FOLKER – Rezensionen

Bücher über Woody Guthrie


WILL KAUFMAN
Woody Guthrie – American Radical

o.O. : University of Illinois Press
304 S.
ISBN 978-0252036026

Ich war im letzten Jahr an der Uni, als ich 1976 ein Exposé über Woody Guthrie für meine Abschlussarbeit einreichte. Wie ich von Woodys Witwe Marjorie erfahren sollte, gab es jedoch nur wenige bereits veröffentlichte Materialien, auf die ich mich hätte stützen können. Ich suchte mir schnell ein neues Thema für meine Arbeit. 1980 veröffentlichte Joe Klein seine ausgezeichnete Guthrie-Biografie, für die er als erster Woodys persönliche Aufzeichnungen heranziehen konnte. Dann stellte Ed Gray 1999 eine durch und durch umfassende Studie vor, die auf Materialien des Woody-Guthrie-Archivs beruht. Mit Woody Guthrie, American Radical verfolgt Will Kaufman jetzt einen ganz auf einen Aspekt fokussierten Ansatz, indem er Guthries Werk als das eines konsequenten Radikalen untersucht.

Kaufmans überzeugendes Portrait räumt auf mit der Fiktion, die ein zensiertes und entradikalisiertes Bild von Guthrie zeigt. Demnach blieb er pro-stalinistisch und pro-sowjetisch, selbst als die Radikalen ihre Sympathie für die Sache aufgaben und die Arbeiterbewegung auf dem Rückzug war. Kaufmans wichtigster Beitrag besteht nicht in seiner These, sondern darin, dass er eine detaillierte Darstellung von Guthries musikalischem und persönlichem Leben vor dem Hintergrund der Situation der Arbeiterbewegung, des Radikalismus und der amerikanischen Linken gibt, die sich zu Zeiten des New Deal auf einem Höhepunkt befanden. Dabei zeichnet er auf, wie Guthries im Populismus des späten 19. Jahrhunderts wurzelnder Radikalismus sich in der Zeit der Großen Depression und der Staubstürme weiterentwickelte und schließlich in den frühen 1950er Jahren mit der extremen Hysterie der McCarthy-Ära und den Folgen seiner Erkrankung an Huntington bittere Züge annahm. Guthrie war nie ein systematischer Theoretiker, der in linksintellektuellen Kreisen Reden schwang. Sein Engagement wurde jedoch von niemandem in Frage gestellt. Paradoxerweise wurde er noch vor seinem Tod 1967 für die Amerikaner zur „ungefährlich verdaubaren“ Person gemacht und seine radikale Hymne „This Land Is Your Land“ zur Lobeshymne auf Amerika reduziert.

Das Buch spricht Guthrie-Fans und -Forscher gleichzeitig an und ist ein wichtiger Meilenstein in der Guthrie-Forschung. Es fehlt jedoch immer noch eine Bewertung des möglichen Einflusses, den Guthries Krankheit auf sein Denken und Schreiben hatte. Auch seine musikalischen Einflüsse und Entwicklungen müssten einmal genauer untersucht werden. Mit Woody Guthrie, American Radikal hat uns Kaufman auf jeden Fall einen großen Schritt vorangebracht. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Autoren seinem Beispiel folgen.

Bucky Halker

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Delf Maria Hohmann

Bezug: go! www.press.uillinois.edu

 

WILL KAUFMAN – Woody Guthrie – American Radical


PARTINGTON, JOHN S. [Hrsg.]
The Life, Music and Thought of Woody Guthrie:
a critical appraisal

Farnham, Surrey : Ashgate, 2011
196 S. –(Ashgate Popular and Folk Music Series)
ISBN 978-0-7546-6955-5

In einer Sammlung von elf Essays beschäftigen sich Literatur- und Sprachwissenschaftler, Historiker, Journalisten und Ethnologen mit dem Phänomen Woody Guthrie und seinem nachhaltigen Einfluss auf die Populärkultur rund um den Globus. Dabei wird nicht nur seine Wirkung als Songschreiber und Interpret diskutiert und seine Art, Musik als Medium für sozialen und politischen Protest zu verwenden. Das Buch setzt sich auch mit Guthries literarischem Prosawerk auseinander. Die Autoren gehen unter anderem der Frage nach, welches die Quellen von Guthries andauernden kulturellen Werten sind, welches die Mythen und was die Realitäten seines Lebens waren.

Aus der Sicht von Jorge Arévalo Mateus, dem Kurator der Woody Guthrie Foundation and Archives, ist die Mischung aus Politik und Ästhetik, die sich wie ein roter Faden durch die überwiegende Mehrheit von Guthries künstlerischen Ausdrucksformen und dokumentarischen Artefakten zieht, nach wie vor Guthries größter und immer noch zu wenig anerkannter Beitrag zur „Folk“-Kultur. Arévalo Mateus hegt die Hoffnung, dass das vorliegende Werk den Beginn einer neuen Guthrie-Forschung markiere, die tiefer gehe und die verkrusteten Schichten früherer Untersuchungen durchbreche.

Das neue Portrait des Sängers ist in der Tat, wie es der Untertitel sagt, eine „kritische Würdigung“, die bekannte Legenden in Frage stellt und den bisherigen Erkenntnissen einige neue Dimensionen hinzufügt. Der erste Teil beschäftigt sich mit Guthries politischer Mehrdeutigkeit, seiner kommunistischen Rhetorik und seiner Unterstützung der Arbeiterklasse, während der zweite Teil sich mit seiner Ikonizität und seiner Identitätskonstruktion als „The American Hobo“ oder „Dust Bowl Balladeer“ auseinandersetzt. Schließlich geht es im dritten Teil um Guthries Beziehungen zu Zeitgenossen und um die Faszination, die er beispielsweise auf Alan Lomax ausübte, und – unvermeidbar – seinen Einfluss auf Bob Dylan.

Ein in jeder Hinsicht glänzendes Werk, spannend, überraschend und erhellend!

Ulrich Joosten

Bezug: go! www.ashgate.com

 

PARTINGTON, JOHN S. [Hrsg.] – The Life, Music and Thought of Woody Guthrie


MARTIN BUTLER
Voices of the Down and Out:
The Dust Bowl Migration and the Great Depression in the Songs of Woody Guthrie

Heidelberg : Winter, 2008
268 S. – (American Studies ; 153)
ISBN 978-3-8253-5367-4

Vorab muss gesagt werden, dass Butlers Buch eine mit „summa cum laude“ bewertete Dissertation ist, die auf der Auswertung von teilweise unveröffentlichtem Material im New Yorker Woody-Guthrie-Archiv basiert. Leider ist im Wissenschaftsbetrieb die Lesbarkeit kein Kriterium, das in die Bewertung einfließt. Daran sollte jeder denken, der Voices Of The Down And Out in die Hand nimmt. Doch auch wenn sich das Buch nicht einfach lesen lässt, so bietet es nicht nur für Guthrie-Fans, sondern für jeden, der an Musik- und Gesellschaftsgeschichte interessiert ist, einen großen Fundus an Informationen. Butler betrachtet Songs wie „Do Re Mi“, „The Dust Storm Disaster“ oder „So Long, It´s Been Good To Know Yuh“ vor dem Hintergrund einer der düstersten Perioden in der Geschichte der Vereinigten Staaten: der Großen Depression und der Migration infolge der verheerenden Staubstürme, die den Menschen in Arkansas, Oklahoma und Texas ihr Land und damit die Existenzgrundlage raubten. Guthries Songs sind demnach nicht nur detaillierte Beschreibungen der wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts sowie der damit verbundenen, oft tragischen menschlichen Schicksale. Sie erklären darüber hinaus, wer für die soziale und politische Situation in der damaligen Zeit verantwortlich war. Butler will aufzeigen, dass Guthrie nicht nur im Sinne einer Oral History als Zeitzeuge fungierte, sondern auch eine aktive Rolle einnahm. Mit seinen gesungenen Kommentaren leistete er einen Beitrag zum kulturellen und gesellschaftlichen Verständnis jener Phase der US-Geschichte. Diese Dissertation gewinnt vor dem Hintergrund der aktuellen Krise der Weltwirtschaft und dem möglichen Entstehen einer neuen weltweiten Protestbewegung eine zusätzliche Bedeutung: Im direkten historischen Vergleich liefert sie Argumente für die noch lange nicht abgeschlossene Debatte, inwieweit das „gesungene Wort“ Einfluss auf das soziale und politische Geschehen hat.

Michael Kleff

Bezug: www.innovativmedia.de/winter/deutsch/frame.htm

 

MARTIN BUTLER – Voices of the Down and Out

Update vom
09.02.2023
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