang. Satirisches, Hintersinniges, Politisches und Besinnliches wechseln sich ab und ergänzen sich. Mit den Jahreszeitenliedern greift er eine geradezu traditionelle lyrische Form auf und erweist sich als den Großen seiner Zunft ebenbürtig. Sein feines Sprachgefühl gibt den Texten sowohl Präzision als auch Leichtigkeit. Die Aufnahmen haben, den Umständen geschuldet, ein wenig den Charme des Unperfekten.

Rainer Katlewski

 

INGO BARZ & THOMAS GRAEHLERT – Wer sieht schon was dahinter ist


HILKE BILLERBECK
Trip to Ireland
String, Skin and some more

(Ergin Records, go! www.hilke-billerbeck.de )
15 Tracks, 50:22, mit engl. Infos

„Es gibt so viele Weisen, irische Musik zu spielen, wie es Leute gibt, die sie spielen“, wird Martin Hayes auf der Innenseite der Hülle zitiert. Hilke Billerbeck gehört zu den ruhigeren Interpretinnen irischer Musik. Die zumeist traditionellen oder von Komponisten wie Turlough O’Carrolan, Pascal Bournet, Tommy O’Sullivan, Piere Bensusan, Giles Le Bigot und Michael McGoldrick stammenden Marches, Airs, Slow Airs, Jigs, Slip Jigs, Hornpipes und Menuetts spielt sie auf einer klassischen, einer akustischen und einer Octave Gitarre und einem Bodhrán sowie anderer Percussion und ihren Stimmbändern mit etwas textlosem Gesang. Sie wird bei einigen Stücken von Julia Wetzel-Kagelmann auf der Flute, von Michael Lempelius (Liederjan, Palm & Lempelius) auf der Bouzouki und Mehmed Ergin auf einer weiteren Gitarre begleitet. Heraus kommt eine oft ruhige, aber auch rhythmische, hier und da an Renaissancemusik erinnernde, sehr filigrane, feine Musik. Fans von zum Beispiel Olav Sickmann werden dabei auf ihre Kosten kommen, auch wenn keine Whistle zum Einsatz kommt.

Michael A. Schmiedel

 

HILKE BILLERBECK – Trip to Ireland


DAANTJE & THE GOLDEN HANDWERK
Ach

(K&F Records 013/Broken Silence, go! www.daantje.de )
11 Tracks, 44:40

Klingt ziemlich nach Rio Reiser, der Gesang des Joachim Zimmermann alias Daantje & The Golden Handwerk. Bevor der Rezensent entschieden hat, ob ihn das eher stört oder erfreut, hat ihn der Stuttgarter Singer/Songwriter aber schon mit charmant unprätentiösen Texten und Melodien für sich eingenommen. „Ich brauch’ nicht viel Text / lalalalala / um das hier mitzuteilen / lalalala“, singt er gleich im ersten Song, „Nicht viel“. Viele Instrumente und viel Studiotechnik hat er bisher auch nicht gebraucht, seine bisher erschienen EPs sind sprödeste Low-Fi-Werke, doch diesmal gingen einige Hamburger aus dem Gisbert-zu-Knyphausen-Umfeld mit ihm ins Studio und das Ergebnis ist eine runde Sache. Opulent ist die Begleitung nicht ausgefallen, im Wesentlichen gibt es Schlagzeug, Bass, E-Gitarre und manchmal eine Geige oder ein Vibraphon zu Zimmermanns Akustikgitarre und Gesang zu hören, und so bleibt die Atmosphäre eher intim, was zu den entwaffnend persönlichen Liedern bestens passt. Musikalisch reicht das Spektrum von leicht holprigem Zydeco („Container“) über gezupfte Bluegrass-Balladen („Weiße Wände“) bis zu Rumpel-Rock („Meine BumBumBum Revolte“). An wen erinnert der Gesang noch mal? Egal.

Gunnar Geller

 

DAANTJE & THE GOLDEN HANDWERK – Ach


DIE BANDBREITE
Reflexion

(Lärmquelle Records, go! www.diebandbreite.de )
14 Tracks, 57:54, mit Infos

Marcel „Wojna“ Wojnarowicz und DJ Torben alias Die Bandbreite haben es nicht leicht. Ein Kritiker bescheinigt ihnen einen „Spagat zwischen reaktionärer Verschwörungsideologie, vermeintlich linken Standpunkten und Deutschland-Huldigung“. Radiosender haben ihre Songs aus dem Programm genommen, Veranstalter sie aus- oder gar nicht erst eingeladen. Dabei stellen die beiden erst einmal nur Fragen. Der Titel „Was ist los in diesem Land“ fasst sie alle zusammen: Warum ist Geld für Bankenrettungsaktionen vorhanden, aber nicht genug für Bildung? Wieso mordet die Bundeswehr in Afghanistan? Wie unabhängig sind die Medien? Wieso steigt das Bruttosozialprodukt, aber auch die Armut in Deutschland? Liederbestenliste-Juror und Folker-Herausgeber Mike Kamp meint dazu: „Genau das sollten Künstler tun, Fragen stellen, die Finger in Wunden legen, unbequem sein. Dazu bedarf es keiner geschliffenen Reime, das muss einfach raus.“ Im Eröffnungstrack lässt Die Bandbreite ihre Kritiker im O-Ton zu Wort kommen und entgegnet ihnen dann mit dem Lied „Lieber Veranstalter“ unter Bezug auf Voltaire: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“

Michael Kleff

 

DIE BANDBREITE – Reflexion


HAASE & BAND
Die besseren Zeiten

(SPV Recordings 309592 CD, go! www.haase-band.de )
11 Tracks, 45:11, mit zwei dt. Texten und Infos

Christian Haase ist ein Rocker, und sein fünftes Studioalbum liefert denn auch deftigen Rock ’n’ Roll, ohne Schnörkel, immer schön geradeaus, das wirkt ehrlich und glaubwürdig. Die Musiker, in der klassischen Besetzung Gitarre (René Schostak), Bass (Daniela Schwabe) und Schlagzeug (Tina Powileit) liefern den knackigen Hintergrund für Haases kehlig-rauen Gesang. Die Stimme immer ganz vorne, die Texte gut zu verstehen, und das ist auch nötig, denn nur zwei davon sind im schmalen Booklet nachzulesen. Die wiederum können in gewisser Weise stellvertretend für die übrigen stehen: „Mittendrin“ ist eine sympathische Standortbestimmung der Band („Wir sind nicht die Schönsten und wir sind nicht zu verachten / wir sind keine Clowns und nicht die, die niemals lachten“), wohingegen das Titelstück „Bessere Zeiten“ doch eher in die Rubrik „Gut gemeinte Küchenphilosophie“ fällt („Wenn dir die Lunge pfeift / pfeif Melodien / und wenn du wieder lieben willst / hast du schon verziehen“). Egal – Rocktexte sind selten schöne Literatur gewesen. Was zählt, ist die erfrischende Gradlinigkeit, mit der dieser junge Rocker auf jede marktgerechte Künstlichkeit verzichtet und unbeirrt seinen eigenen Weg geht.

Kai Engelke

 

HAASE & BAND – Die besseren Zeiten


CHRISTINA LUX FEAT. REENTKO
Playground

(Prudence 398.6770.2/BSC Music/Rough Trade Distribution, go! www.christinalux.de )
14 Tracks, 49:27

Wie lange braucht Christina Lux, um ihren Hörer zu verzaubern? Höchstens die Dauer eines Songs. Bereits beim ersten Stück „Forget you“ möchte man der Künstlerin seine Lebensversicherung abtreten. Die Gänsehautballade, nur vom filigranen Gitarrenspiel des Ausnahmemusikers Reentko begleitet, ist nur der Auftakt eines großartigen Albums. Gleich im nächsten Stück singt Christina Lux sämtliche Soulsängerinnen an die Wand, zeigt anschließend mit einer deutschen Ballade Silbermond und Konsorten, was einen wirklich guten Song ausmacht. Zwischendurch gibt es Ausflüge in den Alternate-Bereich oder Christina schreibt kurz einen Hit, der Tracy Chapman würdig wäre. Die Bilder, die in den Songs erzeugt werden, sind so stark, dass sie noch Stunden nachwirken, wobei sie immer mehr Wirkung entfalten. Dabei ist Playground nichts für Puristen. Zu viele Stile finden hier ein natürliches Zuhause. Das Album ist Pop und Folk, Jazz und Liedermacher, es ist Chanson und doch mit nichts vergleichbar, was vergleichbar große Gefühle erzeugt. Ein Spielplatz. Die Spiele, die die Künstlerin spielt, gehen unter die Haut, die spärliche Instrumentierung erzeugt eine Spannung, die kaum auszuhalten ist. Wunderbar!

Chris Elstrodt

 

CHRISTINA LUX FEAT. REENTKO – Playground


MI SOLAR
Havana Berlin

(Skycap/Rough Trade Distribution, go! www.misolar.de )
Promo-CD, 10 Tracks, 47:50

Die seit sieben Jahren bestehende Berliner Salsa-Band klingt auf ihrem zweiten Album angenehm ausgegoren, irgendwie angekommen. Seit 2010 agiert die Crew um die beeindruckend stimmgewaltige, charismatische Leadsängerin Mayelis Guyat aus Guantánamo, Kuba in neuer, hörbar gut funktionierender Konstellation. Jeder der zehn überwiegend eigenen Songs bewegt sich, zumeist von der Salsa beziehungsweise ihrer kubanischen Variante, der Timba, aus in andere stilistische Gefilde: mal gen Flamenco oder Samba, mal mehr gen Jazz, Latinpop oder HipHop. Auch ein Merengue und ein Bolero finden sich in der anregenden, kreativen und gut ausgetüftelten Mixtur, mit der sich Mi Solar von vielen deutschen Latinbands abhebt. Der Titeltrack, der auch inhaltlich eine Brücke zwischen Havanna und Berlin schlägt, wechselt hier und da raffiniert das Register zum Jazz. Unverkennbar auch in diesem souverän arrangierten Stück die Liebe der sieben Musiker zu Kubas Tanzcombo Nummer Eins, Los Van Van. Den Schlusspunkt des Albums bildet eine sympathisch eigene, gut tanzbare Spielart von „Chan Chan“, die einen die zahllosen unoriginellen Kopien vergessen lässt, die man von diesem Klassiker so kennt.

Katrin Wilke

 

MI SOLAR – Havana Berlin


REVEREND SCHULZZ & THE HOLY SERVICE
Hobo Submarine

(Cellarphon/United Power Fields UPF 00102/Cactus Rock Records, go! www.schulzz.com )
11 Tracks, 59:48

Vieles von dem, was in den letzten 20 Jahren unter dem Schlagwort Americana durch die Musikszene geisterte, erntete hierzulande deutlich größere Aufmerksamkeit und Zuwendung als in den USA. Bands wie Wilco, Hazeldine, die Brandos, aber auch geniale Eigenbrötler wie Will Oldham, Calvin Russell oder Rich Hopkins fanden bei uns eine treue Fangemeinde. Über die verfügt auch der Hanauer Sänger, Gitarrist und Songschreiber Dirk Schulz, der mit „Hobo Submarine“ sein inzwischen drittes Soloalbum unter seinem Künstlernamen Reverend Schulzz abgeliefert hat. Zusammen mit seiner Band The Holy Service und ein paar Gästen gibt uns der Reverend Einblicke in seinen persönlichen Song-Kosmos, in dem Figuren und Geschichten auftauchen, die man anderswo vergeblich sucht: Karussellholzpferde, die nicht vom Fleck kommen, Bonbondiebe im Haus, Leben im Daumenkino oder die heimliche Liebe zur Apothekergehilfin. Musikalisch bevorzugt Schulzz eher die zurückgenommenen Arrangements, wobei er es, darin seinem Freund und Mentor Rich Hopkins ähnelnd, gelegentlich auch mal richtig krachen lassen kann. So ist Hobo Submarine ganz sicher eins: das charmanteste Americana-Album, das jemals aus Hanau kam!

Walter Bast

 

REVEREND SCHULZZ & THE HOLY SERVICE – Hobo Submarine

Update vom
09.02.2023
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