Rezensionen DEUTSCHLAND
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CRYSTAL PASTURE
Geschichten von Habicht & Holunder
(Gänsefleisch Records, www.crystalpasture.de
)
13 Tracks, 44:57
Durchs hohe Gras laufen, am Bach liegen, zur Kirmes gehen, dann noch ein
Sommerausflug obendrauf: Ist denn das Leben auf dem Dorf nicht herrlich? Dazu
spielt die 13-köpfige Band aus Ostwestfalen die Musik. Ihre Welt steckt voller
ländlichem Freizeitspaß und sprühender Lebensfreude – nichts für
Stubenhocker. In die Schuhe und dann los!, lautet das Motto, wie in
Blankenfohr: Wir fahren abends in die Sonne / riechen morgens frisches Moos.
Das kündet von großer Naturverbundenheit und romantischer Sehnsucht, gepaart mit
heimlicher Dorfliebe wie im Ohrwurm Ein Treffen. Dazu ertönt ein Mix aus
Polka, Ska, Blasmusik, Punk und Pop. In Ferien bei Feddersens klingt das
zeitweise wie The Clashs London Calling, während an anderen Stellen Walzer und
Tango grüßen lassen. Die Texte von Sänger, Gitarrist und Akkordeonist Henning
Kreft funktionieren bestens im Kontext der Musik – trocken gelesen
schrammen sie nicht immer nur an der Peinlichkeit vorbei. Auch in puncto Gesang
bleibt bei ihm wie bei Sängerin Greta Schwekendiek Luft nach oben, wobei das
andererseits wieder eigenen Charme bekommt, der an NDW-Zeiten erinnert. Ein
beachtenswertes Debüt, auf jeden Fall.
Volker Dick
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RAINALD GREBE & DIE KAPELLE DER VERSÖHNUNG
Zurück zur Natur
(Versöhnungsrecords/Broken Silence CD 3972, www.rainaldgrebe.de
)
16 Tracks, 62:02, mit Texten
Tja, die Sache mit der Selbstverwirklichung. Gar nicht so einfach! Soll man eher
die Anonymität der Großstadt wählen oder das einfache Leben auf dem Land? Wenn
da bloß nicht all diese Dorfdeppen wären. Am schönsten wäre es, man hätte das
quirlige Leben einer Metropole in der Einsamkeit des Landlebens. In zwei
Theaterproduktionen hatten Rainald Grebe und die Kapelle der Versöhnung den
Klimawandel und die deutsche Fixierung auf Katastrophenszenarien (Leipzig, 2009)
und die Landromantik (Berlin, 2010) thematisiert, und aus Liedern dieser beiden
Programme wurde das vorliegende Album produziert. In der Tagesschau beginnen
spätestens nach der Hälfte der Sendezeit die Unfall- und Katastrophenmeldungen
– Waldsterben, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Überschwemmungen verbreiten
immer solch einen Weltuntergangsschauder, der den Problemen der Welt etwas
Endzeitliches verleiht. Dieses Muster greift Grebe nun satirisch auf, macht sich
in wunderbaren Liedern darüber lustig. Fein beobachtet und mit ernstem Duktus
zerlegt er ironisch die wohlmeinenden Schreckensbilder. Romantiker, übertriebene
Gutmenschen und die ökologischen Sinnsucher auf dem Egotrip werden genüsslich
durch den Biokakao gezogen.
Rainer Katlewski
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KARL-HEINZ HEYDECKE
Crossing The Bar
(Eigenverlag, kh.heydecke@gmx.de
)
Do-CD, 21 Tracks, 85:26, mit wenigen dt. Infos
Texte der großen britischen und irischen Dichter wie William Blake, Robert
Burns, William Butler Yeats und James Joyce wurden schon oft vertont, aber
sicher noch nie so wie hier. Der Komponist Karl-Heinz Heydecke wohnt – der
Nachname legt es nahe – an der Saale, wenn auch nicht in Rudolstadt,
sondern in Bad Neustadt. Er schreibt ins Beiheft, dass er die meisten der Lieder
vor über 35 Jahren vertonte, noch voll von jugendlicher Naivität und
Unbefangenheit nicht an Sentimentalität und Effekten sparend. Es entsteht indes
der Eindruck moderner, frischer, jazzig-poppig-folkiger Musik, die ein Easy
Listening genauso zulässt wie ein aufmerksames Lauschen auf die vielen
Zwischentöne. Leider gibt es keine Auskunft darüber, wer die vielen Instrumente
spielt, die Gitarre, das Cembalo, die Flöte, die Orgel und vieles mehr. Ist es
Heydecke selbst oder Joe Dietz? Gesungen werden die Lieder der insgesamt 17
Dichterinnen und Dichter, darunter auch Heydeckes Frau Sonja Ruf, von Anna
Menninger und Marc Arleth. Und es gibt – nochmals leider – auch
keine Texte zum Mitlesen. Es ist wirklich schade, dass bei einer Produktion
dieser Qualität am Booklet gespart wurde! Aber sehr, sehr hörenswert!
Michael A. Schmiedel
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MESINKE
Shabes Iz Far Ale
(artmode-records amr 22011, www.mesinke.de
)
17 Tracks, 73:09; mit jidd. Texten, teils dt. Übersetzungen u. teilw. Infos
Seit 1991 gibt es Mesinke (jidd. die jüngste Tochter), die sich hauptsächlich
im Raum Augsburg-Kaufbeuren-München bewegt und jetzt ihr fünftes Album
herausgebracht hat. Es ist ein Programmalbum zum Thema Schabbes, dem siebten
Tag der Woche, seit biblischen Urzeiten als Ruhetag definiert. Ob, so das
Beiblatt, Schabbathlieder tatsächlich überall dort gesungen werden, wo
jüdisches Leben praktiziert wird, mag ausdrücklich bezweifelt werden –
als ob man zeitgenössisches jüdisches Leben im mitteleuropäischen Raum auf die
Traditionen vergangener Jahrhunderte reduzieren wolle. Sehr gefällig sind vor
allem die mitreißenden, etwas temporeicheren Lieder des Sextetts, so etwa
Lubavitcher Nign, Hora I oder Mazl Tov. Im trägeren Bereich, wenn man
das so ausdrücken darf, erklingt es mitunter recht zäh, wie auch im Stimmbereich
nicht immer alle Töne von Martin Glogger (b), Jürgen Groß (g, acc, mandolin),
Nicole Hausmann (perc), Thilo Jörgl (g, dr), Alexander Maier (cl, sax) und Erika
Spievogel (perc) getroffen werden, in dem sich alle sechs Bandmitglieder üben.
Trotzdem weiter so – Langeweile kommt trotz dieser kleinen Mängel nämlich
auf jeden Fall keine auf.
Matti Goldschmidt
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SAXOFOURTE
Tango Affairs
(36 music/ Broken Silence, www.saxofourte.de
)
Promo-CD, 22 Tracks, 64:33
Was für eine Überraschung! Wer denkt, im Tango sei nun alles gesagt und auf der
sich noch immer überschlagenden Welle zwischen Klassik, Moderne und Kommerz wäre
bestenfalls noch das Fahrwasser zu wechseln, irrt. So puristisch wie poetisch,
so verspielt wie konzentriert, ja geradezu verdichtet nähert sich das Herrentrio
mit Dame dem Gedanken Tango – der bei Saxofourte gar nicht traurig ist,
sich vom taktsicheren Tänzer aber dennoch tanzen lässt. Zu spieltechnischer
Brillanz und den experimentierfreudigen Arrangements gesellt sich eine Art
musikalischer Neugier dieser vier Saxofonisten, die sich nicht nur selbst
genügen, sondern mit ihren Instrumenten quasi en passant
durch die Tangogeschichte inklusive aller großen traditionellen Orchester
spazieren. Klassiker wie El Choclo (Angel Villoldo) oder La Cumparsita
(Gerardo Matos Rodríguez) rahmen dabei sehr eigene Interpretationen von Astor
Piazolla ein. Hat man je so einen glasklaren Libertango gehört? Es ist die
schnörkellose Art, nach den Wurzeln des Tangos zu fragen, die bei diesem Album
besticht. Das Quartett fegt – oder besser: bläst – mit Bravour den
Staub der alten und neuen Klischees fort und lässt den Tango wieder atmen.
Cathrin Alisch
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SCHELPMEIER
Neues aus Bentrup
(Fuego 2192/Jaro Medien, www.schelpmeier.com
)
13 Tracks, 49:15, mit dt. Texten und Infos
Das aufwendig gestaltete Digipak wirkt auf den ersten Blick wie ein
schöngeistiges Hardcoverbuch. Das eingeklebte Booklet enthält nicht nur
sämtliche Texte in einer gut lesbaren Schriftgröße, sehr angenehm, sondern auch
ungewöhnlich opulent gestaltete Fotografien, die in ihrer Gestaltung an
altmeisterliche Malerei erinnern. Die oft von Melancholie und Wehmut getragenen
Liedtexte sind eher Geschichten als Gedichte. Da geht es um verbotene Liebe
(Das heimliche Paar), Erinnerungen an eine vergangene Zeit (Neues aus
Bentrup), die ganz normale Liebe (An so einem Tag) oder auch die
Verherrlichung eines Vollweibes (Natalie). Musikalisch geht es knackig zur
Sache. Die Stimme immer ganz vorne, die Instrumentierung wirkt handgemacht und
dadurch authentisch. Schelpmeier ist ein Allroundkünstler, ein Singer/Songwriter
mit einem ganz besonderen Anspruch, aber auch ein Rocker, wie er in Nachdurst
lustvoll unter Beweis stellt. Und ein begabter Fotograf ist er obendrein. Ein
Album zum Verschenken, aber noch lieber zum Behalten.
Kai Engelke
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KONSTANTIN WECKER
Wut und Zärtlichkeit
(Sturm & Klang S&K 009, Al!ve, www.wecker.de
)
Promo-CD, 14 Tracks, 62:54
Zwei, drei Takte genügen und du weißt: Aha – das ist Wecker! Doch im
Gegensatz zu den meisten seiner Liedermacherkollegen der alten Schule, bei
denen sich seit Jahrzehnten kaum etwas verändert, ist Wecker stets für
Überraschungen gut, hat er seinem Publikum inhaltlich wie musikalisch immer
wieder Unerwartetes zu bieten. Herrlich seine unkonventionelle Mixtur aus Reggae
und Rap bei Es gibt nichts Gutes, schön böse seine Satire im Song Die
Kanzlerin, absolut nachvollziehbar, seine Verachtung der Schickeria bei Damen
von der Kö, und nicht oft genug kann die Banken-Spekulanten-Diktatur an den
Pranger gestellt werden (Der Virus). Weltenbrand thematisiert eindrucksvoll
den Ursprung der Menschheit in Afrika. Zweierlei hat sich bei Konstantin Wecker
im Laufe der Jahre zum Glück tatsächlich nicht verändert: seine Lust, sich
kraftvoll einzumischen in gesellschaftspolitische Zustände und Geschehnisse, die
nicht in Ordnung sind (Empört euch!); und sein Bedürfnis, empfindsam zarte
Liebeslieder zu schreiben und zu singen. Insofern passt der Titel Wut und
Zärtlichkeit genau.
Kai Engelke
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FOLKER auf Papier
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