FOLKER – Rezensionen

Rezensionen DEUTSCHLAND


PAUL BARTSCH & BAND
Wolkenkuckucksheimerbauer

(Bluebird Café Berlin Records 11-0051, go! www.zirkustiger.de )
12 Tracks, 55:08, mit dt. Texten u. Infos

Paul Bartsch ist ein Poet und Rocker, ein Literaturwissenschaftler und Pädagoge, einer, der Fragen stellt und von dem der aufmerksame Zuhörer manchmal vielleicht sogar Hinweise für richtige Antworten erwarten kann. Etwas Kopfarbeit beim Hören ist aber schon angesagt. Die Texte sind direkt und klar, sie lassen Raum für eigene Gedanken, sind dabei aber frei von jeglicher Besserwisserei. Bartschs Stücke kommen stets zupackend, vorwärtstreibend, oft sogar etwas rau daher – Rock’n’Roll eben. Angenehm fällt auch die anspruchsvolle grafische Gestaltung des Albumcovers und -booklets ins Gewicht. Wahrscheinlich mag Paul Bartsch es nicht hören, aber zumindest musikalisch füllt er doch die Lücke, die Gerhard Gundermann hinterließ – auch wenn er im bürgerlichen Beruf nicht Baggerfahrer, sondern Geisteswissenschaftler ist. Ein Lückenbüßer ist Paul Bartsch deshalb aber noch lange nicht – er ist selbst ein Original.

Kai Engelke

 

PAUL BARTSCH & BAND – Wolkenkuckucksheimerbauer


ELECTRIC BALKAN JAZZ CLUB
Balkan Dogs

(Musique Estetica Records MER01/10/Galileo MC, go! www.electric-balkan-jazz-club.com )
12 Tracks, 46:48, mit knappen engl. Infos

Wo ist eigentlich Ferus Mustafov abgeblieben, der mazedonische Klarinettengott, der bei den „Heimatklängen – Odyssee“ 1994 das Berliner Tempodrom im Tiergarten eine knappe Woche lang rockte wie kaum ein Zweiter? Masar Asimov, ebenfalls gebürtiger Mazedonier, an Klarinette und Saxofon und Kostas Karagiozidis, Grieche von Herkunft, am Akkordeon, deren Spiel in Momenten die heiße Partysause des kleinen King Ferus sehr deutlich in Erinnerung ruft, ist nicht der geringste Trumpf des Neuners aus Mannheim – hierzulande zumindest ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Sehr überzeugend und ebenso mitreißend auch die Balkan-Brass-Party-Stücke – aber wenn die Jazz- und Lounge- und Easy-Listening-Ambitionen mit den Chefs Karagiozidis und Costas Simeonidis an den Electronics durchgehen, dann werden selbst Interpretationen von „A Night In Tunisia“ doch sehr schnell reichlich belanglos, läuft das Konzept ziemlich direkt gegen Null. Das bisschen Knöpfchengedrehe können viele – es sind die Kraft und die ansteckende Energie der bewährten Standards vom Balkan, mit der die Multikultitruppe aus Griechen, Mazedoniern, Serben, Rumänen und Deutschen der Konkurrenz ordentlich eins voraus hat.

Christian Beck

 

ELECTRIC BALKAN JAZZ CLUB – Balkan Dogs


MIGUEL IVEN
Flamenco Entre Amigos

(Galileo MC 047, go! www.miguel-iven.de )
11 Tracks, 44:30, mit dt., engl. u. span. Infos

Die „Seelenheimat“ des gebürtigen Hamburgers Miguel Iven muss Andalusien sein. Wie anders ist zu erklären, dass ein Gitarrist über die Freude am Fremden hinaus sein Leben ganz in den Dienst der Erforschung der Tradition eines Kulturkreises stellt, die der Allgemeinheit noch immer wenig vertraut ist – des Flamenco? Dabei geht es wohlgemerkt nicht um den weitverbreiteten leichtverdaulichen Rumba-Party-Crossover für Touristen. Hier hat sich ein großer Künstler die Seele des Flamenco erschlossen. Jahre in Andalusien, Leben unter Gitanos, die künstlerische Auseinandersetzung mit bedeutenden Persönlichkeiten des Flamencolebens – all das hat eine wichtige Stimme heranreifen lassen. Auf seiner neuesten Veröffentlichung hören wir Miguel Iven im Kreise von Freunden, allen voran Percussionist Conny Sommer, der auch für Aufnahme und Mix verantwortlich zeichnet. Mitglieder des Leipziger Gewandhausorchesters, aber auch ein Trio mit Sebastian Ude am Altsax und Sommer an den Tablas stecken ein weites, ungewöhnlich reiches klangliches Terrain ab. Die Anerkennung in der Wiege des Flamenco ist dem Wahlmünchener Iven längst zuteil geworden, beileibe keine Selbstverständlichkeit für einen „Ausländer“.

Rolf Beydemüller

 

MIGUEL IVEN – Flamenco Entre Amigos


UWE KAA
Danebenbenehmen

(Irievibrations Records IRIE037/Groove Attack, go! www.uwekaa.de )
13 Tracks, 52:01

Das geht schon mit dem Cover los: Ein Musiker, der wie ein Wilder auf seiner Gitarre herumspringt, bis nur noch ein armseliger Schrotthaufen übrig bleibt. Wie kann man sich nur so danebenbenehmen! Und auch noch frech dabei grinsen. Wenn man dann aber die CD in den Player schiebst, die fetten Bässe im Bauch spürt, der soulig-funkige Groove einen nicht länger ruhig auf seinem Sessel hocken lässt, der fröhlich hüpfende Reggae einfach gute Laune macht – obwohl es draußen schüttet wie blöd – dann hat man auch ganz plötzlich dieses Sommergrinsen im Gesicht. „Authentisch zu sein ist das Wichtigste“, sagt der Wahlmünchener Uwe Kaa, der sich mit Haut und Haar dem Reggae verschrieben hat. Er singt, rappt und textet auf Deutsch und das tut er so locker, so unverkrampft, dass es einfach okay ist, wenn er rappt: „Scheiß auf den Rest / der dich in Fächer presst / Sing aus Protest / und voller Brust / deinen eigenen Text.“ Ein Album, das die Welt ein kleines bisschen bunter macht.

Kai Engelke

 

UWE KAA – Danebenbenehmen


MATTHIAS KIESSLING
Helm ab zum Gebet!

(JMG Records 240766, go! www.infokies.de )
21 Tracks, 53:55, mit dt. Texten

Schon mit Wacholder sang Matthias Kießling traditionelle Lieder, die sich mit dem Schicksal von Soldaten beschäftigten, die als Kanonenfutter von den Herrschenden in Kriege geschickt wurden. Nun hat der Sänger und Multiinstrumentalist ein Konzeptalbum zum Thema vorgelegt, mit Musik und gesprochenen Texten – darunter die Friedhofssatzung der Stadt Cottbus und Ludwig Thomas „Der Krieg“. Neben eigenen Liedern gibt es neue Vertonungen historischer Texte, unter anderem von Erich Mühsam, Theodor Fontane und Karl Kraus. Und wenn es um Krieg und Frieden geht, darf auch Pete Seegers „Sag mir, wo die Blumen sind“ nicht fehlen. „Morgen geht’s nach Pakistan, am Freitag nach Brunei, / Und zwischendurch da retten wir noch schnell die Mongolei“, singt Kießling in „Hundert Mann und kein Befehl – Update 2010“. Kritik an Bundeswehr- und anderen Militäreinsätzen steht hier im Mittelpunkt wie in „Das Trauerspiel von Afghanistan“, „Ich bin Soldat und bin es mit Vergnügen“ oder „Patrone Bavariae“, einem Lied aus der Feder von Liederjans Jörg Ermisch. Thematisch ist Helm ab zum Gebet! hochaktuell. Musikalisch präsentiert sich Kießling mit seinen Mitspielern vielseitig, wenn auch Folkklänge dominieren.

Michael Kleff

 

MATTHIAS KIESSLING – Helm ab zum Gebet!


JENS KOMMNICK
Kommnick spielt Mey

(Odeon 50999 084860 2 8/EMI, go! www.jenskommnick.de )
15 Tracks, 50:14, mit Infos

Aus Jens Kommnicks Mitwirkung an Reinhard Meys letztem Album entspann sich ein Kontakt, der im gemeinsamen Auftritt bei Songs an einem Sommerabend 2011 sowie dem vorliegenden Tonträger kulminierte. Kommnick spielt Mey ist weniger Hommage als das Verweben der eigenen Historie mit der des anderen, war es doch Meys Livemitschnitt 20.00 Uhr, der den jungen Kommnick zum Erlernen der Gitarre anregte. Die ausgewählten Stücke stammen aus allen Schaffensperioden des Liedermachers. Und keine Umsetzung, die nicht gelungen wäre. Mit seinem versierten, filigranenGitarrenspiel erfindet Kommnick Mey nicht neu, verleiht den Liedern durch einfühlsame Arrangements und eigene Zugaben aber eine neue Dimension, die gleichzeitig deren Wiedererkennungswert beibehält: hier ein Vorspiel, dort ein wiederkehrendes Thema, eine andere Instrumentierung; „Frühlingslied“ überrascht mit barockem Streichquartett, „Ein Stück Musik von Hand gemacht“ mit Uilleann Pipes, Mandoline und Bouzouki. Die größte Leistung vielleicht: Die Stücke klingen sowohl nach Jens Kommnick als auch nach Reinhard Mey. Wer denkt, textlastige Liedermacherwerke würden ohne Worte nicht funktionieren, darf sich hier eines Besseren belehren lassen.

Stefan Backes

 

JENS KOMMNICK – Kommnick spielt Mey


SEBASTIAN KRÄMER
Akademie der Sehnsucht

(Reptiphon REP030/Brocken Silence, go! www.sebastian-kraemer.de )
Do-CD, 27 Tracks, 118:03, mit Texten

Vor dreizehn Jahren hat der Schreiber dieser Zeilen in der Berliner Scheinbar, einer klitzekleinen Offenen Bühne in der Schöneberger Monumentenstraße, zum ersten Mal einen eher unauffälligen jungen Mann am Klavier gehört, dessen schwarzer und hintergründiger Humor aufhorchen ließ. Inzwischen hat der – unter anderem – sowohl Auszeichnungen für seine Chansons erhalten (Deutscher Kleinkunstpreis 2009), als auch nationale Poetry-Slam-Wettbewerbe gewonnen (2003, 2011), was belegt, wie vielseitig sein Wirken ist. Obwohl Sebastian Krämer inzwischen künstlerischer Leiter am Zebrano-Theater in Berlin-Friedrichshain ist, hat er der Scheinbar in seinem neuen Programm einen Song gewidmet, eine Liebeserklärung an einen kleinen unscheinbaren Ort voller Atmosphäre, an dem man seine Programme ausprobieren kann. Doch neben solch sentimentalen Anwandlungen finden sich bei ihm auch wieder die wortwitzigen, die kritischen, die hinterlistigen, die menschlichen, die boshaften und die politischen Töne. Die beiden CDs, eine Studioaufnahme mit Orchester und eine Liveaufnahme aus dem Kom(m)ödchen, erfreuen sowohl textlich als auch musikalisch – geistreiche Unterhaltung vom Feinsten.

Rainer Katlewski

 

SEBASTIAN KRÄMER – Akademie der Sehnsucht


LÜÜL
Tourkoller

(Made in Germany M.I.G. Music MIG 00562/Intergroove, go! www.luul.de )
Promo-CD, 13 Tracks, 51:48

Wer viel herumkommt, hat auch viel zu erzählen. Als Banjospieler der 17 Hippies, aber nicht nur als solcher, hat Lüül mehr als die halbe Welt bereist, und davon – „Von Orten und Menschen“, so der Untertitel seines neuen Soloalbums – handeln seine aktuellen Lieder. Mit rauer Stimme singt und erzählt Lüül von wilden Weibern („Sie war Tarzan, ich war Jane“), herumstrolchenden entlaufenen Häftlingen („Nachts in Marokko“), abgedrehten Festen (Fredy Siegs „Hochzeit bei Zickenschulze“) und natürlich Liebeskummer („Stiller Schmerz“). Stillstand gibt es bei Lüül nicht, er ist immer unterwegs. Auf seiner vielfältigen musikalischen Reise lässt er sich textlich zuweilen auch von Künstlern aus ferneren Zeiten begleiten, außer dem erwähnten Fredy Sieg zum Beispiel von Erich Mühsam („Weiter, immer weiter“) oder Klabund („Du wanderst deinen kleinen Weg alleine“). Akustische, elektrisch verstärkte und elektronische Instrumente sind zu hören, ein breites Instrumentarium, dennoch wirkt nichts überladen, alles passt zueinander. Mal geht es melancholisch-nachdenklich zu, dann wieder sehr kraft- und schwungvoll, auch Selbstironie und Witz haben ihren Platz. Ein Album, das Spaß macht und gut tut.

Kai Engelke

 

LÜÜL – Tourkoller


KATHARINE MEHRLING
Am Rande der Nacht

(Monopol Records M 5379/DA Music, go! www.katharine-mehrling.com )
Promo-CD, 13 Tracks, 44:38, ohne Texte u. Infos

„Es gibt Gedanken, die man nur spät nachts zulässt, Worte, die man nur nachts ausspricht, Dinge, die man nur nachts tut. In dieser Zwischenwelt – wo alles passieren kann, aber nichts muss – fühle ich mich zu Hause“, sagt Katherine Mehrling. Ihre Lieder, stilistisch angesiedelt irgendwo zwischen Chanson, Jazz, Swing und Blues, sind in der Tat wie flüchtige Nachtbargespräche, kleine Botschaften, dem Zuhörer leise ins Ohr geflüstert. Die stimmigen Texte stammen von Mehrling selbst, die anspruchsvollen Kompositionen größtenteils vom renommierten Jazzklarinettisten Rolf Kühn, mit dem sie gemeinsam auftritt und der das Album auch produzierte.

 

KATHARINE MEHRLING – Am Rande der Nacht


BETTY QUAST
Laurins Garten

(Eigenverlag, go! www.bettyquast.wordpress.com )
12 Tracks, 45:21, mit dt.Texten

Alpenfolk – so nennt die Münchener Liedermacherin Betty Quast ihre selbst geschriebenen Balladen. Ihr Debütalbum zeigt Stärken und Schwächen. Quasts größte Qualitäten sind ihre Stimme und die Melodien. Die Sorgfalt, die sie auf den Song „Traum“ verwandt hat, wünscht man sich für das ganze Album: Geige und Gesang passen wunderbar zur Gitarre, das Arrangement wirkt durchdacht. Auch das zweistimmige Singen wie in „Die Zeit der Rosen“ lässt aufhorchen, nur die langweilige, abwechslungsarme Gitarrenbegleitung nervt. „Und komme ich nach Südtirol“, mit stark an die „Drei Grafen“ angelehnter Melodie, ist nah am Folk. „In der Ebene“ wirkt wie ein interessantes Bruchstück, das nicht zu Ende geschrieben wurde; aus dieser langen Reise von den Bergen zum Meer lässt sich textlich und musikalisch viel mehr herausarbeiten. So aber wirkt es nur wie ein bemühter Übergang zu den beiden überflüssigen, mit Textkitsch – „Am Grunde des Meeres liegt mein Herz begraben“ – beladenen Seemannsliedern. Ganz schlimm ist „1525“: sieben Minuten endlose Balladenstrophen mit angestrengter Polemik zu eintöniger Melodie und schrammelnder Gitarre. Schade – aus dem interessanten Material wäre mehr herauszuholen gewesen.

Piet Pollack

 

BETTY QUAST – Laurins Garten


HANS-ECKARDT WENZEL
Seit ich am Meer bin

(WE 12/Matrosenblau matrosenblau//15/Indigo, go! www.wenzel-im-netz.de )
Do-CD, 43 Tracks, 83:58

In Wenzels frühen Liedprogrammen spielten auch Gedichte eine Rolle. Nun hat er mit einem Hörbuch – 15 Songs und 28 Gedichte – diese Form wiederentdeckt. Das gesamte Doppelalbum strahlt entspannte Poesie aus: Brandung und Alleen, Sommer, Nebel, Reif und Wind in stimmungsvollen Bildern. Manche Zeilen sind wahre Aphorismen: „Immer feiern wir Jahrestage. Einfache Tage reichen nicht. Ein bisschen Ewigkeit muss sein.“ Eindringlich wird die Endlichkeit unseres Sein beschrieben: „Mir war misslungen, früh zu sterben … nun trage ich die Last der Jahre“ oder „Sinnlos drehen Sensen ihre Runde“. Allen zwölf Monaten widmete er je einen Titel. Es gibt viel Sinnbildhaftes wie von den Kindern, die im Wald Pilze suchen und Kriegsgut finden. Oder von Reisen in ferne Länder, wo einem das Elend dieser Welt begegnet. Bitterböse der Song „In meiner Stadt sind jetzt die Barbaren“ über Neureiche im Berliner Prenzelberg. Alle Instrumente spielt Wenzel selbst, leise Töne für kraftvolle Zeilen. Die Textabdrucke allerdings sucht man vergeblich. Dazu muss man sich das gleichnamige Buch kaufen, was aber ausdrücklich empfohlen werden kann.

Reinhard „Pfeffi“ Ständer

 

HANS-ECKARDT WENZEL – Seit ich am Meer bin

Update vom
09.02.2023
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