GASTSPIEL
So sind hier die Leute
Franz Josef Degenhardt zum Achtzigsten
VON THOMAS ROTHSCHILD*
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Für die Generation der Deutschen, die durch das, was man mit dem Kürzel 68
markiert, geprägt wurden, sind die Lieder Franz Josef Degenhardts ein
unauslöschlicher Teil der Biografie. Manche haben ihn zusammen mit ihren
Jugendidealen wegretuschiert zugunsten einer opportunistischen Anpassung, deren
Mechanismen sie bereits durchschaut hatten, als sie Degenhardts Texte zitierten,
die sie aber mit verblüffender Effizienz verdrängten, weil sie der Karriere und
der Rückkehr in die Ressentiments ihrer Herkunft im Wege standen.
Autoreninfo:
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* DR. THOMAS ROTHSCHILD, 1942 in Glasgow geboren, Studium der
Slavistik und Germanistik in Wien, Moskau und Prag, 1968-1971 Linguist,
1971-2007 Literaturwissenschaftler an der Universität Stuttgart. Publikationen
u. a. zum politischen Lied, zur Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, zu
Medienfragen. Umfangreiche journalistische Tätigkeit. Langjährige Mitwirkung in
der Jury der Liederbestenliste. Jüngste Buchveröffentlichung:
O Gerechtigkeit. Ein Essay über Verteilungsgerechtigkeit, Neid, Rache, Terror,
Kompromiss und die Sozialdemokratie, Promedia Verlag, Wien, 2010.
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Franz Josef Degenhardt gibt gesundheitlich bedingt keine Konzerte mehr. Aber im
Zeitalter der elektronischen Medien wäre das kein hinreichender Grund, aus der
Öffentlichkeit zu verschwinden. Wenn Degenhardt, der von den Rundfunkanstalten
ohnedies nie sonderlich verwöhnt wurde, nun fast vollends vergessen scheint,
wenn jüngere Menschen seinen Namen nicht mehr kennen, dann steht das in einem
größeren Zusammenhang, der die Person überschreitet.
In den Köpfen hat sich, offenbar unkorrigierbar, die Lebenslüge festgesetzt,
dass die Reichen und Mächtigen durch Leistung in ihre Position gelangt sind.
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Die Zeit sei über Degenhardt hinweggegangen, sagen die Klugscheißer. Wenn dem so
ist, spricht das gegen Degenhardt oder gegen die Zeit? Sehen wir uns einmal ein
paar alte Texte des Liedermachers an und messen wir sie an der Zeit, die
offenbar für manche, die einmal Genossen waren und heute nur noch Zeit-Genossen
sind, das Maß aller Dinge ist.
Schon auf seiner ersten LP, noch lange, ehe die Studenten und auch er selbst
sich radikalisiert, gegen den Mief der Adenauer-Zeit an den Hochschulen und
außerhalb aufbegehrt hatten, sang er von dem Liebespaar, das sich zwischen zwei
Straßenbahnen traf und sein Glück materiellen Begehrlichkeiten opferte. Es war
ein schlichtes Chanson, poetisch, ganz in der französischen Tradition. Der
beiläufige Vergleich der kurzen Namen mit Warenzeichen deutet mehr an, als er
ausspricht, wogegen sich die leise Kritik wendet: gegen eine
Gesellschaftsordnung, in der alles, auch der Mensch, zur Ware wird. Später hat
Degenhardt dieses Motiv sehr viel deutlicher, drastischer formuliert. Da heißt
es dann: In diesem Produktionsprozess wird zum Produkt, wer produziert.
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