GASTSPIEL
Wenn Woody Guthrie heute in den Vereinigten Staaten unterwegs wäre, was würde er wohl über die Lage der amerikanischen Arbeiter denken, über die Gewerkschaften, die konzentrierte Macht des Kapitals und Occupy Wall Street? 1932, als er 20 Jahre alt war, wurde Guthrie nicht nur Zeuge der Sandstürme, die durch die Straßen der Kleinstadt Pampa in Texas fegten, sondern er erlebte sein Land auch in einer tiefgreifenden wirtschaftlichen Krise. Heute befindet es sich in einer ähnlichen Situation. 1932 und 2012 hatte und hat die Konzentration von Reichtum ungeahnte Ausmaße in den USA erreicht. 1932 gab es keine Sozialversicherung für die ältere Generation, keine Arbeitslosenversicherung, keine Essensmarken, keine soziale Krankenversicherung oder andere soziale Auffangnetze des Staates. Heute werden die als Ergebnis der massiven Unruhen der Dreißigerjahre hart erkämpften sozialen Errungenschaften torpediert. Damals erfuhren Guthrie und seine Landsleute, was Hunger bedeutete. Sie würden heute verwirrt auf übergewichtige Arme und schlanke Reiche schauen. Gleichzeitig aber würden sie ein weniger durch Rassen getrenntes Land, eine ethnisch buntere Gesellschaft vorfinden als vor achtzig Jahren.
Die organisierte Arbeiterschaft hatte es 1932 sehr schwer. Während des 1. Weltkriegs hatte sich eine erfolgreiche Gewerkschaftsbewegung etabliert, deren Mitgliederzahl jedoch schon in den Zwanzigerjahren wieder drastisch abnahm. Die Arbeitgeber verfolgten mit ihrem sogenannten American Plan eine Politik, die Verhandlungen mit Gewerkschaften ablehnte. Stattdessen boten sie unternehmensgesponserte Organisationen an, die, einhergehend mit Niedriglöhnen, Picknicke und Sportgruppen organisierten. Eine gesetzliche Anerkennung der organisierten Arbeiterschaft und ihrer Rechte gab es nicht. Gleichzeitig hatte die Gewerkschaftsbewegung interne Probleme. Der Dachverband American Federation of Labor (AFL) hatte die Facharbeiter organisiert, die Arbeiter der Massengüterindustrie waren jedoch nicht gewerkschaftlich zusammengeschlossen. Die radikaleren Gewerkschaftsgruppen wie die Industrial Workers of the World (IWW) 1935 bekamen die Gewerkschaften mit dem Wagner Act ihre Rechtsgrundlage und am Ende des 2. Weltkrieges war die Arbeiterschaft in der Stahl-, Auto-, Verkehrs-, Elektro-, und Fleischverarbeitungsindustrie weitgehend gewerkschaftlich organisiert. Spätestens zu Beginn der Siebzigerjahre ließ der Einfluss der Gewerkschaften nach. Fabriken schlossen oder verlegten ihre Produktion ins Ausland, die Mitgliedszahlen verringerten sich. 1981 kündigte Präsident Ronald Reagan den streikenden Fluglotsen der PATCO und gab damit der Unternehmenswelt grünes Licht zur Attacke auf die Gewerkschaften. Die Deregulierung der Wirtschaft zerstörte selbst gewerkschaftliche Bollwerke wie die International Brotherhood of Teamsters, die Gewerkschaft der Transportarbeiter. Zum landesweiten Niedergang der Gewerkschaften trug u. a. bei, dass man keine einheitliche Strategie bei der Debatte über die Reform des Gesundheitswesens fand und dass man den Einzelhandels- und Dienstleistungsbereich gewerkschaftlich nicht einheitlich organisieren konnte. Auch das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild der organisierten Arbeiterschaft ist wenig schmeichelhaft. Übersetzung aus dem Amerikanischen: Delf Hohmann ... mehr im Heft |
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