Aus is und går is und schåd is, daß wåhr is!
TSCHÜSS, BAYERNLAND
BIERMÖSL BLOSN
Trennung nach 35 Jahren
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SOLANGE ES DIE BIERMÖSL BLOSN GIBT, IST BAYERN NOCH NICHT VERLOREN, SCHRIEB
EINST DIE FRANKFURTER RUNDSCHAU. NUN WIRD ES ENG, NICHT NUR
FÜR DIE BAJUWAREN. AM 18. JANUAR 2012 IST SCHLUSS,
NACH 35 JAHREN. EIN HERBER VERLUST FÜR DAS POLITISCHE KABARETT UND FÜR DIE
BAYERISCHE VOLKSMUSIKKULTUR. FANS IM GESAMTEN DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM SIND IN
TRAUER VEREINT.
TEXT: ULRICH JOOSTEN
www.biermoesl-blosn.de
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AUSWAHLDISKOGRAFIE:
Wo samma (Mood Records, 1994)
Wellcome to Bavaria (Mood Records, 1998)
Unterbayern (Mood Records, 2003)
Jubiläum (mit Gerhard Polt; Kein & Aber Records, 2009)
DVDs:
Offener Vollzug (Kennen, 2007)
Plattln in Umtata - Mit der Biermösl Blosn in Afrika (Arthaus, 2008)
Respekt! 30 Jahre Gerhard Polt & Biermösl Blosn (Kennen, 2011)
BÜCHER:
Biermösl Blosn - Grüß Gott, mein Bayernland. Alle Lieder und Musikstücke (Kein & Aber, 2010)
Biermösl Blosn - Welcome to Bavaria. Ein Liederbuch für die Hosentasche (Kein und Aber 2011)
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Sie waren, so Annette Ramelsberger in der Süddeutschen Zeitung,
der Stachel im Fleisch der Obrigkeit, die anarchische Seele des Volkes und
haben die musikalische Enteignung des Begriffs Heimat durch die CSU Schritt für
Schritt, Lied für Lied rückgängig gemacht. An die zwanzig CDs, fünf DVDs und
zehn Liederbücher sind in diesen 35 Jahren entstanden. Fünf bayerische
Ministerpräsidenten haben sie in dieser Zeit derbleckt. Institutionen wie der
Bayerische Rundfunk, die Bayerische Landesbank und die Warsteiner Brauerei
wurden Ziel ihres Spottes, jedoch nie der liebe Gott. Dessen weltliche Vertreter
hingegen mit Wonne, wie der von ihnen als Alpen-Ayatollah bezeichnete frühere
Kardinal Joseph Ratzinger.
WIR SIND IN EINEM ALTER, IN DEM WIR NOCH EINIGE PROJEKTE REALISIEREN MÖCHTEN,
DIE BISHER IMMER ZURÜCKSTEHEN MUSSTEN.
Michael Well
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Um die bayerische Volksmusik derart gekonnt liebevoll mit anarchischem Humor zu
unterwandern, braucht es vor allem Kenntnis dieser Tradition. Die drei Brüder
aus Günzlhofen gehören zu einer Großfamilie mit fünfzehn musizierenden Kindern,
einer Art bayerischer Trapp-Familie, erinnert sich Michael Well, die schön
brav Stubenmusi gespielt habe.
Einer der Well-Sprösslinge jedoch entzündete eine Rebellion innerhalb dieser
Familienidylle. Hans Well studierte damals Pädagogik und Germanistik. Er
entdeckte den humoristischen bayerischen Volkssänger Fredl Fesl und beschloss,
es dem Barden gleichzutun, spielte etwa ein Jahr lang dessen Couplets, ehe er
seine Brüder Christoph (Stofferl) und Michael dazuholte. Er probierte sich
zunächst allein, dann zu zweit und dann zu dritt im Hörbacher Montagsbrettl aus,
ehe sie in (heute längst geschlossenen) legendären Münchener Clubs wie dem Muh
oder dem Song Parnasse im Unionsbräu reüssierten.
ANFANGS IST EINEM NUR DIE GRUPPE WICHTIG, ABER MIT DEM ALTER INTERESSIERT MAN SICH AUCH MEHR FüR SICH SELBER.
Stofferl Well
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Volksmusik mit Satire und politischen Aussagen zu koppeln war in den
Siebzigerjahren ein Novum. Die drei Burschen, die sich als Clique (bayerisch:
Blosn) nach dem Beeren- oder Biermoos in der Nähe ihres Heimatortes nennen,
kamen mit ihren rotzfrechen Dialekttexten beim Publikum gut an. Für die strengen
Sittenwächter des Bayerischen Rundfunks (BR) allerdings war ihr politisches
Engagement gegen die heilige bayerische Dreifaltigkeit aus Kirche, Staat und
Kapital schnell ein Stachel im Ohr. Dabei sorgte der BR selbst für breitere
Bekanntschaft der Gruppe. Versehentlich sendete das Bayerische Fernsehen 1979
ihre Version der Bayernhymne, in der sie den landwirtschaftlichen
Warenvermittler BayWa und die Zerstörung der Natur scharf kritisieren: Gott mit
dir, du Land der BayWa, / deutscher Dünger aus Phosphat / Über deinen weiten
Fluren / liegt Chemie von fruah bis spaat.... Es war der erste und für lange
Zeit letzte Auftritt im, laut Biermösl Blosn, öffentlich-rechtlichen
Privatsender. Die bayerische Landesregierung sorgte umgehend dafür, dass das
Trio fortan auf dem Index stand.
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Wellness aus Bavaria
Letztlich haben sie sich durchgesetzt: Links und rechts der Bühne prangt je ein
großes BR-Logo – nach jahrelangem Sendeboykott hat der Bayerische Rundfunk
doch noch seinen Frieden mit dem Bayerischen Kulturellen Störsender aus
Günzlhofen (Dieter Hildebrandt) gemacht. Umso schmerzlicher macht die
vorliegende DVD bewusst, was es künftig zumindest in dieser Form nicht mehr
geben wird: GERHARD POLT & BIERMÖSL BLOSN. Als Abschiedsgeschenk
für die Fans gibt es auf Respekt! 30 Jahre Gerhard Polt & Biermösl Blosn
(Kennen/Rough Trade Distribution, www.biermoesl-blosn.de
,
88:00 plus Bonusmaterial 58:45) brillantes Volksmusik- und Wortkabarett ohne
Abnutzungserscheinungen. Klassische Nummern mit aktualisiertem Text stehen
neben Instrumentalstücken, die die grandiose Musikalität der Brüder zeigen,allen
voran Stofferl Well als Michael Jackson der Bachtrompete oder an der
Konzertharfe. Das Spießertum aufspießen ist die Spezialität des Wortakrobaten
und Erzkomödianten Gerhard Polt, der gewohnt exzellent seine sanften Giftpfeile
verschießt und vor Abenteuerurlaubern in Australien ebenso wenig halt macht wie
vor bajuwarischen Europaskeptikern (Ein klares Ja zum Nein zu Europa!). Im
Bonusmaterial blicken Polt und die Well-Brüder auf 30 gemeinsame Jahre zurück,
zeigen rares Filmmaterial aus der Frühzeit der Gruppe wie den Auftritt in
Wackersdorf oder Ausschnitte von einem Auftritt mit den Toten Hosen – die
Biermösl Blosn sind Geschichte.
Es tröstet, dass die Einzelbestandteile weiter aktiv bleiben,
CHRISTOPH "STOFFERL" WELL zum Beispiel mit Ich küsse sie tausendmal,
und bin knall und fall: Ihr W.A. Mozart – Die Bäsle-Briefe gelesen von
Christoph Well (Kein & Aber Records, www.keinundaber.ch
,
26 Tracks, 79:34). Stofferl Well gibt dem alten jungen Sauschwanzeine kongeniale
Stimme. Gerade der Gegensatz von Genie und derbem Lausbub machen den Reiz aus.
Dazu spielt das Bäsle-Quartett – Musiker der Bayerischen Staatsoper,
der Münchner und Wiener Philharmoniker – auf Flöte, Violine, Viola
und Violoncello die berühmten Flötenquartette des Meisters: ein Hochgenuss.
Was die Brüder können, können wir WELLKÜREN lange! Haben sich die
Well-Schwestern Moni, Bärbi und Burgi, die Bangles aus Günzlhofen (Ringsgwandl),
vor 25 Jahren gesagt – und sind seitdem als Beste Schwestern
(Kennen/Rough Trade Distribution, CD 59:18 + DVD 64:00, www.wellkueren.de) auf
deutschen Bühnen unterwegs. Zum Jubiläum gibt es eine wunderbar aufgemachte
CD/DVD-Kombi mit dickem Booklet voller Fotos und Texte. Die Schwestern
präsentieren sich instrumental fast so vielseitig wie ihre Brüder, mal klingen
sie mit Harfe und Hackbrett wie das Vorzeige-Stubnmusi-Trio, mal geben sie als
schwermetallische Blasmusik-Combo richtig Zunder. Und ihr zunächst harmlos
scheinender Dialektgesang entpuppt sich als sarkastisch und scharf, mit
witzigen Texten, erfrischend respektlos und entlarvend, als höchst politische
Gesellschaftssatire aus weiblicher Sicht. Einziges Manko der CD: Die
Situationskomik auf der Bühne erschließt sich beim reinen Ton nicht immer. Das
zeigt die DVD: die Wellküren live auf der Bühne, dazu Filmaufnahmen von 1987
bis heute, Erinnerungen der Damen und Gastkommentare von Stofferl und Michael
Well. Eine würdiges Jubiläums-Paket.
Ulrich Joosten
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