FOLKER –

Exclusiv im Internet

AUF DER SUCHE NACH DEM HEILIGEN GRAL DER FOLKMUSIK

Ein Reisebericht voller Musik

TEXT: KLAUS ADAMASCHEK
FOTOS: ANGELIKA ADAMASCHEK

Songs als Spiegel
go! www.shiregreen.de

Mehr über die Reise gibt es hier zu sehen und zu hören:
Über hundert Artikel mit vielen Bildern bietet der Reiseblog
go! shiregreen.rtwblog.de
Hörproben und Videos zu den angesprochenen Songs gibt es unter
go! shiregreen.myownmusic.de/

Klaus Adamaschek leitet im Hauptberuf ein großes Umweltbildungszentrum. In seinem zweiten Leben hat er unter dem Künstlernamen Shiregreen bereits fünf Alben mit eigenen Songs veröffentlicht. Mit 50 fing er an, ein Sabbatical anzusparen, um dann mit 53 für acht Monate aus seinem Berufsleben aussteigen zu können. Sechs Monate davon reiste er mit seiner Frau Angelika durch den Westen der USA, um all die Orte zu sehen, die mit Träumen seiner Kindheit und Jugend und mit seiner Musik verknüpft sind, ohne dass er sie bisher jemals gesehen hätte: Los Angeles, Tucson, Albuquerque, Amarillo, den Colorado, die Rocky Mountains, Laramie, San Francisco, Mendocino und wie sie alle heißen. Er wollte dort seine Lieder spielen, neue schreiben und mit Musikern ins Gespräch kommen. Nicht als Tourist oder Journalist, sondern auf Augenhöhe, als Musiker. Sein Englisch lernte er nicht in der Schule, sondern am Plattenspieler Anfang der Siebzigerjahre von Kris Kristofferson, Gordon Lightfoot, Neil Young und Jim Croce. Über 25.000 Kilometer, 30 Nationalparks und 40 Auftritte hat er hinter sich gebracht. Dabei kam es zu Begegnungen mit Größen wie Guy Clark, Robert Earl Keen oder Rodney Crowell. Für den Folker hat Adamaschek seine Eindrücke im folgenden Tagebuch festgehalten.

10.9.2011: Jalama Beach, Southern California

This old highway goes on forever: Route 66 in Arizona

Große Lebensträume sollte man nicht zu lange aufheben, sonst ist es irgendwann zu spät.

Sechs Monate scheinen endlos lang, wenn sie vor einem liegen. Wenn sie nahezu vorbei sind, scheinen die Tage immer schneller zu vergehen. So geht es mir gerade, da wir im vom Sturm geschüttelten Wohnmobil am Jalama Beach in Südkalifornien sitzen und versuchen, all die Erinnerungen und Erlebnisse zu sichern. Und die ersten Zeilen für den Folker-Bericht zu schreiben: Es ist so viel passiert, was soll ich weglassen, wie soll ich anfangen? Am besten einfach von vorn …

Yes, I’m looking for some peace of mind
Let the wind blow through my sails
Don’t know what I’m gonna find
I’m following the trails, following the trails

(aus: Shiregreen – „Trails“)

29. März – 10. April: Los Angeles

Am 29. März kommen wir in Los Angeles an, und zunächst muss ein Wohnmobil her. Für sechs Monate ein RV zu leihen, ist unbezahlbar, also kaufen wir ein gebrauchtes. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Der Fleetwood Tioga bekommt den Beinamen Yogi, nach dem Bären aus der Trickfilmserie The Yogi Bear.

Und dann steht der erste Auftritt an, der erfahrungsgemäß immer der schwierigste ist. Zwar habe ich 2010 schon einige US-Auftritte an der Ostküste absolviert, unter anderem bei Arlo Guthrie in seiner kultigen Trinity Church in Great Barrington (ja genau, das ist die aus dem Film Alices Restaurant). Aber das war im Osten, und das sind ja noch halbe Europäer. Entsprechend groß ist die Aufregung vor meinem 45-Minuten-Auftritt im mittlerweile geschlossenen Sipology Café in Long Beach, als Opener für die regionale Indieband O’s And The Oculist. Doch die Feuertaufe gelingt.

Jeff Suri, der Frontman der Oculists, ist einer meiner Myspacekontakte. Auch er hat ein zweites Leben: Jeff ist Mediziner und Chemiker. Er entwickelt gerade eine unblutige Messmethode zur Blutzuckerbestimmung. Von Musik allein kann in den USA außer den ganz Großen wohl kaum jemand leben. Beim anschließenden Ausklang beim Mexikaner wettert Jeff über die Musikindustrie: „Die großen Verlage und Labels haben die regionale Musikszene aufgekauft und verdorren lassen. Es wird nur noch das produziert, was richtig Geld bringt …“

Apropos Myspace: Im Vorfeld hatte ich über 200 meiner Musikerfreunde (was immer „Freunde“ hier bedeutet) im Westen der USA angemailt und um Unterstützung für meine Tour gebeten. Immerhin 30 haben geantwortet und zum Teil wunderbare Kooperationen in Aussicht gestellt. Aber mit vielen davon ging es mir wie Jim Knopf mit Herrn Tur Tur, dem Scheinriesen. Wenn man näher kommt, werden Scheinriesen immer kleiner. Am Ende haben nur drei Myspacekontakte wirklich genützt, alles andere hat sich vor Ort entwickelt.

11. April – 2. Mai: Arizona und New Mexico

Der nächste längere Stopp ist die Wüstenstadt Tucson im Süden von Arizona. Via Internet hatte ich erfahren, dass es hier eine sehr aktive und unabhängige Songwriterszene geben sollte. Und gute Open-Mic-Veranstaltungen.

Open-Mics sind in den USA weit verbreitet und bieten auch für Durchreisende eine gute Möglichkeit, auf einer professionellen Bühne zu spielen. Der Ablauf ist meist ähnlich: Sechs bis acht Musiker teilen sich einen Abend, jeder darf ca. 15 bis 30 Minuten spielen. Bei gehobenen Open-Mics sind nur selbst geschriebene Songs zugelassen, „no covers!“. Ich spiele in Tucson im Café Tremolo, hier gibt es gute Bühnentechnik und einen versierten Moderator. Und als Lohn auch noch freie Getränke und einen Burger.

Perfekt auch für Neueinsteiger: Open Mic im Cafe Tremolo in Tucson/Arizona

Keinesfalls darf man das mit billigen Karaoke-Veranstaltungen verwechseln. Es ist erstaunlich, was für Songwriterjuwelen sich an diesen Abenden präsentieren, und was für billige Massenware demgegenüber im Radio läuft. Ich spiele später noch eine ganze Reihe Open-Mics, denn hier wird zugehört, und ich habe viele schöne Kontakte knüpfen können. Manche Städte unterstützen ihre Songwriter sehr aktiv. So wird in Flagstaff alle drei Monate eine kleine Open-Mic-CD produziert und dann auch über die Touristeninformation vertrieben. Prima Idee!

Podium für Songwriter der Region: Open Mic im Hotel Weatherford in Flagstaff/Arizona

Natürlich lassen wir auf unserer Rundreise auch kaum einen der vielen beeindruckenden Nationalparks aus. Die ersten Wochen verbringen wir in den Wüsten von Arizona und New Mexico und mit kleinen Eselsbrücken lerne ich alle fünf gängigen Kaktusarten zu unterscheiden. Es ist faszinierend, welch vielfältige und genial angepasste Lebensformen die Wüste hervorgebracht hat.

Auf dem Weg zum Organ Pipe Cactus-Park im Süden von Arizona verfahren wir uns und landen mitten im Reservat der Tohono O’odham-Indianer. Rückblickend war das wohl das bedrückendste Erlebnis unserer Reise. Über viele Meilen sind die Straßenränder voll mit leeren Bierdosen, Schnapsflaschen und mit hunderten Kreuzen für Unfallopfer. Wir machen uns über das Schicksal der Tohono-Indianer kundig. Dieser ehemals stolze Stamm hat viele hundert Jahre mit und von der Wüste gelebt, bis die Weißen ihm wortwörtlich das Wasser abgegraben haben. Hier erfüllen sich die Klischees aus den Songs von Townes van Zandt und Buffy Sainte-Marie.

Doch nur zwei Wochen später besuchen wir in Albuquerque das Gathering of Nations, das größte Powwow in Nordamerika, und lernen eine ganz andere und ermutigende Seite der Ureinwohner in den USA kennen. 3.000 von ihnen tanzen und singen drei Tage lang, pflegen ihre Traditionen und entwickeln gemeinsam Zukunftskonzepte. Acht Stunden lang verfolgen wir gebannt all die Grass-Dancer, Jingle-Dancer und Fancy-Dancer, darunter auch viele junge Menschen, und wir spüren, dass da doch eine Menge Leben drin ist.

Da ist noch viel Leben drin: Powwow in Albuquerque/New Mexico

In New Mexico folgen wir dann der legendären Route 66, doch von der ganzen Herrlichkeit ist außer tollen Fotomotiven nicht viel übrig geblieben. Durch den Ausbau des Highway-Systems wurden viele kleine Route-66-Orte vom Verkehrsstrom abgeschnitten, und nur ganz wenige haben es geschafft, sich zu behaupten. Die meisten sind heruntergekommen, mitunter auf dem Weg zur Geisterstadt. Nicht selten fragt man sich, ist das jetzt wirklich ein Museum oder nicht einfach nur ein durch ein „antique“-Schild getarnter Schrottplatz?

Eine dieser Städte ist Santa Rosa, und zu allem Überfluss gibt es an dem Tag unserer Ankunft zum ersten Mal seit Jahren einen eisigen Regen. „Some rain in Santa Rosa“, das klingt doch schon wie Musik … und ich schreibe meinen ersten neuen Song in den USA.

You sorry town in the dust
You’ve had your days but now they’re gone
Shadows of great times, hidden under rust
But still it’s worth a song
When it rains in Santa Rosa

(aus: Shiregreen – „Some Rain In Santa Rosa“)

3. Mai – 9. Mai: Texas und Kansas

Für Texas hatten wir uns einiges vorgenommen, u. a. Auftritte und Treffen mit Musikern in Austin. Dem steht aber ein riesiges Buschfeuer im Weg, das den Weg nach Austin blockiert. Zum anderen hatten die Vorkontakte wenig Mut gemacht. Austin ist ein musikalischer Moloch, und da interessiert die nette Geschichte vom Singer/Songwriter aus Germany, der nebenbei noch einen Bericht für den Folker schreibt, nun wirklich niemanden.

So verbringen wir noch einige Tage im Palo-Duro-Park südlich von Amarillo. Dort entsteht auch die Idee, für Freunde, Familie und Fans daheim Youtubevideos von meinen neuen Songs zu produzieren, eingespielt an authentisch-kultigen Orten. Für die zwei Palo-Duro-Videos müssen wir auf das Dach unseres Wohnmobils ausweichen, denn die wilden Truthähne lassen uns absolut keine Ruhe.

Dann heißt es bye-bye Texas, und wir biegen nach Norden ab, um einige Tage bei Freunden im heißen und staubigen Kansas zu verbringen. In ihrer Scheune wollen wir das Video zu „Out There On The Dusty Road“ aufnehmen, was aber von einer Klapperschlange sabotiert wird, die dort unter einem Holzstapel wohnt und wenig Sinn für gute Folkmusik beweist.

Shiregreen im Zwiegespräch mit dem Colorado

10. Mai – 5. Juli: Utah und Colorado

Das Herz des Colorado Plateaus sind die Staaten Utah und Colorado mit einer unvorstellbaren Dichte an Naturschönheiten. All die Canyons, all die Farben, all die bizarren Felsformationen. Mich haben die Naturschönheiten des Colorado Plateaus zutiefst berührt. Im Infofilm im Besucherzentrum des Zion Parks sagt ein alter Indianer: „There are songs in the murmur of the river“. Wir haben diese Musik sechs Wochen lang hören dürfen.

There’s a song in the murmur of the river
Running down the canyon for so long
Sometimes it’s falling dry for more than half a year
Then again so wild and so strong

(aus: Shiregreen – „There’s A Song“)

Die Auftritte bei den Open-Mics haben Mut gemacht, und ich bemühe mich um Konzerttermine. Nach dem Flop mit meinen Myspacekontakten habe ich meine Strategie mittlerweile geändert: In jeder Region gibt es einige „musikalische Macher“, und an die muss man herankommen. Bei der Suche helfen mir die Kulturredaktionen der lokalen Zeitungen. So ergeben sich kurzfristig drei Auftritte in Grand Junction und in Fort Collins, das fühlt sich schon richtig nach Tour an.

Die Konzerte waren ein guter Grund, mal wieder zum Friseur zu gehen. Also geht es am nächsten Tag spontan zu irgendeinem Friseur, wo ich mit Händen und Füßen versuche, die Friseuse zu bremsen: Die Haare sollen natürlich lang bleiben (Musiker eben!), also ganz vorsichtig. Chellyn sagt lediglich „do you trust me or not?“ und erzählt, dass sie jahrelang dem Drummer der Rockgruppe Whitesnake die Haare geschnitten hat. Daher wüsste sie, wie man „langhaarige alte Männer“ behandelt. Danke, Chellyn, das hat wirklich aufgebaut …

In Fort Collins in Colorado erlebe ich am 4. Juli dann auch meinen ersten Nationalfeiertag, an dem in den USA eine Art Ausnahmezustand herrscht. In Fort Collins bedeutet das vor allem Musik. Am historischen Avery House erleben wir einen klassischen Countrybarden und ein A-Cappella-Quartett im Barbershopstil. Überall wird mitgesungen und getanzt, alles ist um einige Grade lockerer als bei uns.

Folkmusik kennt keine Altersgrenzen: The Barbershoppers am 4. of July in Fort Collins/Colorado

Und abends im Stadtpark gibt es dann noch das Fort Collins Symphony Orchestra mit einem extrem relaxten Programm im Stil von Night Of The Proms. Die Palette reicht von einem Countrymedley über West Side Story bis zur unvermeidlichen Nationalhymne, gesungen vom Dirigenten selbst mit übergroßem Uncle-Sam-Hut auf dem Kopf. Für uns befremdlich, fürs hiesige Publikum ein absolutes Muss.

6. Juli – 27. Juli: Wyoming

„Komm, wir satteln die Pferde und reiten nach Laramie …“ Der Spruch stammt aus der Westernserie Am Fuß der Blauen Berge, die uns als Kinder jeden Sonntag vor den Schwarzweiß-Fernseher holte. Das war absoluter Kult, und Jess Harper (alias Robert Fuller) war einer der großen Helden meiner Kindheit. Ich glaube, ich habe damals sogar seinen Bravo-Starschnitt zusammen gebastelt.

When I was a little boy my father told me of the wild wild west
It was the story of Leatherstocking and Chingachgook I loved the best
We watched all the western movies, Rio Bravo, Rio Lobo, Rio Grande
In a technicolor landscape where a man could be a man.

(aus: Shiregreen – „Leatherstocking And Chingachgook“)

In Laramie entdeckt Angelika ein Schild „Thunderground-Studios“. Ich hatte schon lange daran gedacht, die neuen Songs irgendwo provisorisch einzuspielen. Studioleiter Dan Tinker ist sofort Feuer und Flamme und macht die Laramie Recordings von Shiregreen zu seiner eigenen Sache. Wir spielen die mittlerweile zwölf neuen Songs an zwei Nachmittagen akustisch ein, und die Festplatte in meinem Hinterkopf ist wieder frei.

Professor für Waldökologie und Musikverrückter Dan Tinker am Mischpult der Thunderground Studios

Auch Dan hat noch ein weiteres, ganz anderes Leben. Er ist Professor für Waldökologie an der Universität von Wyoming und forscht u. a. über den Zusammenhang von Waldbränden und Schädlingsbefall, in den USA wegen dem überall sichtbaren Kiefernsterben ein ganz aktuelles Thema. Dan organisiert gleich noch ein Open-air-Konzert im Alibi Pub in Laramie. Und er will uns 2012 in Deutschland besuchen.

Beflügelt von den Studioerfahrungen will ich auch gleich noch eine weitere Lücke schließen. Ich hatte mir vorgenommen, in den USA auch als Straßenmusiker aufzutreten. Also suchen wir uns beim Stadtfest in Laramie einen netten Platz aus, und ich lege einfach mal los … natürlich absolut unplugged, wie es sich für einen richtigen Straßenmusiker gehört.

Amerika ist unglaublich laut! Viele Amerikaner schwätzen in einem fort und das mit enormer Lautstärke, an jeder Straßenecke läuft Musik, und dann rollen noch mächtige Güterzüge mitten durch die Innenstädte. Die hiesigen Straßenmusiker drehen einfach ihre Verstärker auf. Aber darauf habe ich keine Lust. Kurzum, ich breche meinen Auftritt, heiser, aber erheitert, nach einer knappen Stunde ab.

Nach der musikalisch sehr intensiven Zeit in Laramie tauchen wir für eine gute Woche im Yellowstone Park ab, um umgeben von Geysiren und Wasserfällen, Weißkopfseeadlern und Büffeln wieder zur Ruhe zu kommen.

28. Juli – 17. August: Montana and Idaho

Nachdem es mit Austin, Texas, nicht geklappt hatte, schauten wir einfach mal, wo meine Wunsch-Gesprächspartner wie Guy Clark, Rodney Crowell und Robert Earl Keen im Sommer noch spielen. Und so sind wir auf die Folkfestivals in Idaho und Montana gestoßen, wo sich die älteren Outlaws der Countryszene im Sommer, wenn es in Texas unerträglich heiß ist, gerne ein paar Dollars dazu verdienen. Denn auch in Idaho und Montana gibt es richtige Cowboys mit Stetsons und jede Menge „ice cold beer“. Ich habe einfach bei vier Festivalveranstaltern angefragt, ob sie nicht noch einen Singer/Songwriter aus Germany brauchen können. Die Antworten sind überraschend positiv.

Von zwei großen Folkfestivals in Idaho kommt tatsächlich eine Zusage. Natürlich nicht als Hauptact, da steht die Besetzung schon ein Jahr vorher, aber immerhin im Rahmenprogramm. Das würde bedeuten, zwischen Größen wie Guy Clark oder Lyle Lovett vor mehreren Tausend Menschen zu spielen. Ich atme dreimal tief durch, überlege zwei Minuten und sage dann zu.

Da wir noch Karten für zwei weitere Festivals ergattern können, erleben wir innerhalb von drei Wochen eine enorme musikalische Vielfalt: alte Country-Songwriter-Haudegen wie Lyle Lovett, Guy Clark oder Jerry Jeff Walker, rockige Junge wie Reckless Kelly, Micky and the Motorcars oder Randy Rogers, klassische Folkensembles wie Rose’s Pawn-Shop oder Bearfoot und spannende Folkgrenzgänger wie The Greencards oder The Trishas.

Die Folkfestivals dauern zwei bis drei Tage und ziehen drei- bis fünftausend Zuschauer, die mit Campmobilen, VW-Bussen und Trailern anreisen. Die Veranstalter kümmern sich nicht nur um das Musikprogramm, sondern stellen auch einen Campingplatz und bieten ein rustikales Rahmenprogramm u. a. mit chilli cookoff, Streetdance und Wettsägen.

Immer noch voller Schaffenskraft - Gespräch mit der Country-Legende Robert Earl Keen

Die Motive der Veranstalter sind dabei ganz unterschiedlich: Dana DuGan vom Northern Rockies Folk Festival geht es neben dem Tourismus vor allem um die Förderung der regionalen Musikszene. Was von den Einnahmen übrig bleibt, fließt in Musikstipendien für junge regionale Musiker. Sarah Calhoun, Inhaberin der Hosen-Firma Red Ants Pants (nur für Frauen), will mit ihrem neuen Red Ants Pants Festival in White Sulphur Springs/Montana der arbeitenden Bevölkerung Danke sagen und ganz nebenbei sicher auch ein wenig für ihre tollen Hosen werben, von denen jetzt auch Angelika eine trägt.

Und Muzzie Braun als Urvater des Braun Brother Reunion Festival in Challis/Idaho will vor allem seine Familie zusammenführen und gemeinsam Spaß haben. Die jüngere Generation der Braun-Familie ist u. a. bei Reckless Kelly und Micky and the Motorcars vertreten. Der enorm symphatische Muzzie stattet uns kurzerhand mit einem Backstagepass aus.

Ist er wirklich so cool? Gespräch mit Folkrocker James McMurtry

Hinter der Bühne gibt es keine Hierarchien mehr, und so bekommen wir bei den Festivals völlig unkomplizierten Zugang zu all den Songwritergrößen, die wir ja eigentlich in Texas treffen wollten. Robert Earl Keen ist beseelt von seinem neuen Album Ready For Confetti, das für ihn sein bisher bestes ist. Ich denke, das geht jedem Musiker so und muss wohl auch so sein. James McMurtry darf ich bei seinem Rotwein-lastigen Aufwärmprogramm unterstützen. Ob James wirklich so cool ist, wie er sich gibt?

Besonders berührend ist das Treffen mit Guy Clark, dem es wirklich nicht gut geht. Es muss mit seinem Stock auf die Bühne, und sein Freund Verlon Thompson muss ihn musikalisch und textlich durch die Songs leiten. Ob er noch mal nach Deutschland kommen kann, ist unsicher: „Gerne, aber ich weiß nicht, ob die Kraft noch reicht“, so Guy Clark.

Ein großer Moment voller Wehmut: Guy Clark und Rodney Crowell live in White Sulphur Springs/Montana

Gleich zweimal treffen wir Rodney Crowell, der bei uns den tiefsten Eindruck hinterlassen hat. Rodney hat mit der Musikindustrie gebrochen, und heute macht der ehemalige Schwiegersohn von Johnny Cash nur noch das, was er selber will. Wer etwas über sein Aufwachsen in Houston und das Zusammenwirken von Musik und Vergangenheitsbewältigung erfahren will, dem sei seine bewegende Autobiografie Chinaberry Sidewalks empfohlen.

Von der großen Songwriterlegende Pinto Bennett will ich schließlich erfahren, was die Seele eines guten Songs ausmacht. „Der Song muss akustisch funktionieren und ins Innere treffen, nur mit Gitarre und Stimme. Erst dann kann man anfangen, den ganzen anderen Kram dazuzupacken.“ Das ist wohl wahr …

Was macht die Seele eines Songs? Backstagegespräch mit Songwriter-Legende Pinto Bennet

Und dann stehe ich selber bei zwei Festivals auf der Bühne, vier Songs (20 Minuten) in Hailey und ein langes Set (60 Minuten) in Ketchum, vor insgesamt über 2.500 Menschen. Der erste Song ist jeweils noch etwas wackelig, merkt aber in der Regel sowieso keiner. Danach viel Lob und spontane Einladungen zu weiteren Auftritten. Viele Amerikaner finden es spannend, ihr Land im Spiegel der Lieder eines europäischen Songwriters zu sehen.

Meine liebste Einladung war das Picking in the Park in Hailey, am Tag nach dem Northern Rockies Folk Festival. 30 gute Folkmusiker bilden einen großen Kreis und jammen einfach drauflos. In Deutschland fast unvorstellbar. Immer im Uhrzeigersinn darf jemand ein Lied vorschlagen, und dann wird das gemeinsam gespielt. Ich intoniere „Me and Bobby McGee“ und „Four Strong Winds“.

Und dann geht es gen Westen, wir folgen den historischen Trails der Siedler, die voller Träume von Glück und Freiheit nach Oregon gezogen sind, den Pfaden der Abenteurer, die dem Lockruf des Goldes nach Kalifornien gefolgt sind.

18. August – 29 September: Oregon und California

Nach fast fünf Monaten und 20.000 Kilometern auf Achse erreichen wir am 19. August den Pazifik, begrüßt von Pelikanen, Möwen und Seelöwen. Von nun an rückt die Suche nach den Resten des American Dream und der Hippieträume der Sechziger und Siebziger in den Mittelpunkt unserer Tour. Was ist aus der Hoffnung auf Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Liebe geworden, die die großen Siedlerzüge, aber auch den Summer Of Love, 1967, und die Folgejahre geprägt haben? Und die auch mich maßgeblich beeinflusst haben.

Nach einigen Tagen im Redwood Forest folgen wir der kurvigen und mitunter ziemlich nebligen Küstenstraße, dem Pacific Coast Highway, immer weiter südwärts. Natürlich schauen wir uns Mendocino an und hören dabei den alten Song des Sir Douglas Quintetts, der immer noch wundersam funktioniert. Aber beim Bummel durch die exklusiven Ateliers und teuren Läden will sich der richtige Groove dann doch nicht einstellen.

In San Francisco sind wir bei Beth Grossman zu Gast. Beth war eine der Künstlerinnen des großen Naturkunst-Festivals, das wir 2007 in Nordhessen veranstaltet haben. Beth wohnt mit ihrer Familie in Brisbane, einer Künstlermetropole direkt vor den Toren San Franciscos. Von dort aus können wir San Francisco per Linienbus erkunden.

Die meiste Zeit verbringen wir im Golden Gate Park und im Haight-Ashbury-Viertel, die beide durch die Flower-Power-Bewegung zu legendärer Berühmtheit gelangt sind. Kurz gesagt: viel Hippie-Geist haben wir nicht gefunden. Aber immerhin gibt es einen wunderbar sortierten Plattenladen (Amoeba-Music), tolle Graffiti, altehrwürdige viktorianische Häuser sowie „Love-Peace-Ice-Cream“ bei Ben & JerryŽs. In den Läden finden sich unzählige Tour-T-Shirts, vor allem von Grateful Dead, zumeist made in Taiwan. Und da gerade „Carry On“ von Crosby, Stills, Nash & Young läuft, frage ich den Verkäufer asiatischer Herkunft, ob er vielleicht auch ein altes Neil-Young-T-Shirt für mich hat: „Neil what?“ lautet die Antwort.

Natürlich treffen wir hier auch jede Menge ausgeflippter Typen, und es wird kräftig auf Plastikeimern getrommelt, aber irgendwie vermissen wir den politischen Hintergrund, das ernsthafte Anliegen.

There’s no more gold in the streets of California
No magic carpets flying through the sky
but a lotta life that we have found there
And Pacific waves they are passing by and by ...

(aus: Shiregreen – „There’s No More Gold In The Streets Of California“)

In Brisbane stand dann auch das letzte Shiregreen-Konzert an, diesmal ein Open-Air-Hauskonzert auf der Terrasse von Beth Grossman mit Blick über die San Francisco Bay. Hierbei lernen wir David Schooley kennen, einen der Aktivisten des Sommers der Liebe. David ist Mitautor des Buches Ten Years That Shook The City: San Francisco 1968-1978. Und auch sein Fazit ist eher ernüchternd. „Mit den Symbolen der Hippiekultur werden heute vor allem Geschäfte gemacht, und viele der Weggefährten von damals sind heute ziemlich angepasst.“

David hat seine eigenen Konsequenz gezogen: Er ist ein hoch engagierter, aber ziemlich einsamer Umweltaktivist und der personifizierte Beschützer des San Bruno Mountain. Er hat uns am nächsten Tag vier Stunden lang durch sein Reich geführt, und für uns ist David ein wahrer Mann der Berge.

Von San Francisco aus folgen wir weiter dem Highway 1, verbringen das Labour-Day-Wochenende in Monterey und finden am Jalama Beach in Südkalifornien den erhofften ruhigen und sonnigen Platz, um all die Eindrücke verarbeiten zu können.

Jalama Beach, Southern California – 14.9.2011

Abschied vom Manhattan-Beach-Pier in LA: Angelika und Klaus Adamaschek

Das halbe Jahr ist fast vorbei. Rückblickend kommt mir manches wie ein Traum vor. Auch sechs Monate waren noch viel zu kurz, aber immerhin haben wir im Land der indianischen Ureinwohner sechs Vollmonde erleben dürfen. Der Pink Moon, der Flower Moon, der Strawberry Moon, der Thunder Moon, der Sturgeon Moon und der Harvest Moon haben alle ihre ganz eigenen, intensiven Spuren bei uns hinterlassen. Diese Bezeichnungen gehen auf die indianischen Bezeichnungen für die jeweiligen Vollmonde von April bis September zurück.

Jetzt müssen wir noch unser Wohnmobil Yogi verkaufen, und dann geht es von Los Angeles zurück nach Deutschland. Es war eine unglaubliche Zeit, und vieles wird uns fehlen. Darunter auch die Nighthawks, eine seltsame Mischung aus Mauersegler und Eule, die uns fast jeden Abend besucht haben:

For six month on the open road, you, our love, and me
From the desert to the mountainside, from the mountains to the sea
Most of all these beauties we may never see again
But most of all I’ll miss the time when the nighthawks came.

(aus: Shiregreen – „When The Nighthawks Came“)

Für Januar 2012 ist das Toolhouse-Studio in Rotenburg gebucht, wo ich gemeinsam mit meiner Band all die neuen Songs einspielen werde. Die CD Trails soll ein musikalisches Reisetagebuch werden. Und damit wollen wir dann auch ein neues Konzertformat erproben, eine Mischung aus Liedern, Bildern und Geschichten. Angelika hat 20.000 tolle Fotos gemacht, das sollte reichen.

Klaus Adamaschek im klassischen Country-Style

Ist das große Abenteuer damit vorbei und der Lebenstraum erfüllt? Und wird der Rest für die 2025 anstehende Pensionierung aufgehoben? Das wäre schlimm.

Vielleicht sollten wir Yogi also doch nicht verkaufen, sondern bei unseren Freunden in Kansas in der Scheune zwischenparken, bei der Klapperschlange. Und dann im nächsten Sommer eine kleine Revival-Runde drehen? Oder vielleicht eine Tour mit Hauskonzerten durch den Westen Kanadas unternehmen?

Und die Haare? Hier halte ich es mit David Crosby: „I feel like letting my freak flag fly.“


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Update vom
09.02.2023
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