FOLKER – Rezensionen

Besondere CDs


DIE BESONDERE – DEUTSCHLAND

JOANA
Ich staune bloß

(Wolkenstein CDJ 028, Mäule & Gosch, go! www.joana.de )
14 Tracks, 51:39, mit dt. Texten und Infos

JOANA

Natürlich gibt es inzwischen eine neue, sehr lebendige weibliche Liedermachergeneration; man denke nur an Anna Depenbusch, Dota Kehr, Uta Köbernick, Annett Kuhr oder Johanna Zeul. Aber ab Mitte der Neunzehnhundertsechzigerjahre, als man gerade erst wieder begann, anspruchsvolle deutsche Lieder zu schreiben und zu singen – da gab es, vielleicht mit Ausnahme von Ina Deter, eigentlich nur eine: Joana. Und sie ist noch immer da, lässt sich nicht unterkriegen, singt weiter an gegen Ignoranz und Dummheit, Spießertum und Engstirnigkeit. Sie tut das seit mehr als vier Jahrzehnten und zwar mit Tiefgang und Humor, mit Anspruch und ungebrochener Kraft. Ihre Sprachen sind ein geschliffenes Deutsch und der urige Dialekt ihrer Kurpfälzer Heimat. So auch auf ihrem aktuellen Album „Ich staune bloߓ. Die Bandbreite der Themen reicht vom vergessenen Handy über Probleme mit Staubsaugern und dem Älterwerden, bis hin zu der Wechselbeziehung zwischen Wellness und Kunst, es geht um einen geklauten Lodenmantel, einen lästigen Ohrwurm oder das vergnügliche Vorhaben, einfach mal einen Tag lang gar nichts zu tun. Joana betrachtet die Welt aber nicht nur im Detail, sondern ebenso in größeren Zusammenhängen, beispielsweise in dem Antikriegslied „Es geht alles vorüber“ oder in einer Neubearbeitung des „Bürgerlieds 1845/2010“. Das eindrucksvollste Lied des Albums ist sicherlich „Kein Traumparadies“, in dem es um ein Tabuthema, nämlich um Kindesmissbrauch geht. Joana begibt sich künstlerisch in die Abgründe unserer Gesellschaft – anklagend und aufwühlend, ohne jegliche vordergründige Effekthascherei, dafür intelligent und anrührend. Musikalisch unterstützt wird Joana von Musikerpersönlichkeiten wie Adax Dörsam und Bernd Grabinger sowie dem kürzlich verstorbenen Jean Pacalet. Joana ist und bleibt ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der deutschen Liederszene.

Kai Engelke

 

JOANA – Ich staune bloß


DIE BESONDERE – NORDAMERKA

DIVERSE
Texas Bohemia Revisited –
The Texas-Bohemian Maravian-German Bands

(Trikont US-0384/Indigo, go! www.trikont.de )
23 Tracks, 70:45, mit dt. und engl. Infos + DVD des Director’s Cuts des Dokumentarfilms Krasna Amerika plus weiteren 16 Bonustracks

Meinecke bei den Dreharbeiten

Die Globalisierung wurde zufälligerweise von einem deutschen Musiker beim Tanken in der texanischen Provinz entdeckt. Das war vor 18 Jahren, der Musiker hieß Thomas Meinecke, spielte bei der Münchner Kapelle FSK Gitarre und kam gerade vom SXSW-Festival in Austin, als er in Neu Ulm eine Gruppe älterer Einheimischer in einem merkwürdigen Idiom deutsch sprechen hörte: Texas-Deutsch, die Sprache deutscher Einwanderer des 19. Jahrhunderts.

Während Thomas Meinecke tanken fuhr, machte sich – ebenfalls nach dem Besuch bei SXSW – eine Gruppe von Berlinern auf den Weg nach New Braunfels, um dort zu den Klängen des amtierenden „Godfathers of Conjunto“, Santiago Jiménez Jr. mit 1000 spanisch sprechenden Tejanos zu tanzen, als dieser eine Polka aus der Feder seines Vaters, des großen Don Santiago Jiménez Sr. ankündigte. Sie spielten ... den „Schneewalzer“! Sehr eigen und sehr hispanisch, texanisch – aber immer noch eindeutig ... der Schneewalzer. Santiago Jr.’s Instrument, wie das seines Vaters und seines Bruders Flaco: das Akkordeon. Aber nicht irgendein Akkordeon, sondern ein Hohner aus Trossingen, Baden-Württemberg.

So hinterließen die Einwanderer ihre Spuren: Noch immer kann man seinen Führerschein in Texas außer auf Englisch und Spanisch auch auf Deutsch machen, und wenn Don Jimenez auf den Hochzeiten der Germans in New Ulm, New Braunfels, Fredericksburg und Comfort spielte, lernte er deren Melodien auf deren Instrument. So kreierte er ganz nebenbei eine Musik, die eine ganze Generation von Musikern in den USA beeinflussen sollte: Los Lobos und Wille Nelson, Doug Sahm und Butch Hanckock. Und noch immer heißt ein Akkordeon in San Antonio „a Hohner“.

Thomas Meinecke veröffentlichte die Musik, auf die er damals zufällig stieß, auf zwei Texas-Bohemia-Alben bei Trikont und löste damit eine kleine Welle aus. Mit Michael Schorrs Film Schultze gets the Blues mit dem grandiosen Horst Krause schwamm die wieder entdeckte Musik des US-amerikanischen Südens sogar bis in die Multiplex-Kinos. Die Berliner kehrten heim und gründeten die 17 Hippies.

2007 nun ist Thomas Meinecke wieder auf Spurensuche in Texas unterwegs gewesen, diesmal mit dem Filmemacher Peter Schubert. Wieder versammelte er die böhmisch-deutsche Musik auf einem Texas-Bohemia-Album zusammen. Es finden sich neue Titel der Shiner Hobo Band, etliche Feldaufnahmen, etwa der Praha Bros. und einer Jam Session in Moulton, und einige historische Aufnahmen wie der „Alamo Schottische“, die perfekt in jede Inszenierung des Oktoberfestklassikers Kasimir & Karoline passen würden.

Dazu gibt es Peter Schuberts sehenswerten Film Krasna Amerika, der dokumentiert was sich schon bei der ersten Reise vor 18 Jahren abzeichnete: Die Akteure sind in die Jahre gekommen – die Sprecher des Texasdeutschen ebenso wie die Musiker und ihre Hörer. Album und Film sind anrührende Zeugen eines langsamen Sterbens.

Christopher Blenkinsop

 

DIVERSE – Texas Bohemia Revisited

Update vom
09.02.2023
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