FOLKER – Rezensionen

Rezensionen EUROPA


BELLOWHEAD
Hedonism

(Navigator NAVIGATOR042/Rough Trade, go! www.bellowhead.co.uk )
11 Tracks, 48:49

Die englische Folk-Bigband Bellowhead neigt zu musikalischen Burlesken. Das ist in der Szene bekannt und macht sie ziemlich einzigartig. Doch mit ihrer aktuellen Veröffentlichung gehen die zehn Herren plus eine Dame noch einen entscheidenden Schritt weiter. Oder gar zu weit, darüber kann man geteilter Meinung sein. Bellowhead produzieren auf Hedonism in etwa das folkloristische Pedant zu wagnerianischen Klängen! Schräg und verrückt wäre quasi die Minimalanforderung, doch vor allem Bläser und Percussion machen den Klang der traditionellen Stücke groß, laut, muskulös – mit eingebautem Hang zur Übertreibung. Umwerfend im wahrsten Sinne des Wortes. Spätestens beim einzigen nicht-traditionellen Stück, Jaques Brels „Amsterdam“, geht dieses Konzept mit Schmackes in die Hose. Dazu ein optisch opulentes Beiheft mit minimalem Informationsgehalt – das alles kann man gut finden, muss man aber nicht.

Mike Kamp

 

BELLOWHEAD – Hedonism


BLOWZABELLA
Dance

(Blowzabella, go! www.blowzabella.com )
13 Tracks, 65:28, mit engl. Infos

EVENING STAR
One

(Eigenverlag EVENINGSTAR1, go! www.evening-star.eu )
13 Tracks, 53:38

ANGLES
Angles

(Eigenverlag ACD001 go! www.anglesmusic.co.uk )
14 Tracks, 57:41, mit engl. Infos

Es war eine kleine Sensation, als Blowzabella 2007 mit Gregory Jolivet an der Altdrehleier als Nachfolger für Nigel Eaton das Comebackalbum Octomento veröffentlichten. Auf Dance spielen sie nun ein „Best of Blowzabella“ und klingen dabei recht konventionell und im Gegensatz zur letzten Studioproduktion auch nicht sonderlich dynamisch. Das mag der Aufnahme unter erschwerten Livebedingungen geschuldet sein, nichtsdestotrotz ist es ein virtuos musiziertes, abwechslungsreich arrangiertes Album.

Blowzabella-Dudelsacker und -Saxofonist Paul James mit seiner Affinität zu genreübergreifenden Fusionen und seinem Hang zur Popmusik ist Initiator der Gruppe Evening Star: sechs renommierte Musikern aus der Creme der europäischen Bal-Folk- und Weltmusikszene. Neben James selbst ist mit Patrick Bouffard einer der französischen Drehleierstars mit von der Partie, hinzu kommen Luke Daniels am Knopfakkordeon und Percussionist Gigi Biolcati (Ricardo Tesis Banditalia). Zusammen mit dem Spanier Carlos Beceiro (La Musgaña) an diversen Saiteninstrumenten und Victor Nicholls an Bass und Gitarren liefern sie eine hochvirtuose, teils sehr experimentelle, selbst komponierte elektrifizierte Eurofolk-Tanzmusik mit Weltmusik- und Jazzeinflüssen. Leider wird man den Verdacht nicht los, dass die Musiker nie zusammen im Studio standen, weil die Musik oft eher nach virtuosem Neben- als Miteinander klingt.

Angles sind der ehemalige Blowzabella-Drehleierspieler Cliff „The Man In The Brown Hat“ Stapleton und Chris Walshaw an den Dudelsäcken und Flöten – beide noch von The Duellists in bester Erinnerung – sowie Richard Jones am chromatischen Akkordeon. Das Trio zeigt, dass weniger oft mehr ist. Sie haben ihre selbst komponierte musique trad mit viel Drive im Heimstudio live eingespielt und mit nur wenigen Overdubs versehen. Walzer, Mazurkas, Schottische und mehr wurden in sehr transparentem Klang aufgenommen, die Arrangements lassen die Schönheit der Kompositionen und der verschiedenen Instrumentenstimmen besonders gut zur Geltung kommen. Die Stücke werden zwar virtuos, aber jeweils auch recht lang gespielt, gelegentlich bis an die Nervgrenze des Nur-Hörers, während die Tänzer sich freuen werden, dass man ausgiebig dazu schwofen kann.

Ulrich Joosten

 

BLOWZABELLA – Dance

EVENING STAR – One

ANGLES – Angles


CANZONIERE GRECANICO SALENTINO
Focu D’Amore

(Ponderosa Music & Art CD 076, go! www.canzonieregrecanicosalentino.net )
13 Tracks, 61:43, mit Texten, ital. u. engl. Infos

36 Jahre und 16 Alben lang ist der canzoniere schon in Sachen Neubelebung der musikalischen Tradition von Salento aktiv. Seit 2007 leitet Rino Durante das Ensemble. Der Violinist und Tamburista stand schon mit 14 Jahren neben seinem Vater mit dem Ensemble auf der Bühne. Für Focu D’Amore nahm die heutige Generation der Gruppe 13 ihrer bekanntesten Lieder neu auf. Schnelle Pizzica-Pizzica-Stücke kontrastieren mit getragenen Balladen. Besonders schön ist „La Furesta“. Eine langsame, jazzige Basslinie eröffnet das Stück, eindringlich setzt der Gesang von Maria Mazzotta ein, dann nimmt das Cello einen Dialog mit der Sängerin auf. Nach und nach setzen Percussion, Geige, Trompete und Gitarre ein. Der Einsatz der Blasinstrumente verleiht den Stücken oft einen Volksfestcharakter. Die klugen, fein herausgearbeiteten Arrangements und eine Vielzahl von akustischen Instrumenten schaffen Spannung und Abwechslung. Focu D’Amore ist ein Fest der Sinne, man möchte ein Tänzchen wagen – auf einem Dorfplatz in Salento, wohlverstanden.

Martin Steiner

 

CANZONIERE GRECANICO SALENTINO – Focu D’Amore


GUIDEWIRES
II

(Eigenproduktion GWMCD 002, go! www.guidewiresmusic.com )
13 Tracks, 52:35, mit Infos

Die Guidewires haben bereits mit ihrer ersten Veröffentlichung – einem Livemitschnitt – zu punkten verstanden. Auf dem vorliegenden Studioalbum haben sie ihre rasanten und frisch klingenden Arrangements moderner irischer Tunes in kongenialer Weise weiterentwickelt. Das grandiose, geschmeidige und „vollmundige“ Spiel der drei Leadinstrumente Fiddle (Tola Custy), Konzertina (Padraig Rynne) und Flute (Sylvain Barou, der außerdem Uilleann Pipes und Low Whistle beisteuert) steht in der Irish-Trad-Szene sicher ganz oben, auf Augenhöhe mit Lúnasa, um ein Beispiel zu nennen. Verspielt greifen die drei häufig Begleitstimmen und rhythmische Einwürfe auf, die musikalische Würzmischung ist in jedem Fall „scharf“. Kongenial agieren Begleitmusiker Paul McSherry an Gitarre und Karol Lynch an Bouzouki und Mandoline. Ein geradezu infektiöser Groove ist die Folge, der sich stringent durch die Vielzahl von eigenwilligen, oft eigenen Kompositionen sowie die gerade- und ungeradetaktigen Rhythmen der Aufnahme zieht, die weit mehr beinhaltet als „nur“ Jigs und Reels. Die Füße hören nicht auf zu wippen! Als Schmankerl steuert Triona Ní Dhomhnaill – Sängerin und Clavinetspielerin der legendären Bothy Band – als Gast mit gereifter, tiefer, weicher Stimme zwei wunderbare Songs bei, wovon speziell der erste, eine Ballade über das Leben der merkwürdigen schottischen „Selkies“ (halb Mensch, halb Seehund) einem einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. Ein szenisch anmutendes Arrangement mit fast psychedelischem Touch – einfach superb. Ein großartiges Album moderner irischer Musik, das mit jedem Hören wächst und definitiv in den Plattenschrank des Irish-Trad-Connaisseurs gehört!

Johannes Schiefner

 

GUIDEWIRES – II


MUZAFFER GÜRENC
Hasretim

(Eigenverlag/Kültürkultur Agency, go! www.muzafferguerenc.com )
10 Tracks, 50:47

Eine souveräne Mixtur aus konzertantem Vortrag und populärer Unterhaltung gelingt dem türkischen Sänger, Komponisten und Langhalslautenvirtuosen Muzaffer Gürenc. Seine anheimelnde Stimme bildet die Grundlage für ansprechenden Vertonungen türkischer Gedichte. Produzent Hakan Akay sorgte mit feinen Zutaten für eine reife Produktion mit türkischen, kurdischen und deutschen Musikern. Um die Baglama und den Gesang Muzaffer Gürenc’ herum schuf er reizvolle Klangbegegnungen: Die Hirtenflöte Kaval trifft die akustische Gitarre, Saxofon und Stimme bilden ein Duett. Der feine Einsatz vieler Instrumente wie Geige, Ud, Duduk, Zurna, Klarinette und Slidegitarre macht das Album wirklich hörenswert, ohne es zu überfrachten. Die Jazzsängerin Esra Dalfindan setzt feine Akzente, die Anklänge an Popmusik wirken nicht artifiziell, Einschübe von Reggae und Rock fügen sich harmonisch in das Klangkonzept eines modernen türkischen Bardenalbums. Lustvolle Grenzüberschreitungen unternahm Muzaffer Gürenc schon in mehreren interkulturellen und interreligiösen Produktionen. Leider fehlen die Übersetzungen der Texte. Ein solcher Brückschlag der Kulturen sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Birger Gesthuisen

 

MUZAFFER GÜRENC – Hasretim


OSVALDO HERNANDÉZ-NAPOLES
Tierra

(Homerecords.be 5425015550763, go! www.osvaldoelmusico.com )
12 Tracks, 50:14, mit span. Texten und Infos

Die Tierra, wo der extrem vielseitige Multiinstrumentalist und Sänger seit mehr als zwanzig Jahren lebt, ist Belgien. Von dort aus eröffnet er einen wahrlich panamerikanischen, farbenprächtigen Klangkosmos. In dem kommt an Folklore, insbesondere derjenigen Nordostbrasiliens und Argentiniens alles nur Denkbare vor, kurioserweise nur die seiner mexikanischen Heimat fast nicht. Allein ein Dutzend Percussion- und Saiteninstrumente spielt der Wahl-Brüsseler, darunter die kleinen Gitarren Ronroco und Cuatro, das Berimbau und die Rabeca-Geige. Was er darüber hinaus noch braucht für seine auch mal dem Flamenco oder afrokubanischer Musik zugeneigten Instrumental- und Vokalstücke, steuern drei hervorragende Kollegen bei: der in Belgien geborene Sohn jordanisch-jugoslawischer Einwanderer Karim Baggili, sehr dem Flamenco zugetan und an Tierra auch als Komponist und Arrangeur beteiligt, an Gitarren oder Ud; die facettenreiche Percussionistin Patricia Hernández-Van Cauwenberge an Cajón, argentinischem Bombo Legüero und ähnlichen; und last not least der armenische Virtuose Vardan Hovanissian, dessen sublime Duduk- und Shvi-Flöten klingen, als wären sie von jeher in Lateinamerika zu Hause.

Katrin Wilke

 

OSVALDO HERNANDÉZ-NAPOLES – Tierra


TIM KNOL
Tim Knol

(Excelsior EXCEL96212/H’Art, go! www.timknol.nl )
14 Tracks 46:37, mit engl. Infos

Alle Achtung! Tim Knol legte mit 21 Jahren vergangenes Jahr ein Debütalbum vor, das so entspannt swingt, dabei so abgehangen und erwachsen klingt, dass man es kaum mit dem Jungengesicht in Verbindung bringen mag, das uns von den Fotos anblickt. Die Musik, verwurzelt im Countryrock der Siebziger, oszilliert zwischen Americana, Singer/Songwriter und Pop. Gram Parsons, Neil Young und The Band dürfen hier ausgiebig Pate stehen, selbst die Holzfällerhemden auf den Gruppenfotos wirken authentisch. Die Band in klassischer Besetzung mit Bass, Gitarre, Schlagzeug und Keyboards, ab und an verstärkt durch Streicher oder eine Pedal Steel, spielt souverän und unaufdringlich. Die Stücke sind allesamt gelungenen, die auf akustischen Klang ausgelegte Produktion klingt warm, ohne im geringsten altbacken zu sein, und bietet die perfekte Grundlage für das wirklich besondere: Knols Stimme ist es, die das Album prägt und trägt. Trotz seines jugendlichen Alters schon ein kompletter Sänger. Zu Hause in den Niederlanden hat man seine Qualitäten schon mit einer ausverkauften Frühjahrstour gefeiert, im Sommer wird man ihn auch bei uns live sehen können. Dann bereits mit dem Zweitling im Gepäck.

Dirk Trageser

 

TIM KNOL – Tim Knol


LA CHERGA
Revolve

(Asphalt Tango Records CD ATR 2711/Indigo, go! www.myspace.com/lacherga )
11 Tracks, 45:13, mit engl. Texten und Infos

Als Patchworkmusik hat man La Chergas Musik bezeichnet, immerhin sie mixen so Unterschiedliches wie Balkan Brass, Dub, Jazz, Electronika, Hip-Hop, Drum ’n’ Bass oder gar Metal. Auf Revolve bekommt das Kollektiv jedoch das Wunder hin, trotzdem stimmig zu klingen. Das liegt vor allem an der musikalischen Grundlage im Dub. Während zum Beispiel bei anderen Crossoverbands wie den meisten Mestizorockern die entsprechende Mixtur arg kalkuliert wirkt und letztlich zur Jukebox wird, werden hier alle stilistischen Anteile in das hypnotische Grundkonzept eingebunden. Statt stilistischem Dauerwechsel bleibt der Reggae allgegenwärtig. Und dennoch ist diese Musik jede Sekunde osteuropäisch und energetisch wie ein Film von Emir Kusturica. Dazu trägt auch die dunkle, herbe Stimme der neuen Sängerin Adisa Zvekic aus Bosnien bei – ein Glücksgriff. Greifen die typischen Balkanbläser ein, sprengt dies nie den Groove, und selbst ein entspannter Titel passt da zum Schluss noch ins Konzept. Ständig vermischen sich die musikalischen Anteile im alles verbindenden Hall. Einzig die Frage bleibt: Warum muss bei eindeutig osteuropäischer Musik so viel englisch gesungen werden?

Hans-Jürgen Lenhart

 

LA CHERGA – Revolve


LES OGRES DE BARBACK
Comment Je Suis Devenu Voyageur

(Irfan (Le label) VOYAG 808/New Music Distribution, go! www.lesogres.com )
16 Tracks, 57:15, mit Texten

Menschenfresser, „Ogres“, können auch sympathisch sein. Auf Les Ogres de Barback, vier Brüder und Schwestern aus der Auvergne, trifft dies zu. Allesamt Multiinstrumentalisten – Gesang, Akkordeon, Saiteninstrumente, Flöten, Blasinstrumente -, erspielen sie sich ihr eigenwillig klingendes, verspieltes Universum. Musikalisch Pate gestanden haben Chansonniers wie Renaud oder Georges Brassens und Bands wie Les Négresses Vertes, aber da sind auch der Swing der Zigeunergitarristen und der Einfluss der arabischen Einwanderer. „Wie ich zum Reisenden wurde“, so die deutsche Übersetzung des Titelsongs, ist eine Replik auf das Gedicht von Jean Richepin, das Georges Brassens vertont hatte. Was geschieht, wenn die Zugvögel im Park plötzlich sesshaft werden, weil sie von den Spaziergängern durchgefüttert werden? Doch die Ogres bleiben nicht im Park, sie führen als feinfühlige Reiseführer in ihr versponnenes Panoptikum. Die melodiösen, mit Können und Charme gespielten Chansons entführen auch des Französischen Unkundige in eine andere, etwas menschlichere Welt. Und wie immer haben Les Ogres auch dies zwölfte Album bis ins Detail selbst produziert – inklusive des liebevoll gestalteten Digipaks.

Martin Steiner

 

LES OGRES DE BARBACK – Comment Je Suis Devenu Voyageur


JEZ LOWE AND THE BAD PENNIES
Wotcheor

(Tantobie Records TTRCD111, go! www.jezlowe.com )
18 Tracks, 49:20, mit engl. Infos u. Texten

Das nächste Album voller eingängiger Songs aus dem nordostenglischen Komponistenkraftwerk namens Jez Lowe. Der passionierte Ringelstreifenpulloverträger – T-Shirts tun es aber auch – und seine Bad Pennies Andy May, Kate Bramley und David de la Haye haben diesmal eine Art Konzeptalbum eingespielt: Eine Radiosendung entsprechend dem alten BBC-Regional-Hit „Wot Cheor Geordie“. Äthergeräusche und kurze Jingles unterstreichen das. Dazwischen singt Lowe auf gewohnt hochklassige Weise Reminiszenzen auf Lokalgrößen jeglicher Art, Parabeln, Humoresken oder Lieder über streikende Bergleute und nicht streikende, aber genauso betrogene und wütende Kleinsparer. Die Songs klingen so bodenständig und regionaltypisch wie die Menschen, von denen sie handeln, und gerade deshalb sind sie auch so allgemeingültig. Gute Folksongs eben.

Mike Kamp

 

JEZ LOWE AND THE BAD PENNIES – Wotcheor


TEIJA NIKU & GRUPA BALKAN
Finsko Pajdusko

(Rockadillo ZENCD 2137, go! www.teijaniku.com )
11 Tracks, 40:12

Die Finnin Teija Niku hat an der renommierten Sibelius-Akademie in Helsinki Musik studiert, eine ihrer Lehrerinnen war Maria Kalaniemi, die als eine der bedeutendsten Akkordeonspielerinnen ihres Landes gilt. Niku brilliert in allerlei Stilen, unter anderem schätzt hat sie ein Faible für „Akkordeon-Evergreens“ und „Schlager“. Ihre große Liebe aber gilt der Musik vom Balkan. Zu ihrer Grupa Balkan gehören drei finnische Herren, die diverse Saiteninstrumente spielen, beim wunderbar melancholischen „Brala Moma“ hören wir die Stimmen der Damen vom Momo Ensemble mit wirklich hinreißenden Harmonien. Das ist der einzige gesungene Titel auf diesem Album, der Rest ist rein instrumental – und wenn „Brala Moma“ eben zum Mitweinen melancholisch ist, so ist alles andere eher schmissig, mitreißend, es zuckt im Tanzbein … Und klar, der Name sagt es, die Balkaneinflüsse überwiegen, aber wer genau hinhört, wird auch Anklänge an andere Stile hören, die Niku zu geben weiß, wie besagten Schlager, Musette und vor allem finnischen Tango. Lange kein Album mehr gehört, auf dem so viel los ist – und ja: unbedingt zu empfehlen!

Gabriele Haefs

 

TEIJA NIKU & GRUPA BALKAN – Finsko Pajdusko


ORKA
Óró

(Ici D’Ailleurs IDA076CD/Cargo Records, go! www.orka-online.com )
Promo-CD, 10 Tracks, 37:33

Wann hatte man zuletzt das Gefühl, wirklich Neues zu hören? Unerhört, unerwartet, atemberaubend Neues? Klänge und Klangfarben, von denen man vorher nicht ahnte, dass es sie gibt? Vielleicht bei der Entdeckung von Kimmo Pohjonen? Oder als man zum ersten Mal Hedningarna hörte? Bei Under Byen oder Sigur Ros? Seltsamerweise stammen alle diese Künstler aus Skandinavien. Und jetzt kommen Orka. Sie stammen von den Faröerinseln und erfüllen somit das Gesetz der Serie. Mit Óró, ihrem zweiten Album, erzeugen sie beim Hörer das Gefühl, eine Tür zu einem neuen Reich aufgestoßen zu haben. Man ist sich nicht sicher, ob man überhaupt eintreten darf, zu unheimlich und unerwartet ist das Ergebnis. Orka nahmen ihr Album in einem Hafenlagerhaus auf, in dem normalerweise Salz gelagert wird. Das Gebäude wurde mit Mikrofonen bestückt, und so wurden die Treppen oder der Fahrstuhl zum Studio. Die Musikinstrumente sind selbst gebaute Unikate, meistens aus Materialien, die sich zufällig fanden, so wie die Flaschenorgel. Die düsteren Klänge von Óró sind sicherlich nicht jedermanns Geschmack, und wo man sie stilistisch einordnen kann, ist noch eine ganz andere Frage. Sie sind eben neu und einzigartig.

Chris Elstrodt

 

ORKA – Óró


PLÖCKINGER
The War Of The Peasants

(Timezone Records TZ 603, go! www.timezone-records.de )
17 Tracks, 71:20

In Zeiten, in denen gregorianische Mönchsgesänge auf Computerrhythmen in die Hitparaden gepeitscht werden, braucht man sich über nichts mehr wundern. Auch nicht über deutschsprachige Musiker in Salzburg, die sich einer hoffnungsvollen und sprachgewaltigen Epoche Europas, nämlich der Bauernkriege, annehmen, dabei aber Texte in einem parolenhaften Simpelstenglisch singen. Großer Fehler. Die Musik dazu ist Softpop, teils mit kreischenden Gitarren, teils mit exotisch anmutenden Dulcimer- und Flötenklängen, deren Motivation nicht Nähe zur Musik des 16. und 17. Jahrhunderts gewesen sein kann. Die Songs haben keinen Wiederkennungsfaktor, entsprechend will man sie – was für Popsongs ganz schlecht ist – auch nicht wieder hören. Der Sinn dieser Übung des 24-köpfigen, nach dem Komponisten benannten Ensembles will sich nicht erschließen, auch nicht aus dem Booklet, in dem in deutscher Sprache eine Episode aus dem Bauernkriegen erzählt wird. Erst das Internet bringt Aufklärung: The War Of The Peasants ist der Soundtrack zu einem Musiktheaterstück. Etwa für eine Auslandsaufführung? Falls dort jemand das Stück kennenlernen soll, wäre eine DVD sicherlich eine bessere Empfehlung gewesen.

Harald Justin

 

PLÖCKINGER – The War Of The Peasants


SALTFISHFORTY
Netherbow

(Eigenverlag CRSFF0310, www.saltfishforty.co.uk)
12 Tracks, 43:55, mit engl. Infos

Eigentlich müsste dieses Duo von den Orkneyinseln regelmäßig und erfolgreich durch Deutschland touren. Stattdessen kennt hier keine Socke Saltfishforty. Dabei zeigen Montgomery (Fiddle, Viola, Mandoline, Percussion) und Cromarty (Gesang, Gitarre, Mandola, Mandoline) mit ihren traditionellen und eigenen Stücken fast schon südländisches Talent. Zwei völlig unscheinbare Typen, die auf der Bühne förmlich explodieren! Daher wäre es sicherlich repräsentativer gewesen, wenn Netherbow mit Energieschüben beginnen würde wie sie die Medleys an dritter und fünfter Stelle des Albums bieten. Egal, lediglich eine Frage der Dramaturgie, und die Songs kommen auch nicht schlecht. Saltfishforty haben bisher noch jeden Klub und jedes Festival gerockt, auch wenn dieses an sich gute Album dergleichen lediglich vermuten lässt. Wenn der kleine Fiddler den Fuß von der Bremse nimmt, die er intelligenterweise natürlich auch bedient, dann gibt es kein Halten mehr.

Mike Kamp

 

SALTFISHFORTY – Netherbow


STICKS & STONES
Sticks & Stones

(Opus 3 Records CD22102/Applied Acoustics, go! www.sticksandstonesofficial.se )
12 Tracks, 42:26, mit engl. Texten

Schweden, eine Hochburg des europäischen Bluegrass? Was zunächst fremd klingt, zeigt sich bei näherem Hinsehen als Fakt. Bereits zwei schwedische Bands holten sich den von der European Bluegrass Music Association ausgelobten Titel der europäischen Bluegrassband des Jahres: G2 und die Downtown Ramblers. Nun also betritt mit Sticks & Stones eine weitere junge Formation die Szene. Und gleich im ersten Stück des Debütalbums gibt sie ihre Richtung vor: „You said this ain’t a bluegrass song but that don’t bother me.“ Dabei klingt der Opener „Sticks & Stones“ noch am ehesten nach Bluegrass. Im Übrigen spielen Folk und Pop große Rollen in der Musik des Quintetts, das US-Bands wie Crooked Still oder Joy Kills Sorrow deutlich näher steht als traditionellen Bluegrassern. Prägend wirkt zudem die Stimme von Sängerin Rebecka Sjöberg, die mit mädchenhaftem Charme recht einfach, aber stimmungsvoll phrasiert. Und sie erzählt in den eigenen Songs nicht nur von Liebe und Liebesleid, sondern auch von Problemen, sich selbst zu finden. Die leicht seichten Durchhänger verzeiht man den Schweden gern, wenn man dafür Songs wie „No One But Myself To Blame“ zu hören bekommt. Zusammenbleiben, weitermachen!

Volker Dick

 

STICKS & STONES – Sticks & Stones


JUNE TABOR
Ashore

(Topic Records TSCD577/Rough Trade, go! www.junetabor.co.uk )
13 Tracks, 69:17, mit engl. Infos u. Texten

June Tabor ist ohne Frage die Grande Dame der englischen Folkmusik – und das nicht erst seit heute. Sie besitzt eine Stimme von großer Autorität und Ausdruckskraft. Ihre Lieder müssen genau so klingen wie diese maritime Mischung aus Trad und Zeitgenössischem. Dabei macht es die 63-Jährige ihren Hörern mit ihrem Spektrum von purem A-capella-Gesang bis hin zu jazzgetränkten Balladen inklusive zwei französischen Liedern von der Kanalinsel Guernsey auf Ashore nie leicht. Aber diese Stimme als Klammer eint solch diverse Klänge und veredelt sie sozusagen. Sogar zwei Instrumentals sind zu hören, kein Wunder bei Könnern wie Andy Cutting (Diatonisches Akkordeon), Mark Emerson (Viola, Violine), Tim Harris (Kontrabass) und dem musikalischen Langzeitpartner Huw Warren (Piano). June-Tabor-Alben sind immer von hoher Qualität, dieses hier scheint noch ein wenig besser.

Mike Kamp

 

JUNE TABOR – Ashore


UXÍA
Danza Das Areas

(BOA/Do Fol 10002045/Galileo MC, go! www.uxia.net )
Promo-CD, 14 Tracks, 64:24, mit galic., span. und engl Infos

Mit Uxía Senlle hat nicht nur das nordwestspanische Galicien sondern der gesamte lusofone Raum eine um Integration und Verbindung bemühte musikalische Botschafterin. Die Frau mit der glasklar und ewig jung klingenden Stimme revitalisiert und reformiert seit gut 25 Jahren in neu arrangierten Traditionals wie eigenen, aus Jazz, Lied und Folklore schöpfenden Kompositionen ihre Heimattraditionen. Von dort aus schlägt sie souverän einen Bogen zur restlichen iberischen Musikkultur sowie anderen portugiesischsprachigen Weltregionen. Seit etlichen Jahren organisiert die aus der Nähe von Vigo stammende, umtriebige Netzwerkerin lusofone Festivals und sonstige musikalische Begegnungen, von denen sie, stilistisch wie personell, stets für ihre spärlich gesäten eigenen Alben profitieren kann. In fast jedem der atmosphärisch sehr diversen Songs gesellt sich ein anderer illustrer Gast hinzu, etwa Dulce Pontes, Filipa Pais und João Alfonso aus Portugal. Warum auch immer Danza Das Areas nun elf Jahre nach Veröffentlichung in Spanien endlich auch hier erscheint – interpretieren wir es einfach als Zeichen später, längst fälliger Wertschätzung dieser großen, verdienstvollen Künstlerin.

Katrin Wilke

 

UXÍA – Danza Das Areas

Update vom
09.02.2023
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